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Maerzmusik-Festival für Neue MusikMusikalischer Hochleistungssport

Bei der Berliner Maerzmusik ist zu erleben, was Musik alles hörbar macht. Neben dem Ungezähmten ist auch die schadhafte Gegenwart Thema beim Festival.

Auch mal schrill: Das Ensemble Mosaik spielt Laura Bowler bei der Maerzmusik Foto: Camille Blake/Berliner Festspiele

S chwitzen in einem Konzert ist durchaus eine sinnvolle Option. Es spricht von einer intensiven Teilhabe. Dort sein vor der Bühne, wo der Punk abgeht, inmitten einer schwitzenden Meute. Musik ist auch eine körperliche Sache. Verschärftes Tanzen ist schweißtreibend. Musik. Zappeln. Schon fein.

Deswegen muss so eine Werbedurchsage wie die folgende einen aufmerksam stimmen: „Das Ensemble Mosaik widmet sich dem Ungezähmten, dem Wildgewordenen, der schmerzhaften Erinnerung und der schadhaften Gegenwart.“ Aufregend das Versprechen: „Ein Konzert, in dem geschwitzt werden darf.“

Die Bestuhlung allerdings hatten sie im Haus der Berliner Festspiele – Ort dieses im Rahmen des Maerzmusik-Festivals stattfindenden Konzerts – gar nicht rausgeräumt. Es war ein Sitzkonzert. Gängiger Brauch bei der Klassik und der mit ihr eng verwandten Neuen Musik, der die Maerzmusik gewidmet ist. In den gepolsterten Klappsesseln aber hatte man gar keinen Platz, sich derart hin- und herzuwerfen, dass der Körper auch ins Schwitzen käme.

Und einfach aufstehen zum Zappeln bei so einem Konzert? Das macht man halt auch nicht.

Das Festival

Maerzmusik ist eine Veranstaltung der Berliner Festspiele und versteht sich „als ein Ort des Austauschs von künstlerischem Wissen durch neue Begegnungen und geteilte Erfahrungen“. Das Festival findet bis 26. März mit Veranstaltungen und Konzerten an verschiedenen Orten statt. Programm: www.berlinerfestspiele.de

Dabei hätte es durchaus reichlich motorische Energie gegeben in den Kompositionen von Sara Glojnarić. In ihren „sugarcoating“-Stücken schöpft die 1991 in Zagreb geborene Komponistin Klangformate einer Musikdatenbank ab, die ansonsten gern von Entwicklern von Musiksoftware benutzt wird. Eine Auseinandersetzung mit musikalischen Formatierungen, die sich in furiose Musik übersetzte: Mal klang es wie Minimal Music mit ADHS, dann wieder seltsam ausgebeint, schartig. Hyperaktives und Defizitäres in einer reizvollen Spannung. Und in den rasenden Geschwindigkeiten und Atemlosigkeiten eine Herausforderung für die MusikerInnen des Ensemble Mosaik. Gut konnte man sich vorstellen, dass wenigstens sie bei diesem musikalischen Hochleistungssport ins Schwitzen kamen.

Eine kleine Abschweifung, weil es halt wegen der Transpiration gerade passt. Deswegen soll mal wieder an eine Berliner Band um den Schauspieler und Musiker Lars Rudolph erinnert sein, die zwanglos die „Capri Fischer“ mit freizügigem Impronoise zusammendenken konnte. Einfach des aparten Namens wegen. Sie hieß: Ich schwitze nie.

Zugegeben. Die Band hat rein gar nichts mit diesem Festival zu tun. Andererseits aber wurde einem an dem Abend auch immer wieder ein Übermaß an Informationen vor den Latz geknallt. Eine musiktaktische Herangehensweise, klar, die auch etwas Anrührendes hatte mit den sehr persönlichen Einlassungen beim „Memory“-Stück von Sergej Newski, bei dem es zur Musik alte Videoaufnahmen von der Loveparade und den MusikerInnen des Ensemble Mosaik von 1997 zu sehen gab. Das Jahr, in dem das Ensemble sich gegründet hat.

In Laura Bowlers Komposition „FFF“ hatte dieses Informationsgeballere etwas Verstörendes mit einer schrill sich aufschaukelnden Musik und den Videos mit Aufnahmen von Straßenkämpfen, Satzfetzen, historischen Fotos vom Vietnamkrieg, alles bunt durcheinandergewirbelt. Wenn dann noch theatrale Elemente hineingebrockt wurden, spielte die Musik gar keine so große Rolle mehr, weil man so viel gucken musste auf der Bühne. Flaggen wurden geschwenkt, Papier geknüllt und weggeworfen. Dazu in schnellen Schnitten die Videos, dass man nur noch taumeln wollte in seinem Sessel.

Das Ensemble Mosaik widmet sich dem Ungezähmten, dem Wildgewordenen, der schmerzhaften Erinnerung und der schadhaften Gegenwart, hieß es. Stimmte alles. Gut auch, dass man dabei gar nicht ins Schwitzen kam. Mancher Musik hört man besser einfach zu, ohne sie gleich zum Workout zu nehmen.

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Thomas Mauch
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1960, seit 2001 im Berlinressort der taz.
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