Machtkampf in der Berlin SPD: Aufgeschoben, aufgehoben?
Eigentlich sollte im Mai Familienministerin Giffey als Nachfolgerin von Parteichef Müller inthronisiert werden. Daraus wird nichts – vorerst.
Das Stillhalteabkommen der drei Führungsfiguren in der Sozialdemokratie währte bis zum vergangenen Mittwoch. Müller war da zu Gast bei TV-Moderator Markus Lanz und ließ es sich nicht nehmen, am Schluss der Sendung eine kleine Pointe zu setzen. „Ich habe das Gefühl, Sie haben gerade wieder richtig Spaß an der Politik“, sagte Lanz zu Müller. Der antwortete lachend: „Hatte ich immer.“
Also bohrte Lanz weiter, lobte, dass Müller während der Corona-Pandemie in die Rolle des Krisenmanagers hineinwachse, und wollte wissen, ob dessen Ankündigungen zu seiner Zukunft in der Landespolitik ein Fehler gewesen sei. Der Regierungschef erwiderte: „Erst mal haben wir was verabredet für den Parteivorsitz und haben gesagt, wir gucken dann, wie es weitergeht.“ Daraufhin Lanz: „Ein knallhartes Dementi ist etwas anderes.“
Die Medien sprangen auf die Pointe an. „Müller hält sich weitere Amtszeit offen“, kommentierte die Süddeutsche Zeitung. Der Tagesspiegel konstatierte: „Michael Müller macht das Regieren großen Spaß“. Aber ist es tatsächlich wahrscheinlich, dass die Berliner SPD bei den Wahlen im Herbst 2021 noch einmal mit Michael Müller ins Rennen geht?
Auf eine Spitzenkandidatur haben sich die Sozialdemokraten tatsächlich noch nicht verabredet, nicht einmal auf ein Procedere. Es gilt lediglich, was bei anderen Parteien normalerweise auch gilt: Der Landeschef hat den Vortritt für die Spitzenkandidatur. Und noch heißt dieser Landeschef Michael Müller.
Kurz nach der Fraktionsklausur im Januar in Nürnberg, bei der überraschend auch Franziska Giffey aufgetaucht war, hatte Müller bekannt gegeben, den Landesvorsitz zur Verfügung zu stellen. Auf einem Parteitag am 16. Mai sollten sich Franziska Giffey und Raed Saleh gemeinsam als Doppelspitze für die Führung der Berliner SPD bewerben; ihre Wahl galt als sehr sicher.
Allerdings wurde der Parteitag im März wegen der Coronakrise verschoben – auf unbestimmte Zeit. Die Exekutive hat nun das Heft des Handels in der Hand und – da das nun auch in der Berliner Landespolitik gilt – das Parteileben der SPD weitgehend lahmgelegt.
Allerdings drängt der Zeitplan. „Bis Ende des Jahres muss ein neuer Landesvorstand gewählt werden“, sagte SPD-Landessprecherin Claudia Kintscher der taz. Grund ist der Paragraf 11.1 des Parteiengesetzes, der vorschreibt, dass ein Vorstand mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr gewählt wird.
Kein digitaler Parteitag möglich
Erschwerend kommt für die Berliner SPD hinzu, dass sie für die Vorstandswahl einen so genannten Präsenzparteitag braucht. Soll heißen, alle 279 Delegierten müssen physisch anwesend sein. Zwar hatte der Landesverband bereits einen regulären Landesparteitag für den 12. Dezember angesetzt, auf dem sollte allerdings schon die Liste für die Bundestagswahl verabschiedet werden. Sollte es bei diesem Fahrplan bleiben, müsste der Landesvorstand also eher gewählt werden.
Ursprünglich war geplant, den ausgefallenen Mai-Parteitag im September nachzuholen. Dafür hat der Landesverband bisher aber keine Räume gefunden, die die Corona-bedingten Abstandsregeln erlauben würden, hieß es aus der SPD.
Sollten die neuen Landeschefs tatsächlich erst im Dezember gewählt werden können, wäre damit auch ein Szenario obsolet, auf das Saleh und Giffey noch im Januar spekuliert hatten: ein Machtwechsel im Roten Rathaus noch vor den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2021. Wenn Franziska Giffey Michael Müller noch in dieser Legislaturperiode abgelöst hätte, hätte sie nicht nur als Spitzenkandidatin, sondern auch als Amtsinhaberin in den Wahlkampf gehen können.
Allerdings ist fraglich, ob Linke und Grüne dafür überhaupt den Weg frei gemacht hätten. „Wir haben eine stabile Koalition und einen Regierenden Bürgermeister. Und es gibt keinen Grund, etwas daran zu ändern“, hatte Kultursenator und Vize-Regierungschef Klaus Lederer (Linke) Ende Januar erklärt. Von Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek war zu hören: „Ich habe das Gefühl, dass er [Michael Müller, d. Red.] gerade vor Kraft und Elan strotzt und seinen Job gern weitermachen würde.“
Aus dem Roten Rathaus heißt es, dass für Michael Müller derzeit nur feststehe, dass es einen Wechsel an der Parteispitze geben wird. Ein Wechsel im Roten Rathaus sei kaum vorstellbar, da die Coronakrise nicht in zwei Monaten zu Ende sei: Weil die Wirtschaft unter der Krise leide, seien Kontinuität und Krisenmanagement gefragt. Außerdem, so heißt es, arbeiteten Michael Müller und seine beiden Stellvertreter Klaus Lederer und Ramona Pop (Grüne) derzeit so gut zusammen wie noch nie seit dem Beginn von Rot-Rot-Grün im Dezember 2016.
Von Fraktionschef Raed Saleh war am Sonntag keine Stellungnahme zu bekommen. Allerdings betonte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ülker Radziwill gegenüber der taz, dass die bisherigen Absprachen weiter gelten würden. „Müller, Saleh und Giffey sind in engem Kontakt“, sagte Radziwill der taz.
Franziska Giffey wiederum hält sich derzeit mit öffentlichen Äußerungen zur Landespolitik zurück. Gut möglich, dass Corona nicht nur den Fahrplan der Berliner SPD durcheinandergewirbelt hat, sondern auch den persönlichen Karriereplan der Familienministerin. Sollten die Grünen im Bund weiter schwächeln, wäre auch eine Fortsetzung der CDU/SPD-Koalition denkbar. Warum sollte sich Giffey dann auf den Berliner Schleudersitz setzen?
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