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Macrons Arbeitsmarkt- und RentenreformEmmanuels „Revolution“

Macron muss die Gunst der Stunde nutzen, um seine Reformen durchzusetzen. Der Rückenwind wird nicht ewig bleiben, Widerstand formiert sich.

Der neue Sonnenkönig: Emmanuel Macron mit Palastwache vor dem Elysée Foto: reuters

Paris taz | Sofort nach seinem Amtsantritt hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Turbo geschaltet: Noch vor dem zweiten Wahlgang veröffentlichte er die Gesetzesvorlage, mit der die Regierung ihr Versprechen halten will, in der Politik für mehr Ehrlichkeit, Transparenz und Moral zu sorgen. Das ist nach der Fillon-Affäre Macrons Hauptanliegen.

Eine zweite Priorität ist der Kampf gegen den Terror. Macron übernimmt persönlich das Kommando einer „Task Force“ in direkter Verbindung mit sämtlichen Nachrichtendiensten. Parallel dazu droht Macrons Regierung nach einer weiteren Verlängerung des Ausnahmezustands damit, mehrere Bestimmungen dieser Sondervollmachten für die Überwachung in die Gesetzgebung zu übertragen. Das Verfassungsgericht musste mahnen, dass ein allzu pauschales Demonstrationsverbot nicht zulässig wäre.

Sozialpolitisch „heiß“ wird es aber im Sommer werden, wenn die sozial- und wirtschaftspolitischen Reformen auf der Agenda stehen. Dank seiner absoluten Mehrheit kann Macron eine umfassende Liberalisierung des Arbeitsrechts auf dem Dringlichkeitsweg per Anordnung durchsetzen. Diese Prozedur braucht die Bewilligung der Abgeordneten und Senatoren, ermöglicht es der Regierung aber, viel schneller als sonst vorzugehen.

Am liebsten würde Macron diese Pläne im Detail noch geheim halten, um nicht im Voraus Widerstand gegen den erwarteten Angriff auf soziale Errungenschaften zu provozieren. Bereits jetzt sind durch Indiskretionen die Linien dieser Arbeitsmarktreform bekannt. Die Zeitung Libération hat sich einen als vertraulich klassifizierten Entwurf beschafft und den auch publiziert, obwohl die neue Arbeitsministerin der Redaktion mit einer Klage wegen Verletzung von Amtsgeheimnissen gedroht hat. Doch die Libé ließ sich davon nicht einschüchtern.

Ein unnötiges Dilemma

Dem Dokument ist zu entnehmen, dass die Reform sehr viel weiter gehen soll als die mit der „Loi El Khomri“ – benannt nach der damaligen Arbeitsministerin Myriam El Khomri – bereits unter Hollande unter Ach und Krach erfolgte Revision des Arbeitsrechts. Was Macron da vorhat, wäre eine große Umwälzung im Verhältnis der Sozialpartner und des Staats.

Was bisher nämlich vom Gesetz wie in Marmor gehauen war, soll künftig auf Betriebs- und Unternehmensebene diskutiert und beschlossen werden: die Dauer der Dienstverträge, die Kündigungsbedingungen, die Arbeitszeiten, die Löhne und auch die Mitbestimmung. Wie sehr dabei tatsächlich verhandelt werden kann, hängt dann von den Kräfteverhältnissen im jeweiligen Betrieb ab.

Die Arbeitgeberverbände haben bereits mit Wohlwollen auf dieses Entgegenkommen reagiert; die Gewerkschaften, denen die Regierung Transparenz und Gesprächsbereitschaft verspricht, sind skeptisch oder bereits entschieden dagegen.

Den Arbeitgebern möchte die Regierung zudem durch eine Begrenzung der maximalen Entschädigungen entgegenkommen. Bisher geht der Kündigungsschutz für Festangestellte in Frankreich viel weiter als in anderen EU-Staaten. Im Fall einer Entlassung oder vorzeitigen Pensionierung werden vergleichsweise hohe Entschädigungen fällig. Das wiederum wurde von Arbeitgebern immer als Grund angeführt, warum sie kein Personal anstellten oder nur temporär Beschäftigte: der hohe soziale Standard könne so den Kampf gegen Arbeitslosigkeit hemmen. Für Macron ist dies ein unnötiges Dilemma.

Die volle Wahrheit vorenthalten

Auch in der Rentenpolitik plant Macron eine „Revolution“. So will er die unzähligen Pensions­kassen vereinigen und die Rentenberechnung individualisieren. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer soll dadurch steigen, dass ein Teil der Sozialleistungen nicht durch Lohnabzüge, sondern über eine geringe Steuererhöhung erfolgen soll. Diese würde nur bestimmte Erwerbstätige, aber auch Rentner treffen.

Zu den ersten Maßnahmen gehört auch eine Bestandsaufnahme der Volkswirtschaft und öffentlichen Finanzen. Das bestimmt, ob und wie rasch Macron sein Programm umsetzen kann. Vor fünf Jahren hatte es François Hollande versäumt, eine derartige Inventur zu machen. Er hatte sich dadurch nicht nur selbst getäuscht, sondern auch den Landsleuten die volle Wahrheit über die desolate Lage vorenthalten.

Macron hat viel aus den Fehlern Hollandes und Sarkozys gelernt. Er weiß, dass jede gescheiterte Reform die Chancen für weitere Änderungen vereiteln kann. Der heutige Rückenwind wird zudem nicht ewig anhalten. Mit der großen Mehrheit, die er jetzt wohl bekommen wird, hat er keine Entschuldigung, wenn er seine Pläne nicht konsequent umsetzt – oder dies wenigstens versucht.

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12 Kommentare

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  • Frage ist, welche Wirtschaftspolitik funktioniert. Dazu braucht man sich nur die einschlägigen Parameter anzuschauen.

  • Die sozialen und arbeitsmarktrechtlichen Reformen werden den Franzosen den kalten Wind der Agenda um die Ohren wehen lassen.

     

    Dass sich dieses Projekt gegen die rechtliche Position der Arbeitnehmer richtet, dürfte nicht schwer zu erkennen sein, darüber braucht niemand lange zu diskutieren, für die Gewerkschaften wird es jetzt sehr ernst, denn mit Deutschland im Nacken wird Frankreich keine Wachstumsquoten von plus drei oder vier Prozent erreichen und das bedeutet, dass den Arbeitnehmer viel genommen werden kann und dass sie eigentlich nichts dazu gewinnen können.

     

    Macron wird wohl genau das werden, was man befürchtet hat, ein neoliberaler 'Modernisierer' - sprich er wird eine Polarisierung von Arm und Mächtig gegen arm, arbeitslos und marginalisiert durchpeitschen. Ob es zehn oder fünfzehn Prozent der Franzosen trifft, ist wohl die offene Frage.

     

    Die bürgerlischen Kreise werden sich darüber aber nicht recht freuen können, denn schon jetzt randalieren die armen und marginalisierten Franzosen alle Jahre - es könnte noch heißer werden. Und einige IS-Jihadisten sind auch diesen Kreisen entsprungen, auch das droht Frankreich: Islamisch eingefärbte Gewalt durch marginalisierte, die keine Chancen mehr haben, die sich aufgeben und jeder Rattenfängerei hinterher laufen. Marine Le Pen dürfte langfristig noch mehr Wähler gewinnen können.

  • Trotz aller Kritik an E. Macron ist der 1. Schritt zur Besserung Wahrheit, Klarheit und Transparenz. So beginnt es schon in den Molussischen Katakomben bei Günther Anders.

    Die Sozialisten hatten wohl alle - gibt es Ausnahmen ? - keine weiße Weste.

    Beginnend mit F. Mitterand, der in den 30er Jahren eine sehr unrühmliche Rolle in Nordafrika spielte. Milde ausgedrückt.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Herr Balmer läuft in liberale Hochform auf, wenigstens legt er den Umfang des geplanten Sozialabbaus und der Einschränkung von Grundrechten dar. Desweiteren erklärt er uns mit einer entwaffnenden Offenheit, dass es für ihn zu Sozialabbau, Rentenkürzungen und Zerstörung des Arbeitsrechts keine Alternative gibt und das jetzt schnell gehandelt werden muss. Er hat auch keine Probleme mit der undemokratischen Methode, wonach die Nationalversammlung zur Volkskammer à la DDR degradiert wird, die zu 74% aus En Marche Abgeordneten bestehen wird, die von 32% der Wähler bei einer Wahlbeteiligung von 48% im ersten Wahlgang gewählt worden sind.Die Zeitung Libération, die eine Partnerschaft mit der taz hat, betrachtet er als zwilichtiges Presseorgan. Ich möchte an dieser Stelle die taz loben, dass sie auch reaktionären wirtschaftsliberalen Journalisten, die Möglichkeit gibt, Kommentare zu schreiben. Das ist ein gutes Beispiel von Meinungsfreiheit und Pluralität und heizt die Debatte im Forum an. Bravo taz.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @82236 (Profil gelöscht):

      Sie wissen nicht wovon Sie reden, wenn Sie die Nationalversammlung mit der Volkskammer vergleichen. Schliesslich erhielten die Kandidaten der Nationalen Front stets um die 99%. Zum Beispiel 99,94 % Zustimmung bei der Wahl 1986 ...

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @60440 (Profil gelöscht):

        Und die Kandidaten der liberalen Front, LREM mit LR zusammen + die sozialistischen Abgeordneten, die für Macron stimmen werden, also nicht die 150 sozialistischen Abgeordneten, die jetzt Wanderer geworden sind, kommen auf über 90%,. Der einzige Unterschied zur DDR ist die Wahlbeteiligung, die lag bei fast 100%, was der SED und ihren Blockflöten eine grössere Legitimität verlieh als die Wanderer und ihre Blockflöten, zumindestens mathematisch.

  • Endlich bekommen die Franzosen auch ihre Agenda2010 & Hartz IV, zwar auf eine ehrliche Art und Weise. Alle Franzosen wussten es, wem sie mit Emmanuel Macron wählten. Diese Fairness hatten wir in Deutschland mit Gerhard Schröder (SPD) nicht, der sich zur Tarnung seiner „Marktliberalen Reformpläne“ ein Sozialdemokratisches Mäntelchen anlegte und im Grunde sich die Wählerstimmen erschlichen hat. Emmanuel Macron hat auf solches Verhalten verzichtet, und das ist gut so.

    • @Nico Frank:

      Gut ist das nicht, denn es wird nicht funktionieren.

      Wenn F jetzt auch noch den Binnenmarkt abwürgt, so wie in D wird das nichts, wer kauft dann die ganzen schönen Sachen?

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Vielen werden die Reformen nicht gefallen. Aber Frankreich ist auf ausländisches Geld angewiesen um die Wirtschaft anzukurbeln braucht man ausländische Investoren, die wollen aber ein Investorenfreundliches Umfeld, das fehlt im Moment. Der andere Punkt ist das Gewerkschaften nur einen kleinen Teil der Arbeiter vertreten jene die unkündbar in großen Betrieben angestellt sind die too big too fail sind.

    Der Rrst leidet darunter, dass niemand einstellt, da mna in schlechten zeiten nicht kündigen kann, staatlicher überregulierung und zu hohen Steuern.

    Frankreich ist nicht autark, dementsprechend muss es Exportieren will es importieren und deshalb muss es mit Ländern wie China, Brasilien, etc. konkurieren können. Kann man beklagen, aber das ist also ob man sich über das schlechte Wetter beklagt das kann man nicht ändern.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @83379 (Profil gelöscht):

      Ach so, das bedeutet also, dass man auf immer und ewig eine angebotsorientierte Wirtschaftspoltitik fahren muss und gänzlich auf öffentliche nachhaltige Arbeitsplätze schaffende Investitionen verzichten muss.. Das Auspielen von sogenannten priviligierten Arbeitern gegen ungeschützte Arbeiter führt nur dazu, dass die gesamten Sozialstandards gesenkt werden. Ihrer Logik zufolge müsste Macron die 48 Stunden Woche einführen, den Mindestlohn halbieren und das Eintrittsalter in den Arbeitsprozess auf 14 Jahre herabsetzen, das Renteneintrittsalter auf 70 hraufsetzen, damit die Lebenserwartung sinkt

      und die Menschen durchschnittlich nicht mehr als fünf Jahre von ihrer Rente profitieren wie in den fünfziger Jahren, die

      Unternehmenssteuern auf unter 10% ansetzen wie in Junckers Steuerparadies,die Sozialleistungen abschaffen und die öffentliche Wohlfahrt auf private Träger übertragen, um mit China, Indien und Brasilien, wo Michel Temer Schönwetterpolitik betreibt, konkurrieren zu können. Ach so damit die Leute dann doch noch konsumieren können bei schwindender Kaufkraft, muss die Privatverschuldung erhöht werden. Wenn die Menschen dann nicht mehr bezahlen können, nehmen die Banken ihnen das weg, was Sie gekauft haben, setzen die Leute auf die Strasse und bei Selbstmord, verdienen die Beerdigungsinstitute, die auch Bestattungen auf Kredit machen. Und wenn die Blase platzt, ist der Steuerzahler da, um die Banken zu retten. Und Sie meinen, dass hat was mit Wetter zu tun, im Klartext, dass sei die natürliche gottgewollte Ordnung, Eine bessere Definition für reaktionär können Sie nicht geben.

  • "Macron muss die Gunst der Stunde nutzen, um seine Reformen durchzusetzen."

     

    taz = faz

    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/parlamentswahl-in-frankreich-emmanuel-macron-muss-durchgreifen-15057376.html

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @agerwiese:

      Stimmt, Herr Balmer könnte diesen Artikel auch in der faz veröffentlichen. In dem Artikel ist auch kein Hauch irgendeiner linken Ansicht, Kritik oder Formulierung zu entdecken. Als Auslandskorrespondent ist offensichtlich die Zugehörigkeit zur Elite bereits gegeben und mit dieser hat die Solidarisierung zu erfolgen. Ich empfehle hierzu die Untersuchungen oder Interviews von Michael Hartmann. Bspw.: http://www.ksta.de/kultur/soziologe-im-interview--eliten-sind-hauptschuldige-am-rechtsruck-und-fremdenhass--26207456