Lustige Hilfsgüter: Clowns und Helfer

Wenn in der russischen Provinz der Zirkus ausfällt, ist das für die Kinder vor Ort eine „kulturelle Katastrophe“. Ein Bremer exportiert Hilfsgüter: Clowns

Kira Petrov und Stefan Semken schicken Clowns nach Russland. Foto: Andreas Schnell

BREMEN taz | Zirkus – das ist hierzulande ein tendenziell nostalgisch eingefärbtes Vergnügen. Eines, das Eltern ihren Kindern angedeihen lassen, damit sie nicht immer vor Fernseher oder Playstation sitzen. Der Bedarf ist mit gelegentlichen Gastspielen gedeckt, auch wenn die Nachfrage wächst. In der russischen Provinz sieht das hingegen etwas anders aus. Die meisten dortigen Zirkusunternehmen sind stationär und liefern eine ganzjährige Grundversorgung, an der durchaus Bedarf besteht.

Und da liegt ein Problem, wenn einmal, wie derzeit in Nischni Tagil, unweit von Bingi, ein Zirkusgebäude renoviert werden muss. Dann fällt der Zirkus aus. „Eine kulturelle Katastrophe für die Kinder“, nennt Stefan Semken das, weil der Zirkus in Russland eine viel größere Bedeutung habe als hier. Semken weiß das, weil er zwar den Winter in seiner alten Heimat Bremen verbringt, doch seit 2007 für den Rest des Jahres in Bingi lebt.

Artisten verdrücken sich

Das alte Zirkusgebäude ist dringend sanierungsbedürftig. Für einen Ersatzspielort ist nicht gesorgt und die am Haus tätigen Artisten suchten sich schnellstmöglich andere Engagements. Semken beschloss zu helfen. Zunächst versuchte er einen Zirkus aus Sankt Petersburg zu engagieren, aber das klappte nicht. Semkens nächste Idee war, Artisten aus der Ukraine nach Nischni Tagil zu holen. „Das fördert die Völkerfreundschaft“, sagt er, aber offenbar ist das Interesse eben daran gering: „Da gab es keine Chance.“

Über eine befreundete deutsche Journalistin bekam er schließlich Kontakt zu Bernd-Arno Kortstock, der in Hannover die Kleine Bühne betreibt. Kortstock überzeugte Semken davon, dass Artisten ohnehin die falschen Künstler für so ein Projekt gewesen wären – weil ja auch deren Gerätschaften transportiert werden müssten. Um die Kosten gering zu halten, entwickelte er die Idee, stattdessen eine Clownsshow nach Russland zu schicken.

Ganz reibungslos ging aber auch das nicht: Zwar hatte Kortstock schnell acht Clowns aus der ganzen Bundesrepublik zusammengetrommelt, allerdings sprachen die allesamt kein Russisch, und Erfahrung mit dem dortigen Publikumsgeschmack hatten sie auch noch nicht gemacht. Und der ist speziell. Grinsend erzählt Semken, dass es zu den beliebtesten Vergnügen gehöre, wenn ein Mann in Frauenkleidern auftritt. Und ohne einen Moderator geht in Russland im Zirkus nichts – sogar bei seiner eigenen Hochzeit sei er nicht ohne ausgekommen, erinnert sich Semken.

Know-how aus Bremen

Hier kommt nun die Schauspielerin und Regisseurin Kira Petrov ins Spiel. Petrov leitet das Theater 11 in Bremen, das sich auch um interkulturelle Jugendprojekte kümmert – um Angebote für Kinder mit Migrationshintergrund, von denen viele russische Wurzeln haben. Wie Petrov selbst übrigens, die aus Sibirien stammt und in Sankt Petersburg Regie studierte. Petrov wollte ihrerseits schon lange nach Jekaterinburg fahren, um dort den Dramatiker und Theatermacher Nikolai Kolyada zu treffen, der dort nicht nur ein eigenes Kammertheater betreibt, sondern eben auch ein guter Bekannter von Stefan Semken ist.

So willigte Petrov ein, die künstlerische Leitung der Clownsrevue zu übernehmen und ein Programm zusammenzustellen, das auch für russischen Geschmäcker geeignet ist. Die Not der Kinder kennt sie aus ihrer täglichen Arbeit: „Zu uns ins Theater 11 kommen viele Kinder, die wenig Geld haben, und ich weiß, wie sehr sie sich freuen, wenn sie Künstler von weit weg zu sehen bekommen.“ Für Inszenierungen im eigenen Theater hat Petrov bereits Clownsfiguren auf die Bühne gebracht und führt dort auch als Moderatorin durch den Abend. „Ich möchte, dass es eine Geschichte wird, in der ich der rote Faden bin“, erklärt sie.

Wird schon klappen

Petrov und Semken sind zuversichtlich. Neun Vorstellungen sind bereits organisiert: Drei in Jekaterinburg, eine in Bingi und fünf weitere in Nischni Tagil. Und das wird dann auch reichen müssen, um die Kinder mit ihrer winterlichen Zirkusdosis zu versorgen.

Nur nur noch eine wichtige Zutat zu dem zirzenischen Winterwunder fehlt: Geld. Zumindest ein wenig. Auch bei der Suche nach Sponsoren für seine Projekte greift Semken gern auf seinen Bekanntenkreis zurück. Ein Bremer Familienunternehmen und eine Liechtensteiner Firma stifteten immerhin so viel, dass die Flugtickets bezahlt werden können. Woher er die Wohltäter kennt? „Das sind meine Touristen“, sagt Semken, der in seiner Wahlheimat Bingi eine kleine Pension betreibt. „Wenn ich denen mein Russland gezeigt habe, dann verstehen die, was ich da mache und wie man einen positiven Eindruck hinterlassen kann.“

2.000 Euro hat er immerhin schon zusammen. Das ist nicht viel, sollte nach Semkens Meinung aber ausreichen: Die Flüge kosten 300 Euro pro Kopf, Visum und Unterbringung vor Ort sind günstig. Und für die Fahrten von Stadt zu Stadt nimmt Semken sein eigenes Auto. Wenn dann noch genügend Menschen zu den Vorstellungen kommen, bleibt auch noch etwas für die Clowns übrig. Und für den Fall, dass nicht, haben sie ohnehin längst angeboten, für Spesen aufzutreten.

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