Männlichkeit, Krieg und ganz viel Liebe: They Hate The Love
Kim de l'Horizon wurde für das „Blutbuch“, das Sprache und Geschlecht seziert, mit Preisen geehrt. Und widmet sich an dieser Stelle den Männern.
Um liebevolle Männer zu schaffen, müssen wir Männer lieben. Männlichkeit zu lieben ist etwas anderes, als Männer dafür zu loben und zu belohnen, dass sie den sexistisch definierten Vorstellungen von männlicher Identität gerecht werden. Sich für Männer zu interessieren, weil sie etwas für uns tun, ist nicht dasselbe wie Männer dafür zu lieben, dass sie einfach da sind. Wenn wir Männlichkeit grundsätzlich lieben, dehnen wir unsere Liebe auf alle Männer aus, unabhängig davon, ob sie etwas leisten oder nicht. Leistung ist etwas anderes als das bloße Sein. In der patriarchalen Kultur ist es Männern nicht erlaubt, einfach zu sein, wer sie sind, und über ihre einzigartige Identität zu frohlocken. Ihr Wert wird immer durch das bestimmt, was sie tun. In einer anti-patriarchalen Kultur müssen Männer ihren Wert und ihre Würde nicht beweisen. Sie wissen von Geburt an, dass ihr bloßes Sein ihnen Wert verleiht und das Recht, geschätzt und geliebt zu werden.“ [Übers. d. V.] bell hooks
Empfohlener externer Inhalt
Ich möchte hier über this thing called love schreiben. Ha! Und schon hat’s mich erwischt. Runter mit dem Höschen: Ich habe mich bereits vor dem ersten Satz für diesen geschämt. Nicht das deutsche, Ihnen wohl bekannte Wörtlein für LOVE habe ich, hat es mir geschrieben, sondern das englische. Das fremdwörtische, welches mir ferner ist, und was die leise Hoffnung auf einen vielleicht etwas cooleren oder zumindest 21.-jahrhundertigeren Einstieg in sich barg.
Prince
Also. Nochmal. Ich möchte hier über diese Sache namens LIEBE schreiben. Und weil ich glaube, dass die Perspektive, aus der wir schreiben, stets mitschreibt, möchte ich diese meine Perspektive etwas offenlegen. Und weil ich glaube, dass Liebe auf diesem Planeten nicht von Geschlecht zu trennen ist, möchte ich meine geschlechtliche Verortung offenlegen. Beispielsweise war die Scham über das Wörtchen Lüübe eine männliche. Scheint es mir. Eine männliche und atavistische: ein Überrest aus einer früheren Evolutionsstufe. Denn seit einiger Zeit nun bin ich eigentlich wie Joni Mitchell. I’ve looked at clouds from both sides now, I’ve looked at die Wolken dieser Gesellschaft from both oder wenigstens verschiedenen genders now. Das heißt, meistens bin ich in the clouds, meistens bin ich mittendrin in den Gewitterzellen. Und ich sage Ihnen, hier ist verdammt viel elektrische Spannung.
Aber ich war, wie gesagt, ja nicht immer hier. Die längste Zeit meines Lebens habe ich mit den Versuchen verbracht, ein guter Bub, Jugendlicher, ein ähmmmMANN zu sein. I’ve been doing Cis-Drag, wie mein*e Mitbewohner*in sagt: Ich habe mich als Cis-Mann verkleidet. Das Wertvolle dabei (aus schriftstellerischer Perspektive): Ich durfte mich in den Umkleidekabinen der Jungs aufhalten, wo sie die in ihnen angelegten Samen ihrer Männlichkeit kultivierten, wo sie sich lustvoll-sklavisch der Architektur der Gesellschaft hingaben, wo sich die binäre Architektur der Bildungsstätten, die Zweiteilung der Klos und Umkleiden in ihre zarten Herzelein hineinfurchte.
Bevor ich eine kleine Anekdote aus dieser herrlichen Zeit wiedergebe, möchte ich sagen, dass ich das Schreiben über Männlichkeit als wichtiges queer-feministisches Unterfangen betrachte. Denn wir alle leiden im Patriarchat an den Rollen und Zwängen des binären Geschlechterregimes, alle Geschlechter auf unterschiedliche Art und Weise, aber trotzdem: alle. Wenn wir in ein gewaltfreieres Miteinander kommen wollen, müssen daher auch alle Geschlechter alle verstehen und ein Mindestmaß an Mitgefühl für die Leiden der anderen aufbringen. Sonst können wir als Spezies gleich abdanken.
Nun aber, die versprochene, herrliche Anekdote: Im Gymnasium hatten wir nicht wie die anderen Jahrgänge einen, sondern zwei Beste. Den Giesch und den Zimmermann. Wie die meisten jungen Männchen, wurden diese jüngsten Verkörperungen idealer Männlichkeit nach ihren Nachnamen, den Vatersvatersnamen genannt. Sie waren beide nicht außerordentlich gut in der Schule. Der Giesch war sportlicher als der Zimmermann, aber das machte der Zimmermann durch „Style“ wett, also durch das Kapital seiner Familie, das ihm erlaubte, nur in den angesagtesten Skater-Marken wie Etnies, Element oder Carhartt rumzulatschen. Ich glaube aber mehr als Sportlichkeit oder „Style“ begründete ihre Bestigkeit ihr Habitus, die Art und Weise wie sie sich bewegten, sprachen, „gaben“. Ja, ihre KörperSprache war einfach am nächsten an den Schauspielern, nach denen sich unsere verlorenen, nach Halt gierenden Existenzen richteten.
Die ersten zwei Jahre waren der Giesch und der Zimmermann gleichauf. Doch dann geschah etwas, womit sich der Zimmermann disqualifizierte. Er sagte etwas, was ihn viele Ränge nach unten rutschen liess, wovon er sich während des Gymnasiums nicht mehr erholen sollte. Denn das, was er sagte, lieferte den Mitstreitern im Lebenswettkampf der Männlichkeit noch vier Jahre lang Material, um den armen Zimmermann auf der Rangliste hinter sich zu lassen. Der Szene voraus ging das Gerücht, dass der Beste Zimmermann die Schönste Lea gefragt hatte, ob sie mit ihm gehe. Dass die Schönste Lea ihn abgelehnt habe. Der einzige, menschlich vorstellbare Grund, den die Schönste haben könnte, um den Zimmermann abzulehnen, war, dass sie den anderen Besten, Giesch, zum Gehen bevorzugen würde. Oder, noch vorstellbarer: dass sie einen älteren Besseren kriegen würde, was natürlich ein noch gründigerer Grund gewesen wäre.
Tagelang wurde von nichts anderem geredet. Das Gerede mündete schließlich in einer Konfrontation der beiden Besten – in der Umkleidekabine, in dieser Fabrik der Geschlechterbinarität, wo denn sonst. Und zwar stellte Giesch die Frage, ob er, der Zimmermann, sich denn eigentlich in Lea verliebt habe. Hierauf antwortete der damit seine Bestigkeit verlierende Zimmermann laut und deutlich für alle zu hören: „Ja, ich habe mich in Lea verliebt.“
Päng. Gelächter. Geklopfe auf die heranwachsenden Schultermuskeln. Langsames Verebben. Schweigendes Umziehen. Das Wissen, dass man hier einem historischen Kipppunkt beigewohnt hatte. Das uns alle körperlich peinigende Gefühl der Fremdscham. Das Tabu, das der Zimmermann gebrochen hatte: sich offen zur Verliebtheit zu bekunden. Ein Tabu, das uns nicht bewusst war, wir nicht rational argumentatorisch hätten verteidigen wollen oder können. Aber das war eine Grenze, die unsere ER-Ziehung in uns installiert hatte. Wie genau installiert? Eine schwierige, den Rahmen hier sprengende Frage. Aber kurz gesagt: vermutlich durch ähnliche Szenen, in rein männlichen Räumen, in denen über Liebe nur gelacht und geschämt werden konnte.
Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass es unter uns tatsächlich einen Liebeshass gab, dass wir die Liebe hassten, denn wir liebten es über den Hass zu sprechen, wir liebten es unseren Hass auf die Lehrer*innen, Eltern und Jungs aus Parallelklassen zu bekunden. Natürlich sehnten wir uns nach der Liebe, und darum hassten wir sie, denn sie war uns verboten. Wir wussten das nicht, wir spürten es.
Und ich würde auch sagen, dass dieser Liebeshass sich tatsächlich durch die Architektur in uns hineinbrannte: dass die Räume, in denen wir Körper sein konnten, das Klo und die Garderobe; die Räume, in denen wir uns auszogen, uns in unserer Körperlichkeit sehen konnten, in denen wir uns UM-Zogen, in denen wir Wasser tranken und Urin und Kot ausschieden, schwitzten und unseren Schweiß einatmeten, die Räume, in denen wir uns einander nackt zeigten; dass es in diesen Räumen einzig und allein männliche Körper geben durfte. Dass wir wortwörtlich also in unserer Männlichkeit allein gelassen wurden. Dass jede Weiblichkeit ausgeschlossen werden musste. Und Gefühle sind weiblich konnotiert. Und die Liebe als das weiblichste Gefühl. Denn – der Schluss liegt nahe – dass die Liebe Weiblichkeit in diesen sakralen Raum hineinbrachte, denn das ist ja Liebe im heterosexuellen Regime: die Liebe zu weiblichen Körpern. Ganz abgesehen davon, dass Liebe – so der landläufige Glaube – Männer schwächt: Selbst wenn ihre eigenen Körper unangreifbar sind, werden sie durch eine Liebe zu einem anderen Körper angreifbar, denn dieser ist wahrscheinlich „schwächer“ und wird womöglich verteidigt werden müssen, wenn ein Anderer, Besserer, ihn als Trophäe seiner Bestigkeit beansprucht.
Der Zimmermann hatte uns noch im Backofen steckenden Männlichkeitsanwärtern also verraten. Er hatte sich einem Gefühl zugewandt! Freudig scharten wir uns fortan um den Giesch, der am lautesten gelacht hatte und der sich als würdiger Kopf in der bestehenden Ordnung bewiesen hatte. Er hatte uns mit seiner Konfrontation und Beschämung von Verliebtheit das Gefühl des Daheimseins in der Wüste unserer Gefühllosigkeit beschert. So, wie wir das zu lieben und leben gelernt hatten.
In diesen Räumen, in denen die jungen Männer unserer Gesellschaft untereinander sind, darf es keine Liebe geben. Weder zueinander noch zu anderen. Es darf nur den WettKampf geben, nur das Spiel um Macht. Und wer liebt – das hatten wir irgendwie gelernt, und das exemplifizierten wir am Zimmermann – wer sich zu zärtlichen Gefühlen bekennt, der stößt sich selbst von der Spitze der Macht. Ja, wir haben gar nichts GETAN, es war uns allen einfach auf einmal klar, dass der Zimmermann nicht mehr ein Bester sein kann. Und offenbar exerzierten wir an ihm das Gesetz durch, das in allen Räumen der patriarchalen Gesellschaft gilt: Die Macht ist das Spiel der Männer, die Liebe ist das Spiel der Frauen.
*
Für das 2022 erschienene „Blutbuch“ erhielt Kim de l’Horizon den Schweizer und den Deutschen Buchpreis. In „Blutbuch“ sprengt die Hauptfigur nicht nur die Grenzen der Geschlechterbinarität, auch die Binaritäten der Sprache werden seziert und in hybrides Sprechen verwandelt. Für de l’Horizon, geboren 1992, ist Körper eine Pinnwand, an der soziale und politische Botschaften angeschlagen sind. Bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises rasierte de l’Horizon sich die Haare ab, in Solidarität mit der feministischen Revolution im Iran.
Liebe Liebe
Lange Zeit nun –
Und wie an Hochaltären! –
Zelebrierten wir die Ferne zu Dir
Größeste Cringes brachtest Du uns
Doch wer ist wir?
Wenn Herr ist wirr?
Du Kräftezerschinderin
Stürmebezwingerin
Ehrenerlegerin
Glorienvernichterin
Du hast sie in Wehegeröchel
An ihren glatt ausrasierten Nacken
Und wie an Höchstaltären
Zelebrieren sie die Ferne zu sich, zu „sie“
Und weh tun sie nie
Liebe Liebe
Nichtsehend bete ich dich herein
In dieses Textelein
Wohlwissend: Sturmfluten
Sind auch vom lieblichsten Meere
Zu erwarten.
Du Bitch.
*
Klaus Theweleit hat in seinen „Männerphantasien“ Männlichkeit im Nationalsozialismus untersucht. Dabei zeigt er sehr eindrücklich, dass im Faschismus „Liebe zu Frauen und Liebe zum Vaterland Gegensätze sind“. Man kann also kein guter Bürger sein, man kann die Idee, dass die eigene Nation allen anderen überlegen ist, nicht vertreten, wenn man in Liebe zu einem anderen Menschen verbunden ist. Theweleit untersucht die Briefe von Soldaten und Generälen, die den Krieg geradezu nutzen, um möglichst weit von ihren Geliebten und Familien fern zu sein. Männer, die sich in ihren Biografien so distanziert zu ihren Geliebten geben, dass sie diese entweder nicht beim Namen nennen, sondern bei ihrem Pronomen, oder nicht einmal erwähnen.
Geschlecht und Politik lässt sich auf keinstige Art und Weise trennen. Dass der Faschismus unter dem Neoliberalismus geschlummert hat, kann spätestens seit dem ungeschminkten Auftritt und Gewinn der postfaschistischen „fratelli d’italia“ niemand mehr leugnen. Dass die Gebrüder Italiens von einer starken – wenigstens blonden! – Frau angeführt werden, ist nur der heuchlerische Versuch ihren Sexismus und ihre Queerphobie zu verstecken. Nach wie vor werden geschlechtliche „Andere“ (Frauen und Queers) benutzt, um die Gesellschaft zu spalten und Stimmen zu fangen. Einige wenige – meist weiße – Frauen, die sich an die Spitze der Macht hieven, sind nur Schleier vor den Haizähnen.
Das politische System, das wirtschaftliches Wachstum für wichtiger hält als menschliches Wohlergehen, hat seit den 80ern einen guten Nährboden für eine Ökonomie der Ungleichheit bereitet. Auf diesem regen sich nun die alten, halb verscharrten Leichen des 20. Jahrhunderts wieder. Der Nationalismus winkt seine gärenden Flaggen. Gleichwohl sind wir an einem anderen Punkt als 1930. Eine wirklich sehr grobe These, die ich hier an Sie ranwerfe, ist die: Heute ist der Nationalismus „nur“ die Religion der unteren Klasse; derjenigen, die vom Fortschritt abgehängt wurden und keine Möglichkeit auf soziale Mobilität durch Bildung haben. Der Karrierismus schließlich ist die Religion der mittleren Klasse.
Ob Sie da mitgehen oder nicht, ich würde sagen, dass Männlichkeit nach wie vor am selben Punkt ist wie früher. Es fällt vielen Männern einfacher ihr Land, die eigene (weiße) Hautfarbe oder ihren Erfolg zu lieben als Menschen. Als sich selbst und andere. Ich spreche hier auch von mir selbst. Lange Zeit war mir meine „Karriere“ wichtiger als meine Gesundheit. Erst seit ich begonnen habe, eine schreiberische, hexerische und soziale Praxis zu entwickeln, die nicht nach Anerkennung strebt, nach symbolischer Macht, sondern mich in die Orte und Lebewesen zu verflechten sucht, mit denen und in denen ich lebe, geht es mir besser. Vielleicht war dies die größere soziale Transition, als jedes Kleid und jede Schminke und jedes Pronomen: dass ich so viel über Gefühle spreche und so viel Verletzlichkeit zugebe, ohne mich selbst dafür zu hassen.
Eine Beobachtung, die zu einer weiteren groben These führt: Viele weiße Cis-Männer in meinem Umfeld hatten in den ersten 10 Jahren ihres Erwachsenseins einen run. Es lief alles wie geschmiert. Die Welt war für sie gemacht. Studium, Beziehung, Sport, Berufseinstieg: top. Doch beobachtete ich, dass viele Ende 20 stolperten. Dass die Beziehung abbrach und sie verloren auf Weltreisen und Drogenräuschen nach Sinn suchten. Dass der Job eine Enttäuschung war und ihre Identität wankte. Dass ihre schwierige Kindheit sie heimsuchte. Dass sie nicht mehr so viel Energie hatten wie früher. Dass das, was die Gesellschaft als lebenswertes Bild vorgab, ihnen keine Freude bereitete.
Im Gegensatz zu den Cis-Frauen und Queers. Wir hatten Mühe, in die 20er reinzukommen. Suchten, therapierten, rangen. Viele fanden aber irgendwann den Dreh und den Boden unter den Füßen. Es ist nicht so, dass wir keine Herausforderungen mehr haben und die Cis-Männer schon. Aber mir scheint, dass es einen Unterschied gibt: Wir Anderen können scheitern. Wir können den Wagen an die Wand fahren, suchen uns dann halt Hilfe, Community, sprechen miteinander, gehen wieder in Therapie, kümmern uns um unsere Wunden, verfallen nicht mehr allzu sehr in Selbstzweifel und -hass.
Ich sehe eine große Verletzlichkeit in den Cis-Männern meiner Generation und eine kleine, eine immense Bereitschaft, sich den Gefühlen zu stellen. Und ich sehe eine große Angst davor. Virginie Despentes schreibt in „King Kong Theorie“ über die Männer, die jammern, dass die feministische Emanzipation ihnen ihre Männlichkeit raube: „Sie sehnen sich nach einem früheren Zustand zurück, als ihre Kraft in der Unterdrückung der Frauen wurzelte. Sie vergessen, dass dieser politische Vorteil einen Preis hatte: Die Körper der Frauen gehören den Männern nur dann, wenn die Körper der Männer in Friedenszeiten der Produktion und in Kriegszeiten dem Staat gehören.“ Amen.
Ich meine und hoffe zu sehen, dass die aufgeklärten Männer in meinem Umfeld die Körper der Frauen nicht mehr unterdrücken wollen. Und ihre Körper auch der kapitalistischen Karrieremaschinerie zu entziehen beginnen. Und auch in den schrecklicherweise wieder vorstellbaren, dräuenden Kriegszeiten ihre Körper nicht dem Staat, ihrer Nation verfüttern wollen. Wem aber gehört ihr Körper, wenn er nicht dem Kapitalismus und nicht dem Nationalismus gehört? Wie kommen Zimmerpflanzen nach den Jahren der Einzeltopfheit in symbiotische Verwurzelungen? bell hooks schreibt, dass uns der Wille zur Veränderung nach Hilfe suchen lässt. Dass uns aber die Angst vor Veränderung genau diese Hilfe, die wir eigentlich suchen, verweigern lässt. Und dass ein großes Problem patriarchaler Männlichkeit ist, dass sie Männern Angst vor Veränderung eintrichtert. Ich glaube, dass eine der kosmargonautischen, wässrigen, uns über unsere Stammesgrenzen tragenden Lektionen von trans* Menschen ist, dass Veränderung nicht aus unserem Hiersein zu tilgen ist. Und dass sie verdammt schön sein kann.
*
Warum ich das in so stockenden, mich in intellektuellen Zitaten und halblustigen Wortwendungen schützenden Sätzen vorpredige? Ich weiß nicht, wie es Ihnen so geht auf diesem Planeten, aber ich habe ein Problem mit den lieben Männern. Mein Problem besteht darin, dass ich Angst vor ihnen habe. Eine Angst, dass sie mir körperlich etwas antun, direkt oder indirekt. Durch Fäuste, Wörter oder politische Entscheidungen. Eine Angst, dass mein Körper sie begehrt und sie mich deshalb zerstören.
Ich fürchte mich vor den unterschiedlichsten Männern dieser Welt. Ich fürchte mich vor den Wladimir Putins, Elon Musks, Recep Erdoğans. Ich fürchte mich auch vor den Jungs an der Tankstelle, den Fußballfans nach einem Derby, dem Obdachlosen, der manchmal mit einem Messer durch die Trams meiner Stadt streicht. Ich fürchte mich vor dem schönen Nachbarn, ich fürchte mich vor den Polizisten, wenn ich auf dem Gehsteig Fahrrad fahre, ich fürchte mich vor dem dominanten Kellner, der mir erklärt, wo ich aufs Klo zu gehen habe. Ja, wenn ich ganz ehrlich bin, dann fürchte ich mich ganz grundsätzlich vor Männern. Oder fürchte ich mich nicht eher vor ihrer Männlichkeit, vor der Geschlechtlichkeit dieser Menschen, als vor den Individuen? Denn, wie die Schweizer Politikerin Simonetta Sommaruga mal sagte: „Gewalt hat keine Ethnie, kein Alter und keine Klasse, aber sie hat ein Geschlecht.“
Ich weiß, das ist jetzt kontra-feministisch-intuitiv, aber versetzen wir uns einmal in die Männer, die uns Angst machen. Wie ist die Angstmacherei wohl für sie? Wie ist es in einem Körper zu leben, der nicht Liebe, sondern Angst inspiriert? Der nicht Nähe und Zärtlichkeit, sondern Anerkennung und Verherrlichung suchen muss; Dinge, die nur aus der Distanz möglich sind? Wie ist es, zu leben, ohne geliebt zu werden? Ich würde sagen: Scheiße. Natürlich kann es auch geil sein, Anerkennung kann eine Droge sein, Angst machen kann sich mächtig und groß anfühlen. Aber es ist auf jeden Fall einsam.
Ich glaube, dass unsere Körper Instrumente sind; wir müssen sie spielen und aus ihnen erklingen unsere Stimmen, Geschichten, Blickwinkel, Verletzlichkeiten: Lieder von der Suche nach Vernetzung. Ich glaube, dass viele Männer in dieser Gesellschaft Inseln sind. Spinnen ohne Spinndrüse. Dass sie die Umkleidekabinen in sich tragen und nicht aus der Angst vor Gefühlen rauskommen. Sie sind Instrumente, die nicht mehr singen, sondern schreien, weil sie nicht gehört werden. Weil ihnen nicht beigebracht wurde, dass sie sich selbst zuhören können. Weil für viele die Gewalt und der Tod immer noch die möglichere Möglichkeit ist als das Scheitern.
Ich glaube, dass Krieg das auf die Spitze getriebene Machtspiel frustrierter Männer ist, die in der Umkleidekabine nicht zu den Besten gehörten und sich am meisten nach der Liebe sehnte und wegen ihrer Hässlichkeit weiter davon entfernt waren als all die anderen uncoolen Jungs. Ich glaube, dass eine Heilung unserer Geschlechterwunden mit zu den effizientesten Kriegsverhinderungstaktiken gehört. Dass dies aber nicht losgelöst von Fragen der ökonomischen, ökologischen und rassifizierten Ungleichheiten zu behandeln ist.
Und hier sitze ich, mit gewagtem Lidstrich, high-waist Hosen in einem Café, mich zeigend und gleichzeitig – wie immer – mich in meinen Gliedern versteckend, und ich träume von einer anderen Männlichkeit, ich träume von einer nicht-patriarchalen Männlichkeit, ich hege hier in mein Notizbüchlein kritzelnd die keuschen Träume von einer vergangenen und noch möglichen Männlichkeit, die sich die Liebe erlaubt, die sich Gewalt verbietet. Eine Männlichkeit, die sich nicht durch Angst in diese Welt bringt. Eine Männlichkeit, die wir lieben können, ohne sie verherrlichen zu müssen. Wie könnte denn so eine Männlichkeit aussehen?
Hören wir doch mal der Hexe Starhawk zu: „Mit Männlichkeit meine ich keine der Eigenschaften, die Männern willkürlich zugeschrieben werden, als ob sie nicht auch für Frauen gelten würden. Ich meine nicht solche Dinge wie Aggressivität, Durchsetzungsvermögen, Aktivität, auf der Yang-Seite der Dinge zu stehen, Rationalität und Logos. Ich meine nur das Vermögen, zu Hause zu sein – stark, potent und wach für das Empfinden in einem männlichen Körper.“ [Übers. d. V.] In einem männlichen Körper. Nicht: in einem Mann.
*
Liebe Männliche
Zum Jahreswechsel einige fromme Wörtchen von mir, auf dieses schwankende Schifflein aus Papier gepfrümelt, in den Mahlstrom der Schrecknisse, Kälten, Diskurse, Säbelrasseleien und Raunächte hineingeschubst. Ich will euch eure Männlichkeit nicht rauben. Ich will mit euch die Möglichkeit männlicher Körper imaginieren, die nicht im WettKampf mit anderen Körpern stehen. Ich möchte mit euch die Schönheit männlicher Körper erdreamen, die ihre Scham vor dem Wörtchen Liebe lauthals hinaus kichern, statt sie auf andere zu projizieren. Die die juvenilen Garderobenregeln brechen.
Ich möchte mit euch Männlichkeiten herbeibeten, die nicht luftig-göttlich sein müssen, sondern erdig-krümelig sein dürfen. Die ihre Karrieren und Nationen in einer randlosen, grandios scheiternden Sehnsucht nach nicht-dominierenden Verwebungen mit anderen Körpern auflösen. Die nicht nach Dominanz, sondern Kooperation streben. Und ich will euch für eure Geschlechtlichkeit wertschätzen können. Dafür, dass ihr ein Geschlechterstrauß unter vielen seid. Und nicht das Beste sein müsst. Weil, let’s be honest: An Prince kommt niemensch ran. Viel purple rain to you.
taz lesen kann jede:r
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