Mangelhafte Erdbebenwarnung in Italien: Seismologen müssen in den Knast

Beim Erdbeben in den Abruzzen kamen über 300 Menschen um. Die zuständigen Wissenschaftler werden zu langen Haftstrafen verurteilt – und halten sich für unschuldig.

Vollkommen zerstört: Das Dorf Onna in der Nähe von L'Aquila. Bild: dpa

L'AQUILA dpa | Dreieinhalb Jahre nach dem schweren Beben in den Abruzzen sind sieben Experten in L'Aquila wegen ungenügender Warnung vor Erdstößen zu jeweils sechs Jahren Haft verurteilt worden.

Das Urteil in erster Instanz fällte das Gericht von L'Aquila am Montag nach einem mehr als einjährigen Verfahren. Es ging damit noch über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus, die jeweils vier Jahre Haft verlangt hatte, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa.

Die Seismologen und Zivilschutzbeamten hätten die Bevölkerung rund um L'Aquila nur „ungenau, unvollständig und widersprüchlich“ über die Gefahren eines Bebens informiert, so die Anklage. 309 Menschen waren bei dem Erdbeben in der mittelitalienischen Region rund um die Hauptstadt L'Aquila am 6. April 2009 ums Leben gekommen. Zehntausende konnten nicht mehr in ihre zerstörten Häuser zurück.

Entsetzt und schockiert nahmen die Angeklagten und ihre Anwälte das Urteil auf. „Ich verstehe immer noch nicht, warum ich angeklagt bin“, meinte der frühere Chef des Nationalinstituts für Geophysik und Vulkanologie (Ingv), Enzo Boschi.

„Vor Gott und den Menschen“

„Ich halte mich vor Gott und den Menschen für unschuldig“, so der ebenfalls verurteilte ehemalige Vize-Chef des Zivilschutzes, Bernardo De Bernardinis. Der Verteidiger Marcello Petrelli sagte, das Urteil sei unverständlich, „es kann nur Gegenstand einer eingehenden Bewertung in der Berufung sein.“ In Italien werden harte erstinstanzliche Urteile in Berufungsverfahren oft abgemildert.

Die Beben-Kommission hatte eine Woche vor dem starken Beben getagt und nicht eindeutig gewarnt. Erdbebenforscher und die Verteidigung wiesen in der Diskussion um das Verfahren darauf hin, dass es bislang nicht möglich sei, größere Erdbeben wissenschaftlich vorherzusagen. Bei einer Verurteilung werde kein Wissenschaftler sich mehr zum Phänomen Erdbeben äußern, erklärte die Verteidigung in dem Prozess.

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