Luft- und Bodenoffensive der Türkei: Dutzende Tote bei Syrien-Invasion
Nach Kampfjets sind auch türkische Bodentruppen auf syrisches Territorium vorgedrungen. Tausende Zivilisten sind auf der Flucht.
Nachdem die türkische Luftwaffe am Mittwochnachmittag Ziele in Syrien bombardiert hatte, hatte in der Nacht auf Donnerstag die im schönsten Orwellsprech „Quelle des Friedens“ genannte Operation auch am Boden begonnen.
Bodentruppen drangen nach Syrien vor, um die Städte Ras al-Ain und Tal Abjad zu besetzen. Ras al-Ain wurde vor allem aus der Luft und mit Artillerie angegriffen. Die mehrheitlich kurdischen Verteidiger konzentrieren sich darauf zu verhindern, dass türkische Truppen ins Zentrum von Tal Abjad vordringen. Allerdings soll es den Türken gelungen sein, sich in einem Vorort der Stadt festzusetzen. Auch einen Angriff auf das 35 Kilometer im Landesinnern gelegene Ain Issa wollen die kurdischen YPG-Milizen zurückgeschlagen haben.
Von kurdischer Seite wurden die Angaben über tote Milizionäre bis Redaktionsschluss am Donnerstagnachmittag nicht bestätigt. Über Verluste bei den türkischen Truppen gibt es ebenfalls keine Informationen.
Während die türkische Armee mit schweren Panzern vorrückt und von Kampfjets unterstützt wird, haben die Kurden keine schweren Waffen. Allerdings sind sie von den USA erst in den vergangenen Tagen noch mit leichten Waffen und Munition versorgt worden. Trotzdem sagte ein Kommandeur der YPG gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Kurden würden der türkischen Armee auf Dauer nicht standhalten können.
Syrische Islamisten als Kanonenfutter
Ziel des Angriffs ist es laut Erdoğan, einen „Friedenskorridor“ von 30 Kilometern Tiefe auf syrischer Seite der Grenze auf einer Länge von 450 Kilometern einzurichten. Aus diesem würden alle „Terroristen“ der YPG vertrieben. Die türkische Armee wird unterstützt von syrischen islamistischen Kämpfern, die auch schon bei den beiden vorangegangenen Großoffensiven der Türkei auf syrischem Territorium dabei waren. Sie bilden mit 18.000 Mann die Speerspitze am Boden, das Kanonenfutter sozusagen.
Die Türkei ist bei ihrem Angriff auf die syrischen Kurdengebiete international nahezu völlig isoliert. In den USA wollen Senatoren sowohl der Republikaner wie der Demokraten harte Sanktionen gegen die Türkei beschließen. US-Präsident Donald Trump, der für seinen am Wochenende verkündeten Rückzugsbefehl für die US-Truppen aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet auch in der eigenen Partei heftig kritisiert wird, nannte den türkischen Angriff eine „schlechte“ Idee.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas kritisierte Erdoğan scharf. Eine gemeinsame Verurteilung des türkischen Angriffs durch die EU verhinderte nur Ungarn mit einem Veto. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte in einer Erklärung vor dem EU-Parlament, die Türkei werde aus Europa keinerlei Gelder für die Ansiedlung syrischer Flüchtlinge in dem aktuell umkämpften Gebiet erhalten.
Wie positioniert sich Russland?
Zurückhaltend äußerte sich bislang die Nato. Generalsekretär Stoltenberg wird am Freitag zu Gesprächen in Ankara erwartet. Der UN-Sicherheitsrat wollte noch am Donnerstagabend tagen. Mit Spannung wurde erwartet, wie sich Russland positioniert. Erdoğan hatte unmittelbar vor dem Angriff noch mit Präsident Wladimir Putin gesprochen, der sich in der Vergangenheit eher vage zu den türkischen Angriffsabsichten geäußert hatte.
Das syrische Regime unter Baschar al-Assad ist offiziell zwar empört, aber sowohl Putin wie Assad erhoffen sich von einem Zerwürfnis zwischen der Türkei und den USA einen Machtzugewinn, da die syrischen Kurden, die bislang mit den USA verbündet waren, ins Assad-Lager überlaufen könnten.
Im türkischen Parlament wird der Angriff lediglich von der kurdisch-linken HDP verurteilt, alle anderen Parteien kündigten ihre Unterstützung für „unsere Soldaten“ an.
Lesen Sie auch unseren aktuellen Überblick über die Akteure in Nordsyrien sowie den Kommentar von Türkeikorrespondent Jürgen Gottschlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind