Mahnmal für Opfer des Antislawismus: Lücke in der Erinnerung
Seit 2013 fordern Historiker und linke Politiker ein Denkmal in Berlins Mitte, für die Toten von NS-Rassismus und Vernichtungskrieg. Jetzt kommt Bewegung in die Sache.
Grigori Formenko war Unteroffizier der Roten Armee. Eine Woche nach dem Überfall der Deutschen, am 28. Juni 1941, fiel er der Wehrmacht in die Hände. Er wurde in ein Lager verschleppt, in dem nichts als der Tod wartete. Formenko versuchte, dem Hungertod durch Flucht zu entkommen. Am 9. August 1941 wurde er, 26 Jahre alt, im Stalag 307 in Dęblin südlich von Warschau erschossen.
Es gibt Millionen Geschichten wie die von Formenko. Wehrmacht und SS töteten auf dem Rückzug weißrussische Bauern, die Nazis ermordete gezielt die polnische Elite. Ukrainer wurden als Geiseln getötet, russische Frauen verhungerten, weil die deutschen Besatzer Millionen von Untermenschen aus dem Weg schaffen wollten. Kriegsgefangene und Zivilisten wurden allesamt Opfer des antislawischen Rassismus der Nazis. In der bundesdeutschen Erinnerungslandschaft sind sie bis heute nahezu unsichtbar geblieben. Es gibt kleinere Gedenkstätten – doch in Berlin, dem Ort, wo die Verbrechen geplant wurden, erinnert nichts an diese Taten.
Das will eine Initiative ändern, die Peter Jahn, früher Direktor des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst, angestoßen hat. Jahn und einige Mitstreiter wollen einen „Gedenkort für die Opfer der NS-Lebensraumpolitik“ in Berlin etablieren.
Gedenkort durchsetzen
Der etwas ungelenke Titel entspricht der komplexen Lage. Denn das Denkmal soll nicht, wie es der Linkspartei anfänglich vorschwebte, ausschließlich den mehr als drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen gewidmet sein, die die Wehrmachtführung kalt sterben ließ oder ermordete, sondern auch den zivilen Opfern des NS-Regimes zwischen Riga und der Krim, Warschau und Moskau gelten.
Gregor Gysi, Linkspartei-Abgeordneter, hält diesen Ansatz für einleuchtend: „Die Vernichtungsabsicht der Nazis richtete sich gegen alle, wie sie es nannten, ‚slawischen Untermenschen‘. Daher sollte man ihrer gemeinsam gedenken“, so Gysi zur taz. Jan Korte, Linksparteiabgeordneter, plädiert dafür, den sowjetischen Kriegsgefangenen, der größten Opfergruppe nach der jüdischen Zivilbevölkerung, in dem Mahnmal gleichwohl eine zentrale Rolle zukommen zu lassen. Vorrangiges Ziel ist es aber, den Gedenkort durchzusetzen.
Die Gruppe um Initiator Jahn schlägt ein Mahnmal vor, das mit dem Gedenkort für Roma und Sinti südlich des Brandenburger Tores oder dem für Euthanasie-Opfer nahe der Philharmonie vergleichbar ist. Geschätzte Kosten: eine Million Euro. Jahn hält ein symbolisches Denkmal ohne Informationsteile für verfehlt. Das ist nachvollziehbar – denn die Tötung sowjetischer Kriegsgefangener und der Terror gegen Zivilisten zwischen Leningrad und Baku ist, anders als der Holocaust, im öffentlich Bewusstsein kaum präsent.
Angedacht sind bereits mögliche Orte für das Mahnmal. In Frage kommt ein Platz neben dem Sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni. Auch der Lustgarten auf der Museumsinsel, wo die Nazis 1942 eine antisowjetische Agitprop-Ausstellung zeigten, oder ein Ort nahe der historischen Reichskanzlei und unweit des Holocaust-Mahnmals sind denkbar.
Geduld ist nötig
Das Konzept für diesen Gedenkort wirkt eher bescheiden als auftrumpfend. Der umfassende Ansatz, allen Opfern des NS-Rassismus zu gedenken, ist wohl durchdacht und ein kluger Versuch, die Gefahr der Konkurrenz zwischen Opfergruppen zu mindern. Angesichts der rüden Art, wie Erinnerungspolitik nicht nur in Moskau, sondern auch in Kiew und Warschau für aktuelle Auseinandersetzungen benutzt wird, scheint dies weitsichtig. Es gibt kein plausibles Argument gegen dieses Konzept. „Dieser Vernichtungskrieg verletzte alle bis dahin aufgestellten Regeln. Deshalb brauchen wir für diese Opfer ein eigenes Denkmal“, so Gysi.
Geduld ist bei der Errichtung von Denkmälern eine nützliche Tugend. Beim Washington Memorial vergingen von der Idee bis zur Fertigstellung 1884 fast 100 Jahre. Peter Jahn versucht seit 2013 den Gedenkort durchzusetzen. Das politische Echo war bisher zwar übersichtlich – doch es gibt Hoffnung. 2015 gelang es, forciert von Grünen und Linkspartei, im Haushaltsausschuss des Bundestages eine Entschädigung in Höhe von 10 Millionen Euro für sowjetische Kriegsgefangene durchzusetzen. Aus der Union sind leise Signale der Offenheit zu hören. Jan Korte glaubt, dass „Bewegung“ in der Sache ist. Doch wenn, dann muss es rasch gehen. Im Wahlkampf 2017, so Peter Jahns wohl begründete Befürchtung, wird es schwierig, überfraktionelle Einigungen zu erzielen.
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