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Lüneburger Auschwitz-ProzessÜberlebende wollen nicht verzeihen

Im Lüneburger Auschwitz-Verfahren wenden sich 49 Nebenkläger gegen eine Überlebende. Sie hat dem Angeklagten pauschal verziehen.

Hat allen Nazis verziehen: Überlebende Eva Kor im Gericht in Lüneburg. Bild: dpa

BERLIN/LÜNEBURG taz | Im Lüneburger Prozess gegen den Auschwitz-Buchhalter Oskar Gröning (93) ist es zum offenen Streit zwischen den Nebenklägern um die Frage einer Aussöhnung mit dem Täter gekommen. 49 Überlebende des Vernichtungslagers haben eine Erklärung der Anwälte Thomas Walther und Cornelius Nestler unterzeichnet, in der sie sich von den Stellungnahmen der Nebenklägerin Eva Kor distanzieren.

Kor hatte dem wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Menschen Angeklagten sowohl bei ihrer Zeugenaussage als auch bei öffentlichen Auftritten verziehen. Zudem lehnte die 81-Jährige generell Strafverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter ab und dankte Gröning dafür, dass er zu Prozessbeginn seine „moralische Mitschuld“ eingestanden habe. Zuletzt wiederholte sie ihre Auffassung am Sonntagabend in der TV-Sendung „Günther Jauch“. Gröning hatte vor Gericht ausgesagt, er überlasse es dem Gericht, ob er auch strafrechtlich schuldig sei.

Die heute 81-jährige Eva Kor wurde 1944 mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert. Sie und ihre Zwillingsschwester überlebten als einzige, weil sie von dem KZ-Arzt Josef Mengele zu Experimenten missbraucht wurden. Ihre Familie wurde in der Gaskammer ermordet.

In ihrer gemeinsamen Erklärung kritisieren die 49 Nebenkläger den Widerspruch, dass Kor einerseits das Verfahren gegen Oskar Gröning ablehnt, andererseits aber als Nebenklägerin auftritt. „Als Nebenklägerin im Namen der Ermordeten aufzutreten, öffentlich das Strafverfahren abzulehnen und die Rolle der Nebenklägerin zur medial inszenierten persönlichen Verzeihung zu nutzen – das passt nicht zusammen“, heißt es in dem von den Rechtsanwälten Walther und Nestler am Montag verbreiteten Schreiben.

Dokumentation des Justiz-Versagens

Jeder unter den Überlebenden müsse seinen Weg finden, mit dem Erlittenen umzugehen, schreiben die beiden Anwälte. Doch ihre 49 Mandanten seien sich darin einig, dass sie „für ihre ermordeten Eltern und Geschwister Klage führen wollen“. In dem Strafverfahren gegen Gröning gehe es auch um die Dokumentation des jahrzehntelangen Versagens der Justiz. Weiter heißt es: „Wir können Herrn Gröning nicht die Mitwirkung am Mord unserer Angehörigen und weiteren 299.000 Menschen verzeihen – zumal er sich bisher frei von jeglicher strafrechtlichen Schuld fühlt. Wir begrüßen die Aufklärung, die dieses Strafverfahren leistet.“

Eva Kor hatte schon vor 20 Jahren für Aufsehen gesorgt, als sie allen Nazis ihre Taten pauschal vergab. In jüngster Zeit ist sie mehrfach mit dem Enkel des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, Rainer Höß, aufgetreten. Rainer Höß hatte 2009 versucht, Hinterlassenschaften seines Großvaters gewinnbringend an die israelische Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem zu verkaufen, was auf heftige Kritik stieß.

Mit ihrer Erklärung machen die 49 Nebenkläger deutlich, dass Kor nicht in ihrem Namen spricht. Das Schreiben gilt auch als Zeichen dafür, dass sie nicht länger dazu bereit sind, Kors große mediale Präsenz widerspruchslos hinzunehmen.

Unterdessen zeichnet sich ab, dass es schon bald zu einem weiteren Auschwitz-Prozess in Deutschland kommen könnte. Das Landgericht Detmold will spätestens bis zum Juni entscheiden, ob sie die Anklage gegen einen 93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord zulässt. Der ehemalige SS-Mann stammt aus dem Kreis Lippe und soll ab 1942 in dem Vernichtungslager eingesetzt worden sein. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Andreas Brendel von der NRW-Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Verbrechen bestreitet er eine konkrete Tatbeteiligung.

Demjanjuk-Urteil führte zu Umdenken

Allerdings geht die Rechtsprechung seit der Verurteilung von John Demjanjuk zu fünf Jahren Haft in München davon aus, dass zur Verurteilung ein individueller Mord dann nicht mehr nachgewiesen werden muss, wenn der Täter in einem Vernichtungslager eingesetzt worden ist.

Das Demjanjuk-Urteil von 2011 ist allerdings niemals rechtskräftig geworden, weil der Angeklagte vor einer anhängigen Revision 2012 verstarb. Dennoch hat das Verfahren dazu geführt, dass die Ermittlungsbehörden seitdem gegen mutmaßliche Täter in Vernichtungslagern vorgehen, die zuvor jahrzehntelang unbehelligt geblieben waren. Sowohl der Prozess in Lüneburg als auch das Detmolder Verfahren gründet auf entsprechenden Recherchen.

Ein weiteres Verfahren gegen einen früheren SS-Sanitäter in Auschwitz wegen Beihilfe zum Mord ist bei der Schweriner Justiz anhängig.

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41 Kommentare

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  • So wie ich es verstanden habe, hat Frau Kor von niemandem gefordert ihre Haltung zu teilen. Sie ist Diejenige, die von Mengele und seinen Helfershelfern gefoltert wurde. Und nur sie selbst kann entscheiden, wie sie damit umgehen will.

  • Verzeihen und Vergeben ist immer etwas sehr Persönliches. Man kann es weder einfordern, noch verordnen. Es ist vor allem auch Gefühlssache. Insofern hat Frau Kor Recht, aber auch die sonstigen Nebenkläger, die in diesem Falle die Vergebung und Verzeihung ablehnen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @DorianXck:

      JA, es trifft zu: verzeihen und versöhnen sind immer etwas Persönliches. In meinen Augen etwas sehr Großes, zu dem die meisten Menschen nicht fähig sind.

       

      Als Kriegsenkel (Jahrgang 1952) habe auch ich mein persönliches Trauma erlebt und ich habe sehr lange Zeit gebraucht, um verzeihen zu können. Manches jedoch ist auch bis heute unverzeihlich geblieben.

       

      Wie Sie schreiben: Jeder kann dies

      nur selbst entscheiden. Ich verstehe, wenn jemand, der Ausschwitz überlebt hat, nicht verzeihen will. Mein Respekt dafür! Aber meine BEWUNDERUNG ist auf der Seite von Frau Kor, die die innere Größe des Verzeihens lebt. Dass sie dafür medial ausgenutzt und missbraucht wird, ist nicht ihr vorzuwerfen.

  • Jetzt wird die Frage, warum in der BRD derartige Verbrechern erst nach 70 Jahren vor Gericht landen, warum der allergrößte Teil der Mörder und Täter sowieso niemals belangt wurde ohne erlösende Vergebung durch die Opfer wahrscheinlich gram vor Schuld gestorben ist und warum überhaupt eine reine Justizangelegenheit wie ein Nazimordprozess überhaupt von Dünkel gegen die Opfer und zugunsten der greisen Täter überschattet ist, von der pseudomoralischen Frage nach der Zulässigkeit von Vergebung überschattet.

     

    Sind die Deutschen wirklich erst zufrieden, wenn die Juden sich bei ihnen für Auschwitz entschuldigt haben?

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Khaled Chaabouté:

      Mehrfach habe ich die letzten Tage Ihre ausdrucksstarken Worte gelesen, ehe ich mich zu einer Reaktion entschlossen habe.

       

      Was mich an ihren Ausführungen stört, ist Ihre einebnende, polemische Schlussfrage. Sowenig es DIE Juden gibt, gibt es DIE Deutschen. Beides sind Abstraktionen. Ich habe mir als EIN Deutscher angewöhnt, für mich und nur für mich zu sprechen.

       

      Dafür, dass sich Juden für Auschwitz entschuldigen, sehe ich (natürlich) keine Veranlassung. Umgekehrt, auch das soll nicht vergessen werden, hat es Deutsche gegeben, die dies dem jüdischen Volk gegenüber getan haben. Für mich ist dies Übernahme von Verantwortung für das verursachte millionenfache Leid.

       

      Ich teile die Nachsicht und Milde gegenüber einem - wie Sie es nennen - greisen Täter. Dies beinhaltet, dass ich einer STELLVERTRETENDEN Bestrafung Grönings nicht das Wort rede. Für mich ist dies eine Frage von Humanismus und Verhältnismäßigkeit.

       

      Auch vermag ich keinen "Dünkel gegen die Opfer" zu erkennen. (Wo sehen Sie den?) Ich sehe Opfer, die verzeihen können und wollen - und andere, bei denen dies nicht der Fall ist. Beide haben das Recht zu ihrer unterschiedlichen Bewertung. Wo diese Frage "pseudomoralisch" sein soll, ist für mich nicht nachvollziehbar.

    • @Khaled Chaabouté:

      soldaten handeln auf befehl. heute genau so wie im dritten reich. dies ist, ich glaube unstrittig. richtig ist, dass verbrechen geahndet werden müssen. damals wie heute auch. aber genau daran fehlt es. einen zigfachen mord anders oder überhaupt nicht zu ahnden als ein anderes schreckliches erieignis ist nicht nachvollziehbar. wenn ein buchhalter in einem (furchtbaren lager) wegen hundertausenfachen mordes nach 70 jahren angeklagt wird stellt sich ganz schnell die frage wann und gegen wen die anklage wegen millionenfachen mordes und der zerstörung essentieller lebensgrundlagen (durch agent orange und du-munition) und durch mit nachweislichen lügen vom zaun gebrochener kriege die anklage erhoben wird. das verhalten von frau kor ist mehr als ehrenwert, da sie den ewigen racheengeln einen weg zeigt, der auch beschritten werden kann, wenn man denn nur wollte. alles andere ist mehr als durchsichtiges polittheater und eines rechtsstaats unwürdig. ich erinnere nur an den herrn filbinger, der in diesem system noch kurz vor ende des krieges menschen an den galgen gebracht hat. er war natürlich kein nazi, wie sein ziehsohn öttinger laut heraus posaunte. herr filbinger hielt sich natürlich nur streng an recht und gesetz ohne je dafür zur verantwortung gezogen worden zu sein. das cdu parteibuch machte es möglich. ein kleiner buchhalter wird aber des hundertausendfachen mordes angeklagt. wer weiss, wie all diese gutmenschen die heute ganz genau bescheid wissen damals reagiert hätten. selbstverständlich nur richtig. allerdings müssen sie dies nicht unter beweis stellen.

      • @p.g.:

        "soldaten handeln auf befehl."

         

        man muss schon verstehen, soldaten und befehle. soldaten sind quasi willenlose werkzeuge. wer rrrecht und gesetz durchsetzen will, der darf nicht eigenständig denken. denken tut allein der übermensch. wenn sie den gashebel umlegen, dann hat der befehlsgeber die alleinschuld. der vergasende ist allenfalls moralisch mitschuldig. wer das anzweifelt, ja dreisterweise noch jahre später kritisiert, ist ein racheengel. und ein gutmensch.

         

        P.G., g.p ...

        (geh pissen)

    • @Khaled Chaabouté:

      ..."Sind die Deutschen wirklich erst zufrieden, wenn die Juden sich bei ihnen für Auschwitz entschuldigt haben?", schon möglich, wenn man sieht, wie dieses Thema in der deutschen Öffentlichkeit breit getreten wird. Allein die Schlagzeile, hier in der taz, "Überlebende wollen nicht verzeihen". Das hat schon etwas Zweideutiges ; )

    • @Khaled Chaabouté:

      Nö, wird davon nicht überschattet,

       

      überschattet wird, warum und wo es einen Filbinger gab, einen Hans Martin Schleyer und viele andere mehr..

  • Hier die dünne Pressemitteilung der Opferanwälte Nestler und Walther im Original:

    https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/auschwitzprozess112.pdf

     

    Wer, wenn nicht Frau Kor hat das Recht, dem Angeklagten zu vergeben ? Und wer, wenn nicht die übrigen 49 Nebenkläger hat das Recht, es eben nicht zu tun ? Wenn das der Inhalt gewesen wäre, wäre es eine gute Erklärung im Sinne einer Klarstellung gewesen.

    Die darin enthaltenen Vorwürfe an Frau Kor sind allerdings bitter und genausowenig nachvollziehbar wie die Behauptung, der Angeklagte fühle sich frei von strafrechtlicher Schuld.

    • @jhwh:

      Hier ein Video, auf dem Frau Kor ab 13:30 erzählt, wie es dazu kam, dass für sie Vergebung wichtig wurde,

       

      https://www.youtube.com/watch?v=wN_l7aXLF44

       

      Bemerkenswert auch ihr Blickwinkel darauf, wie es zu Auschwitz kam:

       

      https://www.youtube.com/watch?v=E3AaQd1UOVU

       

      Selbstverständlich ist es jedem Opfer zuzubilligen, eine andere, eigene Meinung zu haben.

       

      Aber man kennt die im Einzelnen nicht, sonder nur als eine "Summe", die Anwälte präsentieren

  • Hallo Zusammen.

     

    Gibt es Listen über alle Menschen die nicht überlebt haben und die überlebt haben? Wegen der Gesamtzahl geschädigter Menschen(Deutsche Bürokratie)

    Warum haben die tausenden Spitzel (USA,England Agenten) nichts davon mitbekommen aber Industrie und Militärspionage war erfolgreich?

    Warum hat die FED A.H. 1933 einen Kredit von 1 Mrd Reichsmark gegeben?

    Wieso wurde im Krieg vereinbart das die Juden Palästina bekommen um Israel zu gründen? Sie hatten bereits seit dem 1.WK Anspruch durch die Hilfe der USA für England. (Benjamin Freedman)

     

    Wenn die Religion Judentum Zukunft will, dann sollte sie sich von dem Handeln der FED und ihre Familien öffentlich und für immer distanzieren.

     

    Das Gebahren dieser Bank sorgt für eine Welt_Wirtschaftskrise nach dem anderen. Das alles zur eigenen Bereicherung. Millionen Menschen starben so 1910 - 1919, 1927 - 1945 und auch heute sterben Millionen durch ihre Finanztransaktionen. Das ist die Ursache von Barbarismus. Nehmet den Menschen ihrer Grundlagen und Sicherheit und sie werden folgen ohne Gnade, den mit ihnen hatte ihr auch keine Gnade.

     

    Ciao

    • @Das Z-Teilchen:

      Unfassbar, dass Sie das schreiben.

    • @Das Z-Teilchen:

      Bevor Sie völlig in den Thesen rechter Geschichtsrevisionisten festsitzen:

       

      "Gibt es Listen..."

       

      Ja. Den Nazis ist es nicht gelungen, alle Listen für Transporte in die Vernichtungslager zu vernichten. Und die Alliierten haben schon während des Krieges angefangen, Listen über ihre Bevölkerungsverluste zu führen. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, unter deutscher Herrschaft sind durch diese Herrschaft 6 Millionen Juden umgekommen.

       

      "Warum haben die tausenden Spitzel..."

       

      Die Alliierten haben doch von den Vernichtungsaktionen erfahren. Sie haben nur gedacht, ein schneller Sieg ist die beste Art zu helfen. Dabei hat man (leider) auf spezielle Aktionen verzichtet.

       

      "Warum hat die FED A.H. 1933..."

       

      War es wirklich die FED? Aber egal. 1933 gab es noch keine Vernichtungslager.

       

      "...das die Juden Palästina bekommen..."

       

      Das ist nie, auch nicht im 1. WK, vereinbart wurden. Es war nur von einer Heimstatt (Recht dort zu leben) die Rede. 1948 wurde dann die Zweistaatenlösung beschlossen.

       

      "... von dem Handeln der FED...distanzieren..."

       

      Warum sollten sie? Die FED ist doch keine jüdische Einrichtung. Oder glauben Sie wirklich den Unfug von der "jüdischen Weltverschwörung"?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Für meine Begriffe ist die Aussage von Z-Teilchen ("Wenn die Religion Judentum Zukunft will, dann sollte sie sich von dem Handeln der FED und ihre Familien öffentlich und für immer distanzieren") keine versteckte, sondern eine klassische antisemitisch motivierte Drohung. Oder sehe ich das falsch?

        • @Monsieur Soquette:

          Vielleicht ist es aber auch nur Dummheit...

    • @Das Z-Teilchen:

      ..antisemitische Verschwörungstheoretiker und Montagsdemonstranten...RAUS!

  • Da passt wohl nicht zusammen, was nicht zusammenpassen darf.

     

    Wer nicht verzeihen will, der tut in dieser auf Abgrenzungen aller Art versessenen Gesellschaft gut daran, sich zu distanzieren, indem er anderen Vorwürfe macht. Sich selbst ins Recht und zugleich den, der anderer Meinung ist, ins Unrecht zu setzen, ist hier so etwas wie ein Volkssport, scheint mir. Es ist allerdings auch überflüssig. Das Leid, das die 49 Unversöhnlichen und 299.000 Toten erlitten haben, ist schließlich Grund genug für lebenslangen Hass! Schade ist bloß, dass der Hass nun auch auf jene Eine ausgedehnt werden soll, die es geschafft hat, sich frei zu machen davon, obwohl sie nicht weniger Leid erfahren hat.

     

    Nein, es ist kein Widerspruch, wenn Eva Kor Oskar Gröning vergibt und gleichzeitig als „Nebenklägerin“ auftritt. Die Wahrheit ist die Wahrheit. Vergebung aber ist Vergebung. Man kann beides sehr wohl trennen. So, wie man die Legislative von der Exekutive trennen kann – und sogar muss in einem Rechtsstaat.

     

    Eva Kor hat getrennt, vermute ich. Als Zeugin will sie offenbar zur Wahrheitsfindung beitragen. In dem Fall vor Gericht. Zweifellos hat sie als GESCHÄDIGTE jedes Recht dazu, die entsprechenden Privilegien in Anspruch zu nehmen (ständige Anwesenheit in der Verhandlung, das Recht, selbst Zeugen zu befragen etc.). Auch dann, wenn sie als PERSON nicht selbst strafen will, sondern das Strafen anderen überlässt. Ob ein Nebenkläger nämlich Schadensersatz beansprucht, ist ihm überlassen. Es gibt da keinen Automatismus.

     

    Jeder unter den Überlebenden müsse seinen Weg finden, mit dem Erlittenen umzugehen, schreiben die beiden Anwälte der 49. Dass sie Eva Kor ihren ganz persönlichen Weg, und sei es vielleicht auch tatsächlich der einer (immerhin nicht verbotenen) Inszenierung in der Öffentlichkeit, nicht zugestehen wollen, das ist etwas, was für mich nicht zusammenpasst.

    • @mowgli:

      Danke, Frau Klar. Man fühlt sich ganz allein ja doch ein wenig einsam ab und zu.

      • @mowgli:

        Dito...

      • @mowgli:

        Das sollten Sie nicht - ich möchte Ihren Kommentaren ausdrücklich beipflichten.

         

        Ein Urteil in dieser Frage hängt aber sicherlich stark mit persönlichen Erfahrungen zusammen und ist insofern vielleicht auch tendenziell altersabhängig.

        (Hoffentlich trete ich Ihnen damit nicht zu nahe - gibt ja auch gelegentlich sehr junge erfahrene Menschen. ;-) )

  • Teil 2: Menschen mit einer Opferhaltung triggern dann etwas an in diesen möglicherweise gewaltbereiten Menschen, wobei mir immer sehr wichtig ist zu verdeutlichen, dass nur die Täter die Verantwortung für ihre Taten tragen. Mir geht es hierbei nur darum, was die Juden eventuell für sich selber tun könnten, sich selber stärken könnten, denn das ist das Wichtigste in meinen Augen). Man kann das auch als pathologisch ansehen. Diese innere Abwehr/Abspaltung wirkt in diesem Menschen wie eigener Liebesentzug und kann sehr viel Gewalt und Wut in diesem Menschen auslösen (Machtbegehren / Machtbesessenheit (in meinen Augen ein zwanghaftes Verhalten, weil schlimme Erfahrungen nicht verarbeitet wurden) aufgrund von Ohnmachtserfahrungen, Kontrolle aufgrund von massiven Kontrollverlusterfahrungen Autoritätsprobleme, oder, eher weiblich, Selbstaufgabe, Probleme mit Grenzsetzungen, Unterordnung, suchen des starken Mannes, verschobene Verantwortungsbereiche (oft Co-Abhängigkeit, Abhängigkeit oftmals tatsächlich von Tätern), eine starke Wut, die Frauen, aufgrund ihrer bisherigen Sozialisation, oftmals gegen sich selbst richten (Autoaggressionserkrankungen, immer nett sein müssen, Wut wirkt unweiblich, muss deshalb versteckt werden), starke Identitätsprobleme, dadurch Manipulierbarkeit, tiefe Scham usw. Es ist tatsächlich auch so, dass Opferprofile und Täterprofile fast eine magnetische Anziehungskraft aufeinander ausüben können. Oftmals liegen beiden Profilen sogar ähnliche Erfahrungen zu Grunde.

    Kann es sein, dass Frau Kor genau diesen Teufelskreis durchbrechen will?

  • Teil 1:Ich bitte alle der Frau Kor genauer und bewusster zuzuhören und nicht sofort mit Abwehr zu reagieren, obwohl ich diese Abwehr sehr gut nachvollziehen kann, aber ich halte Frau Kor für eine sehr kluge Frau.

    Es erscheint mir das Allerwichtigste zu sein, die Juden aus ihrer „Opferrolle“ herauszuholen. Wenn sie sich aber immer und immer wieder und vorrangig vor allem damit darstellen, oder vielmehr damit dargestellt werden auch, werden sie auch vor allem als Opfer wahrgenommen. Und ich vermute, dass es der Frau Kor darum gehen könnte.

    Es ist ein Phänomen, dass sich die Menschen, angefangen in der Schule, oft mit den Stärkeren solidarisieren, oder sich eben der Mehrheitsmeinung anschließen, also im Falle, dass die Mehrheitsmeinung kippt, ein zuvor eher linksgerichteter Mensch sich dann auch zu einem Menschen mit rechter Gesinnung wandeln kann. Das betrifft vor allem die angstvollen Menschen dann, die viel Leid, oftmals auch schon seit der Kindheit, erfahren haben.

    Und genau da sehe ich das Problem. Es wird Zeit, dass die Juden, auch in der Außenwahrnehmung, nicht „nur“ und „vor allem“ als Opfer wahrgenommen werden. Denn dadurch, so die von mir vermuteten Prozesse, bieten sie eine optimale Projektionsfläche für andere Menschen, die ihre eigenen Opferanteile nicht angenommen haben, z.T. bewusst, z.T. sogar unwissentlich und unbewusst, wegen Abspaltung von den Erinnerungen, was dann auf diese (jüdischen) „Opfer“ projiziert werden kann. Also nochmal anders gesprochen, wenn Menschen ihre eigenen Opferanteile (-anteile, denn kein Mensch ist nur Opfer!), nicht angenommen haben, sie abwehren (beispielsweise Gewalt in der Kindheit, auch sexuelle Gewalt z.T. durch die Eltern, Kriegserfahrungen wo die Abwehr/Abspaltung, zum Schutz des Kindes vorrangig geschah, jedem verständlich werden könnte) dann neigen, vor allem eher männliche Opfer, wegen ihrer bisherigen Sozialisation, dazu, Opfer auch im Außen zu bekämpfen.

  • Frau Kor avanciert endgültig zu einem Helden der Versöhnung. So kann es auch gehen. Die übrigen, bitte an der eigenen Nase fassen. Das in den Bereich Gesinnungsstrafrecht abgeglittene Rechtsystem gehört komplett überarbeitet. Soviel Einmischung durch Religion braucht niemand. Einfach mal Psychotherapie hilft auch.

    • @Picard:

      Ist es Gesinnungsstrafrecht, wenn Mitarbeiter einer Vernichtungsmaschinerie angeklagt werden?

  • Vergebung macht es nicht den Opfern, sondern den Tätern einfach, vor allem wnn in der Öffentlichkeit ein regelrechter Vergebungsdruck betrieben wird. Das fängt beim einfachen Mobbingopfer, dem man sagt, es "solle sich nicht so anstellen!" an, geht über Vergewaltigungs- und Missbrauchsopfer, denen man neben niederen Rachegelüsten vorwirft, Existenzen zu gefähreden und endet bei Gauck, der beim Staatsbesuch in Griechenland Vergebung und Versöhnung für die Massaker von Distomo et al. einfordert und bei Wiesenthal und Holocaust-Überlebenden, denen man schon bei Demjanjuk vorwarf, alten gebrechlichen Menschen die Würde zu nehmen, indem man sie wegen Morden, die 70 Jahre zurückliegen, vor Gericht zerrt.

    • @Khaled Chaabouté:

      "Vergebung macht es nicht den Opfern, sondern den Tätern einfach"

       

      Nein, das halte ich nicht für richtig.

      Mir scheint, für die Opfer liegt eine besonders grausame Tatfolge in begreiflichen Hass- und Rachegefühlen, die sie weit über die Tat hinaus an sie binden, während sich die Täter um so schneller und nachhaltiger emotional davon lösen können, je gewissenloser sie sind.

       

      Oder haben Sie den Eindruck, dass es den ungestraften Tätern in ihrem Leben ohne Vergebung so besonders schlecht ging? Mir scheint, dass - ungerechterweise - für den Täter seine Schuld weitaus einfacher zu verdrängen ist, als für das Opfer die Tat.

       

      Daraus folgt natürlich nicht, dass Opfern etwa so etwas wie "Vergebung als Ausdruck menschlicher Größe" oder dergleichen auch nur unausgesprochen nahezulegen wäre. Das wäre etwa so zynisch, als würde man einem körperlich dauerhaft geschädigten Gewaltopfer nahelegen, doch zum eigenen Besten endlich gesund zu werden.

       

      Vielleicht ist auch ausdrückliche Vergebung gar nicht nötig; vielleicht genügt es, sich selbst zu sagen "Es ist mir gleich, ob die Täter bestraft werden, ich habe mit alledem nichts mehr zu tun."

       

      So oder so ist das eine zutiefst persönliche Angelegenheit, in der jeder nur für sich selbst sprechen kann und darf.

  • "Allerdings geht die Rechtsprechung seit der Verurteilung von John Demjanjuk zu fünf Jahren Haft in München davon aus, dass zur Verurteilung ein individueller Mord dann nicht mehr nachgewiesen werden muss, wenn der Täter in einem Vernichtungslager eingesetzt worden ist."

     

    Leider kommt diese Erkenntnis 50 Jahre zu spät. In der Zwischenzeit sind gerade viele der "großen" Täter ruhig im Bett gestorben. Und viel Opfer haben nie erlebt, dass die Verantwortlichen für ihr Leid angemessen zur Rechenschaft gezogen wurden.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ja, schade, dass die Erkenntnis, Beschäftigten in Vernichtungslagern könne selbst dann Beihilfe zum Massenmord angelastet werden, wenn sie nicht eigenhändig gemordet haben, erst jetzt kommt, wo viel zu viele Opfer nicht mehr erleben können, dass Verantwortung Konsequenzen hat. Auch in sofern, als die Frage, wie die Gesellschaft weiterleben kann mit Helfershelfern, bisher nie stand. Wenn ich die Kommentare hier so lese, wird das ziemlich deutlich. Einen Menschen, der 299.000 Leben auf dem gewissen hat, zum Tode zu verurteilen und damit aus der Gesellschaft zu tilgen, ist leicht. Einem 93-jährigen Mitläufer zu reintegrieren, nachdem seine Mitschuld gerichtlich festgestellt wurde, scheint hingegen mit geradezu übermenschlichen Anstrengungen verbunden zu sein. Vielleicht, weil manche Leute große Angst davor haben, ihr eigenes Spiegelbild zu erkennen, wenn sie diese Leute ansehen.

       

      Übrigens: Dass keiner nachdenkt, ist eine ziemlich ignorante Unterstellung, finden Sie nicht auch? Ich hab gelernt, dass man nicht unbedingt von sich auf andere schließen darf...

  • Durch Vergebung befreit sich das Opfer von der Last und dem Leid der Tat. Wer dem Opfer die Vergebung versagt, begeht nochmal dieselbe Tat an ihm....

    • @robby:

      Lesen Sie eigentlich Ihre eigenen Kommentare vor dem Absenden? Oder kommen solch krude Aussagen ungefiltert aus Ihnen hervor?

      A) die Mit-Nebenkläger verwehren sich, dass Frau Kor stellvertretend für sie dem Täter und vor allem den Nazis allgemein öffentlich vergiebt (was für sie selbst natürlich völlig in Ordnung ist)

      B) Sie schreiben "Wer dem Opfer die Vergebung versagt, begeht nochmal dieselbe Tat an ihm....". Wollen Sie damit sagen, dass die Nebenkläger Frau Kor in ein KZ stecken wollen, Ihre Familie ermorden wollen?

      Also bitte erstmal den Klumpen zwischen den Ohren aktivieren, bevor Sie solch krude Kommentare posten

      • @Flujo:

        Was bitte ist "krude" an der Aussage: "Durch Vergebung befreit sich das Opfer von der Last und dem Leid der Tat?" Haben Sie das schon persönlich überprüft? Und wenn ja, was macht sie so verdammt sicher, dass andere Menschen nicht andere Erfahrungen machen als Sie? Müssen denn unsere Gefühle, müssen Psychen uniform sein?

         

        Meine persönliche Erfahrung besagt, dass das Nicht-vergeben-Dürfen (nicht zu verwechseln mit dem Nicht-wissen-Dürfen) tatsächlich Leid verursacht. Es hindert Menschen daran, das Erlebte sozusagen zu den Akten zu legen, wo es langsam einstauben kann – und anschließend auf neue Menschen und neue Situationen unvoreingenommen zu reagieren, sodass neue Chancen und neue Risiken klarer erkennbar sind. Eva Kor war im KZ Experimenten ausgesetzt, hab ich gelesen. Sollte die Gesellschaft nun um ihrer eigenen abstrakten "Überzeugungen" willen testen, was es mit ihrer Psyche macht, wenn sie ihrem Bedürfnis, öffentlich zu vergeben, nicht nachkommen darf?

  • So weit sind wir schon....... selbst Vergebung ist nicht mehr erlaubt........ jedes Opfer hat das Recht zu vergeben und das auf die Art und Weise wie es das für Richtig hält.... Egal was passiert ist, Vergebung macht das Leben leichter.....

  • Die Mörder, von denen sich viele Jahrzehnte lang niemand bemüßigt fühlte selber Buße zu tun oder sonstwie einen Schritt auf die Opfer zuzugehen, haben keine Vergebung verdient. Es ist keinesfalls Rache, sondern der allermindeste Hauch von Gerechtigkeit, den man auch den Opfern schuldig ist, wenn die Morde jetzt so vor gericht verhandelt werden, als wären sie erst gestern geschehen.

    • @Khaled Chaabouté:

      Es geht nicht um die Mörder, Khaled. Es geht um ihre Opfer. Findest du nicht auch, dass die es verdient haben, aus ihrer Rolle heraus zu kommen? Gerade dann, wenn sie schon 82 sind?

       

      Echte Gerechtigkeit muss zwar auch die allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beachten - in dem Fall die zeitgeistige Überzeugung einer Mehrheit der Bevölkerung, das alttestamentarische "Auge um Auge" sei der Weisheit aller letzter Schluss. Die konkreten Personen von Opfer und Täter und die (gerade in dem Fall eben auch gesellschaftlich bedingte) Verknüpfung beider durch die Tat sind allerdings essentiell dafür, ob ein Urteil nicht nur geltendem RECHT entspricht, sonder auch als GERECHT empfunden werden kann.

       

      In einem Satz: Wir als Nicht-Opfer sollten die Betroffenen entscheiden lassen, ob sie weiter hassen oder lieber doch ihren Frieden machen wollen mit der Vergangenheit - sich selbst zuliebe, nicht aus Rücksicht auf die Täter.

  • "Gröning hatte vor Gericht ausgesagt, er überlasse es dem Gericht, ob er auch strafrechtlich schuldig sei." Was für eine Nonsens-Aussage. Es bleibt ihm ja gar nichts anderes übrig.

    • @Christian_72:

      Richtig, Christian 72. Diese Aussage war eigentlich überflüssig. Ungeachtet dessen, hat er sich zu seiner moralischen Schuld bekannt. Wie wird nun das Gericht entscheiden ?

  • Sie tut einfach nur das was sie will und brauch und setzt das auch erstaunlicher Weise Konsequent durch!

     

    Und sie spricht doch auch nicht im Namen der Anderen, oder?

     

    Also Rat an die Anderen , ziehen sie ebenfalls ihren Streifen durch .