: „Man muss immer präsent sein“
Sakir Büjükodabasi betreibt einen Kiosk in Ottensen, einem Stadtteil im Hamburger Bezirk Altona. Sein Kiosk ist der Mittelpunkt der Corner-Szene am Platz. Die pauschale Kiosk-Kritik der Kneipenbetreiber im benachbarten St. Pauli findet er befremdlich
Interview Annika Lasarzik
Später Nachmittag in Ottensen, die Sonne senkt sich übers Viertel. Überall wuseln Leute herum, klappern Fahrräder übers Kopfsteinpflaster. Und während sich der Alma-Wartenberg-Platz mit Menschen füllt, geht im „Kiosk 2000“ nicht das erste Bier über den Tresen. Besitzer Sakir Büjükodabasi hat heute auf der anderen Straßenseite zu tun: Sein zweiter Laden, „Burger 2000“, feiert Eröffnung. Sakir, warme braune Augen, freundliches Gesicht, läuft während des Gesprächs immer wieder in die Küche, haut Fleisch auf den Grill, telefoniert, quatscht mit Kunden. Er ist ständig in Bewegung, hat alles im Blick – auch den Kiosk gegenüber.
taz: Sakir, wer schmeißt den Kiosk, während du hier am Tresen stehst?
Sakir Büjükodabasi: Wir sind ein Familienbetrieb. Gerade helfen meine Frau und mein Onkel aus, ansonsten arbeiten auch meine Eltern und meine Schwester dort. Dazu kommt eine 450-Euro-Kraft, die ab und zu die Kühlschränke auffüllt. Aber wenn so viel los ist wie heute, muss ich selber ran, das schaffen die anderen nicht. Wenn ich hier fertig bin, gehe ich wieder rüber.
Klingt stressig. Wie lange arbeitest du heute schon?
Seit 7 Uhr. Viel Schlaf war nicht drin, weil ich gestern erst um 2 Uhr zugeschlossen habe. Hier stehe ich noch bis 19 Uhr, dann arbeite ich wieder im Kiosk, wie lange, weiß ich noch nicht. Bei dem Wetter wird die Nacht vermutlich lang, feste Ladenschlusszeiten haben wir nicht.
Wie kamst du dazu, einen Kiosk aufzumachen?
Meine Eltern haben in den Räumen einen Obst- und Gemüseladen eröffnet. Das Geschäft lief lange gut, doch dann kam der Penny mit seiner Gemüseabteilung und wir mussten uns was Neues ausdenken, um gegen die Konkurrenz bestehen zu können. So entstand der Kiosk, um die Jahrtausendwende herum – daher der Name. Ich hab dort schon immer mitgeholfen und hatte einfach Lust, mich selbstständig zu machen. 2009 hab ich den Laden übernommen, bin seitdem Geschäftsführer. Bereut habe ich das bis heute nicht, ich liebe meine Arbeit – auch wenn ich gerade gar nicht mehr dazu komme, meine Bachelorarbeit zu schreiben, denn nebenher studiere ich noch Sozialökonomie.
Was treibt dich an?
Ich mag einfach die Atmosphäre, das Miteinander im Viertel, und im Kiosk kriegt man sehr viel davon mit. 70 Prozent der Leute, die in den Laden kommen, sind Stammkunden. Man kennt sich, vertraut einander – gerade die Nachbarn lassen oft bei mir anschreiben, das ist kein Problem. Jeden Abend drehen wir Musik auf, solche, zu der man tanzen kann. Wenn die Kunden dann schon mit einem Lächeln im Gesicht in den Laden kommen und mir von ihrem Tag erzählen, bin ich glücklich. Gerade der Sommer im Viertel ist toll. Und das sage ich nicht nur, weil ich da mehr Umsatz mache als sonst.
Was verkauft sich gerade besonders gut?
Getränke, ganz klar, vor allem alkoholische. Das Sortiment haben wir mit der Zeit ausgebaut, gerade sind zum Beispiel helle Biere aus Bayern dazugekommen, die gehen gut weg. Und Süßigkeiten! Egal, ob jung oder alt, viele Kunden lieben es, sich hier eine „bunte Tüte“ zusammenzustellen. Zeitungen verkaufen wir allerdings kaum noch. Manchmal kommen Gastronomen aus der Nähe vorbei und nehmen einen Stapel Zeitschriften für ihre Läden mit, ansonsten verkaufen wir höchstens ein paar Bild- oder Mopo-Ausgaben am Tag.
Auf dem Alma-Wartenberg-Platz drüben ist jetzt schon viel los. Wie läuft das Cornern hier in Ottensen ab?
Gestern ging’s so richtig um 19 Uhr los, je wärmer es ist, desto später wird es voll auf dem Platz. Ihre Getränke holen sich die meisten Leute entweder im Aurel, einer benachbarten Bar, oder eben bei uns. Ein „Vorglühen“ ist das aber nicht, die ziehen nicht weiter, sondern verbringen den ganzen Abend hier und quatschen.
Wie ist die Stimmung?
Entspannt. Ich habe den Eindruck, dass es beim Cornern in der Schanze oder in St. Pauli aggressiver und lauter zugeht als hier. Das liegt sicher daran, dass sich die Gruppen anders zusammensetzen: Der Großteil der Leute hier kommt aus dem Stadtteil oder aus nächster Nähe. Ein Freund von mir betreibt einen Kiosk auf dem Kiez und dort ist das ganz anders: Da stehen fast nur fremde Leute rum, die aus anderen Stadtteilen anreisen. Und wenn man einander nicht kennt, ist es schwieriger, Situationen zu beruhigen oder auch mal einen Streit zu schlichten.
Ist das denn nötig?
Manchmal schon. Das Problem ist doch: Wenn die Menschen trinken, verlieren sie so ein bisschen den Verstand. Werden lauter und rücksichtsloser, bauen Mist. Und merken gar nicht, wenn sie andere stören. Der Unterschied ist, dass ich die Jungs hier kenne. Wenn ich die bitte, leiser zu sein, hören sie auf mich. Und die meisten haben Verständnis, gerade weil sie selbst hier wohnen und auch nicht wollen, dass es ständig laut ist. Der Kiez aber ist eine Partymeile, auf der man nüchtern eh gar nicht mehr unterwegs sein kann. Das ist schon traurig. Allerdings glaube ich auch, dass gerade manche neu zugezogenen Anwohner dort etwas übertrieben reagieren. Wer dort eine Wohnung mietet, sollte ja wissen, in was für ein Viertel er zieht …
Auch in Ottensen haben sich schon Anwohner über das Cornern beschwert – und im Herbst wurde auf einer Stadtteilversammlung heftig darüber diskutiert.
Stimmt, es gab einzelne Nachbarn, denen es zu laut war. Darüber konnten wir aber sehr offen reden, die Diskussion war konstruktiv und ist nicht so eskaliert wie auf einer ähnlichen Versammlung in der Schanze. Leider waren nur ich und die Leute vom Aurel bei der Versammlung, die anderen Kioskbetreiber und Gastronomen blieben weg. Wir haben aber schon im Gespräch festgestellt, dass die Lage hier nicht so heftig wie auf dem Kiez ist.
Wie geht ihr mit Lautstärke und Müll um?
Ich habe fast allen Nachbarn meine Handynummer gegeben. Wenn es zu laut wird, melden die sich bei mir und ich kümmere mich drum, mache den Leuten auf dem Platz hier eine Ansage. Kommunikation ist alles! Laute Musik etwa geht gar nicht klar, da muss man auch mal an den gesunden Menschenverstand der Leute appellieren. Ich stelle auch keine Bänke oder Tische vor die Tür, ich mixe keine Longdrinks, so wie manch andere Kioske auf dem Kiez – dass die Leute dann noch näher vorm Haus bleiben und dort laut sind, ist ja klar. Und wir fegen jeden Abend die Straße vorm Kiosk, auch den Hauseingang nebenan und machen vor zwei Läden auf der anderen Straßenseite sauber – denn wenn da was hinterlassen wird, wissen wir ja, dass die Leute von uns kamen.
Sakir Büjükodabasi, 36, betreibt seit neun Jahren den „Kiosk 2000“ in Ottensen, einem Stadtteil im Bezirk Hamburg-Altona Foto: Hannes von der Fecht
Du steckst viel Arbeit in deinen Laden. Was macht das mit dir, wenn Kioske in dem Corner-Streit als „Parasiten, die sich ausbreiten“, bezeichnet werden?
Wenn Besitzer sich nicht um Lärm oder Müll kümmern, kann ich den Frust der Nachbarn verstehen. Doch es ärgert mich sehr, wenn alle Kioskbetreiber pauschal in einen Topf geschmissen werden. Erst einmal sind das einfach nur Menschen, die einen Weg für sich sehen, um Geld zu verdienen. Und das ist verständlich. Viele Gastronomen glauben nun offenbar, mit einem Kiosk kann man leichte Kohle machen. Dabei ist das alles andere als ein leichter Job, man wird auch nicht reich damit. Man muss unglaublich viel planen und immer präsent sein, damit der Laden läuft. Auch das Privatleben leidet. Ich selbst habe so gut wie nie Ruhetage, im Sommer sowieso nicht. Mein letzter Urlaub war vor zwei Jahren, ein verlängertes Wochenende auf Mallorca. Und schon am ersten Tag haben mich die Kollegen angerufen, weil es Probleme im Laden gab..
Dann findest du es nicht ungerecht, dass ihr als Kioskbetreiber nicht die gleichen Auflagen erfüllen müsst wie Gastronomiebetriebe, obwohl euer Kerngeschäft auch der Alkohol ist?
Nee, das Argument verstehe ich nicht. Unser Laden gehört schon lange zum Viertel und wir sind sicher nicht dafür verantwortlich, dass es nun diesen Corner-Trend gibt. Wenn das Wetter schön ist, stellen sich die Leute auch lieber vor eine Bar, als drinnen zu sitzen. Und würde man hier im Viertel eine Umfrage dazu starten, wären die meisten Bewohner sicher dafür, dass wir weiter rund um die Uhr Bier verkaufen dürfen. Gerade viele Alteingesessene können sich ein paar Drinks in einer Bar nicht mal eben so leisten. Natürlich höre ich nicht irgendwann auf, Bier zu verkaufen, wenn ich vor allem abends guten Umsatz damit mache. Das würde ein Kneipenbesitzer in meiner Lage doch auch nicht machen. Wir müssen ja auch unsere Miete zahlen.
Wie hat sich eure Miete denn entwickelt?
Wie fast überall hier ist die extrem gestiegen, vor allem in den Jahren 2011 bis 2013 wurde es richtig teuer. Anfangs haben wir noch knapp 1.000 Euro gezahlt, jetzt sind es 2.300 Monatsmiete. Wir haben zwar ein gutes Verhältnis zu unserem Vermieter, trotzdem müssten wir raus, wenn wir uns das nicht mehr leisten könnten.
Doch der Laden läuft gut?
Im Winter gibt es auch schlechte Tage, generell profitieren wir aber von der guten Lage am Platz. Einen längeren Urlaub kann ich mir aber nicht erlauben. Und viele holen sich ihr Getränk schon aus dem Penny nebenan. Wenn der Supermarkt nun auch Kaltgetränke anbieten würde, hätten wir es schwer. Andererseits bin ich überzeugt, dass gerade die vielen Stammkunden uns trotzdem die Treue halten würden, selbst dann, wenn hier weitere Kioske dazukämen. Aus Prinzip.
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