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Männerfreundschaften

Die Opfer möchten eigentlich gar keine Opfer sein: In der Literaturwerkstatt diskutierte der ehemalige DDR-Underground über den Fall „Sascha Anderson“ ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Prenzlauer Berg. Acht Jahre ist es her, dass der Liedermacher Wolf Biermann in seiner Büchnerpreisrede den Dichter Sascha Anderson ein „Arschloch“ nannte und später zu „nicht mal ein Arschloch“ überging, dass der freie Fernsehjournalist Holger Kulick ein Treffen mit dem damals noch vermeintlichen Stasi-IM arrangierte und dass kurzzeitig alles zumindest wieder so rüberkam, als wenn der ehemalige Szeneorganisator zu Unrecht beschuldigt worden wäre.

Im Winter 91/92 ging’s hoch her: In einer Spiegel-Serie hatte der inzwischen verstorbene Bürgerrechtler Jürgen Fuchs Sascha Anderson, den Dichter der Spaltung, der jedem „Satelliten“ via Rotbuch einen „Killersatelliten“ zugeordnet hatte, als inoffiziellen Mitabeiter des Ministeriums für Staatssicherheit nebst Decknamen – Menzer, Müller, Peters – enttarnt und sechs Millionen Stasi-Akten ein „Auschwitz der Seelen“ genannt. Lang ist das alles her und es ist schon komisch, wenn man beim Herumzappen in der Nacht zufällig auf alte Veranstaltungen aus dem Winter 89/90 stößt, in denen Sascha Anderson mit Heiner Müller auf dem Podium über die Veränderung der Verhältnisse spricht.

Mittlerweile sind die so genannten Täterakten von Anderson aufgetaucht. Als er mit der Stasi anfing, war er kaum 18. Im Januar 75, mit 21, unterschrieb er seine Verpflichtungserklärung. Zwischen 76 und 78 versuchte er sich zu lösen. Zwischenzeitlich saß er ein Jahr lang im Knast wegen Scheckbetrugs. Auch nach seiner Ausreise in den Westen – 1986 – setzte er seine Agententätigkeit fort, wofür er später zu dreitausend Mark verurteilt wurde.

Der Westjournalist und ehemalige Freund Andersons, Holger Kulick, hat die ganzen Akten gelesen und auf 40 Seiten in der Zeitschrift Horch und Guck (Ruschestraße 103, 10365 Berlin) zusammengefasst. Anderson hatte über jeden so ungefähr alles erzählt, 500,- Mark im Monat bekommen und seinen Auftraggebern sogar angeboten, mit Nachschlüsseln in die Wohnungen seiner Freunde einzudringen. Das Ausmaß von Freundesverrat und auch Verrat an sich selbst war niederschmetternd, auch wenn der direkte Schaden (Verhaftungen) eher gering war. Manche Passagen lesen sich auch sehr seltsam, wenn er 86 in einem Lebenslauf für die Stasi etwa schrieb: „manchmal hatte ich sogar den eindruck, dass ich dafür bezahlt wurde, mich selbst zu überwachen, hoffe aber, dass meine arbeit trotzdem so nützlich ist, dass sich der einsatz lohnt“.

Am Mittwochabend traf man sich in der Literaturwerkstatt Pankow, um über den Fall Anderson und die Folgen zu sprechen. Auf dem Podium saßen unter anderem Christoph Tannert, früherer Organisator avantgardistischer Kunstveranstaltungen in der DDR und nunmehr Leiter des Künstlerhauses Bethanien, Literaturwissenschaftler Peter Böthig, der vor Jahren ein Standardwerk über Stasi und Literatur verfasste, die früher mit Anderson befreundeten Künstler Kerbach und Cornelia Schleime, Holger Kulick, Szenestar, Kneipier und Ex-Ost-Undergroundstar Bert Papenfuß und der wie so oft beeindruckend vernünftige Schriftsteller Jan Faktor.

Eine seltsame Veranstaltung. Die Anderson-Opfer fühlten sich nicht so richtig als Opfer. Bis auf Kulick, der Anderson „Hochverrat“ attestierte und im Nachhinein auch seine Texte nicht mehr gelten lassen wollte. Papenfuß warf Kulick in einem polemischen Text vor, sich nur profilieren zu wollen und sozusagen der enttäuschte Eckermann zu sein, und fand es irgendwie wohl überhaupt unmöglich, dass Westler sich die Akten anschauen durften. Das Gleiche hätten ihm sowohl Anderson als auch dessen Führungsoffizier, mit dem er am Nachmittag gesprochen hätte, auch schon gesagt, sagte Kulick und konstruierte Stasi-Verschwörungen und sagte irgendwann, wenn Anderson alles ordnungsgemäß gebeichtet hätte, wäre er ja bereit gewesen, die Freundschaft fortzusetzen. Männerfreundschaft! Männerfreundschaft! Männerfreundschaft!

Andersons Rolle in der Nachwuchskunstszene der späten DDR beurteilten fast alle immer noch unglaublich ambivalent. Er verteidigte bei der Stasi auch gleichzeitig die Kunst, die er verriet, und war wohl auch ein großer Womanizer. Der Prenzlauer Berg sei eine unglaublich deprimierende Ansammlung labiler Nichtstuer gewesen, sagte „ein Kenner der Szene“ am Ende der interessant ausufernden Veranstaltung. Anderson lebt nun in Frankfurt und sähe unglaublich schlecht aus, sagte besorgt eine „Ich bin nicht sein Opfer“-Frau in der ersten Reihe.

Die verdienstvolle Arbeit von Kulick und die Veranstaltung werden dazu führen, aus Anderson einen großen zerbrochenen Helden zu machen. Die Kindheit war wohl auch furchtbar. Eins. Anderson, der inzwischen in Frankfurt lebt und an seiner Autobiographie arbeitet, wird sie nicht angemessen schreiben können. Zwei. „Und da saß der also zuhause vor zwei Fernsehern – ein König! – und ich dachte, kann denn ein König nicht auch 15 Fernseher haben.“ Das schrieb der Dichter Peter Wawerzinek vor acht Jahren.

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