Mädchenband: Berühmt in der Bravo-Welt
Debbie rockt! aus Reutlingen sind vielleicht das heißeste Ding seit Tokio Hotel. Oder ist ihr Erfolg virtuell? Über das Warten auf die Massenhysterie.
In einem Drogeriemarkt zu Hause in Reutlingen haben sie neulich wieder gemerkt, wie sich das anfühlen könnte, wenn es klappen würde. Fie, die Sängerin, und Kathi, die Gitarristin, wollten nur ein paar Schminksachen kaufen. Plötzlich standen diese beiden Mädchen vor ihnen: "Seid ihr nicht die von Debbie rockt!?" Zwei Fans, die auch gleich anfingen, ganz hektisch zu atmen. Fie und Kathi wussten nicht, was sie sagen sollten. In diesem kurzen Moment zwischen den Kosmetikregalen waren sie Stars. Ein seltsames Gefühl.
Es geht gerade erst los alles, es ist noch nicht ganz klar, wo es hingeht. Vielleicht kriegen sie nächstes Jahr eine Goldene Schallplatte. Vielleicht spricht dann keiner mehr von Tokio Hotel und jeder von Debbie rockt!. Vielleicht endet in ein paar Monaten auch schon wieder alles, wie eine verlängerte Klassenfahrt. Zurzeit arbeiten Viva, Bravo, Popcorn, ihr Label Sony BMG, die Internetcommunity SchülerVZ, ihr Produzent, ihr Tourmanager und ihr Roadie daran, dass es klappt. Und sie selbst natürlich. Sofia, die sie Fie nennen, 16 Jahre alt, Isolde-Kurz-Gymnasium Reutlingen, zehnte Klasse. Die 17 Jahre alte Denise. Margot, genannt Tan, gesprochen Tän, und Rosa, beide 19, beide Abiturientinnen. Kathi, genauso alt, Erzieherin in der Ausbildung.
Sie haben in den vergangenen Monaten sehr wenig Zeit in ihrer Schule verbracht und sehr viel im Studio, in Zeitschriftenredaktionen, in Hotels, bei Fotoshootings. Sie drehen Videos, geben Autogramme und Interviews. Sie haben mit schweißnassen Händen in riesigen Hallen bei der "Bravo Super Show" und bei "The Dome" gespielt. Heute, am Ende der Woche, ist Berlin dran, Oberschule Marienburg, eine Station auf ihrer SchülerVZ-Tour. Sie sind Dienstag in Frankfurt aufgetreten, Mittwoch in Stuttgart und Donnerstag in München. Jeden Tag zwei Auftritte, mittags in einer Schule, abends in einem Club. "Man ist eigentlich die ganze Zeit durchgeschwitzt und stinkt", sagt Tan, die Schlagzeugerin. In der Nacht sind sie in dem weißen Mercedes-Sprinter von München nach Berlin gefahren. Auf dem Bildschirm lief "Pulp Fiction". Die linke Box klapperte.
Jetzt sitzen sie nach ein paar Stunden Schlaf wieder im Bus. Auf dem Boden liegen sechserpackweise Wasserflaschen und die neueste Ausgabe der Zeit, auf dem Armaturenbrett eine Popcorn und eine Bravo. Fie sagt: "Ich hab gerade voll Schiss, dass wir den Club heute Abend nicht voll kriegen."
Die Popcorn fragt auf Seite 12, ob Tokio Hotel vor dem Absturz stehen. Ab Seite 20 gibt es unter der Überschrift "Wir lassen uns nicht verarschen" ein Interview mit Debbie rockt!. Der Tourmanager parkt den Sprinter am Rand der gepflasterten Straße unter hohen Laubbäumen. Sie tragen Taschen, Rucksäcke, Wasserflaschen und Handtücher über die weiten Steintreppen bis in die Aula im ersten Stock. Zwischen den Schülergrüppchen, die im Treppenhaus stehen, fallen sie nicht auf in ihren Lederjacken, Sweatern, Jeans und Chucks, mit den gefärbten Haaren, lila, feuerrot, knallblond. Sie sehen aus wie Punkpopstars, wie H&M-Schaufensterpuppen, wie die meisten Jugendlichen heute.
Die Frisur der Gitarristin Denise wird immer wieder mit der des Tokio-Hotel-Sängers Bill verglichen. Sie werden überhaupt ständig mit Tokio Hotel verglichen. Weil sie auch Teenies sind und auch nicht von Marketingmanagern zusammengecastet wurden, sondern sich in einem Probekeller im Haus der Jugend in Reutlingen gefunden haben. Was sie von Tokio Hotel unterscheidet: Sie sind eine Mädchenband. Das macht es nicht unbedingt leichter. In Mädchenbands verliebt sich kaum jemand. In der Nacht vorm Berliner Konzert stehen keine kreischenden Horden kleiner Jungs am Hotel Kronprinz.
Die Bravo-Erfolgsstory von Debbie rockt! begann beim Bandcasting eines Stuttgarter Studios, da sangen sie schon auf Deutsch, nicht mehr auf Englisch, und sie konnten ein paar Gitarren-Akkorde. Angefangen hatten sie mit einem einzigen: e-Moll. Das Album, das sie dann aufnahmen, wollten vier Majorlabels herausbringen. Die Labelleute haben sich um sie gerissen.
Sie sind authentisch, eine echte Band. Es gibt wegen dieser ganzen Casting-Shows einen Bedarf für so etwas. Echte Bands lassen sich ganz gut verkaufen. Weil aber jedes große Label auch für echte Bands Marketingpläne macht, geraten sie oft in den Verdacht, doch nicht so echt zu sein, wie sie vielleicht wirken sollen. Man wird schnell zur angeblich authentischen Band. Auch sie leben mit diesem Verdacht.
Bisher ist der Erfolg von Debbie rockt! noch ein ziemlich virtueller. Er besteht aus Bravo-Artikeln, Viva-Videos und Radio-Interviews. Er ist geliehen wie der Mercedes-Sprinter, mit dem sie von Konzert zu Konzert fahren. Ihre erste Single hieß "Ich rocke". Sie ist im Frühjahr auf Platz 48 in die Charts eingestiegen. In den Teenie-Zeitschriften allerdings war vorher immer von den Top-Ten die Rede gewesen. Mindestens. In der zweiten Woche lag ihre Single auf Platz 53. "Das war doch ein bisschen ernüchternd", sagt Fie. Sie steht mit den anderen in der Ecke der Aula neben zusammengeklappten Tischtennisplatten und einem Berg gestapelter Stühle. Über die Bühne wabert Kunstnebel. Ole, der Roadie, testet das Mikro: "Äh, äh, äh, jajajajajaja."
Andererseits, sagt Fie dann, ist es ja auch ein Wunder. Vor einigen Monaten haben sie in Reutlingen noch im Nepomuk oder im Hades gespielt. Und auf den "Rock Days" in Bad Urach. Jetzt sind sie Stars in der Bravo-Welt. Sie mögen diese Welt nicht besonders, aber sie haben zusammen entschieden, dass das eine Chance ist, die sie nutzen wollen. "Gehört halt dazu", sagt Tan, ewig wolle sie das nicht machen. Sie betrachten die Sache schwäbisch-pragmatisch. In der Bravo-Welt sind sie nun auskunftspflichtig: erstes Mal, erster Kuss. Noch irgendwer Jungfrau? Sie überlegen sich Sätze, die nach etwas klingen, aber nichts bedeuten. Das erste Mal? Besser als erhofft, aber schlechter als erwartet. Rosa hat sich das ausgedacht. Es hat auch Vorteile, eine Mädchenband zu sein, findet sie: "Man kann rumknutschen, mit wem man will." Die Fans springen nicht gleich aus dem Fenster.
Obwohl ihr Erfolg noch gar nicht mit Single-Verkäufen gedeckt ist, gibt es längst Neider, gibt es das, was sie den Anti-Hype nennen. Freunde, die ihnen vorwerfen, sie würden sich als Pop-Mädchen verkaufen. Die von Kommerz und Kapitalismus schwadronieren. Tan sagt, dass sie sich genau überlegen, was sie tun und was nicht. Das Label wollte, dass sie am Ballermann auf Mallorca spielen. Das haben sie abgelehnt.
Es gibt Leute wie den jungen Musiklehrer der Oberschule Marienburg, der beim Soundcheck zuhört und sagt, sie würden glatt klingen, ohne Ecken und Kanten, zielgruppengerecht. Er sagt das wie ein Schimpfwort. Vielleicht klingen Debbie rockt! aber auch einfach wie eine Teenie-Band, die immer gerne Gitarrenpopmusik gehört hat und mit einem überschaubaren Repertoire an Akkorden ihre eigene Gitarrenpopmusik produziert.
Kurz vor dem Auftritt warten sie direkt neben der Bühne hinter einem Vorhang. Fie schreibt sich schnell die Playlist auf einen Zettel. Die anderen hüpfen auf den blauen Turnmatten wie auf einem Trampolin. Die Stimmung, aufgekratzt und gelöst, wie vor einer Schultheateraufführung. Dann steht Fie mit ihren blonden Pipi-Langstrumpf-Zöpfen, in ihrer engen schwarzen Stretchjeans und dem Ringelshirt auf der Bühne, Rücken zum Publikum, und sagt: "Aufgepasst, Babys, hier kommt Debbie ", kurze Pause, gesprungene Drehung zum Publikum: " rockt!" Im nebligen Licht der bunten Scheinwerfer kreischen einige Teenies. Fie singt von Illusion, Skorpion, Explosion, Traumvision. Kathi und Rosa lächeln sich zwischendurch an und hüpfen fast schüchtern auf und ab. Denise steht breitbeinig am rechten Bühnenrand und drischt mit großem Ernst in ihre zweigezackte Gitarre. Es sind Probeposen an Übergröße-Instrumenten, manche noch etwas unsicher. Aber die Augen leuchten bei allen, als wollten sie damit beweisen, was sie immer wieder sagen: Wir möchten einfach nur Musik machen.
Sie spielen die kurze Playlist. Fünf Songs, keine Zugabe. Anschließend stehen sie auf den Matten hinterm Vorhang, schweißnass, Handtücher um die Schultern. Kathi sagt, dass sie die Menge immer anheizen wollen, "aber wenn sich nichts heizen lässt, ist doof". Sie wirken dennoch zufrieden. Sie sehen das alles ziemlich gelassen irgendwie. Ein paar Minuten später sitzen sie auf der Bühne und geben Autogramme. Schüler notieren sich die Adresse des Clubs, wo Debbie rockt! am Abend spielen, ins Hausaufgabenheft. Der stellvertretende Schulleiter kommt, Fotoapparat um den Hals, Schweiß auf der Stirn und bedankt sich bei der Band. "Kostet ja auch alles viel Zeit und Geld, so ein kurzer Auftritt." Er wünscht für die Zukunft alles Gute. "Die sind ja sehr jung, die können ja noch eine Weile arbeiten." Mit Manager, Roadie und einigen Schülern rollen sie Kabel auf, tragen Gitarren, Schlagzeug und Boxen in den Bus. Dann: kurz duschen im Hotel.
Am Abend, im Privatclub, sind nicht gerade viele Leute da und alle sitzen an den Rändern. Fie nimmt das Mikro in die Hand und sagt ganz leise, zischt fast: "Würdet ihr bitte aufstehen und euch hier vorne hinstellen." Es wirkt, als wäre sie sauer, dass in solchen Momenten die Bravo-Blase platzt, an die sie manchmal doch ganz gerne glauben würde. Der zweite Song des Abends heißt "Ich rocke": "Wir können es kaum erwarten abzuheben. Der Countdown läuft."
Das war vor 14 Tagen. Heute erscheint ihre neue Single "Nie mehr Schule". Sie hoffen natürlich, dass sie weiter oben in den Charts einsteigt. "Vielleicht aber", hatte Rosa irgendwann an diesem Tag gesagt, "müssen wir unsere Fanbasis auch langsam aufbauen. Vielleicht müssen wir auf Beständigkeit setzen." Es klingt angenehm vernünftig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Titel Thesen Sexismus
Warum Thilo Mischke nicht TTT moderieren sollte