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Lücken bei der Kinderbetreuung„Immense Beschäftigungsreserven“

Bundesweit fehlen 15.000 ErzieherInnen, sagt die Bertelsmann-Stiftung. Sie fordert: Mehr Voll- statt Teilzeit. Momentan arbeiten 60 Prozent in Teilzeit.

Damit alle Kinder ihre Zähne putzen, braucht es mehr als Teilzeit-ErzieherInnen. Bild: dpa

BERLIN taz | Knapp ein Jahr, bevor der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige in Kraft tritt, fehlen bundesweit in den Kitas rund 15.000 Erzieherinnen und Erzieher. Auf diese Lücke weist die Bertelsmann-Stiftung hin und plädiert dafür, mehr Teilzeit- zu Vollzeitstellen aufzustocken.

Knapp 60 Prozent aller Erzieherinnen und Erzieher arbeiten in Teilzeit – eine Quote, die deutlich über der anderer Branchen liegt. Zweifel am Vorschlag äußert die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Kitas betreibt. „Rund 97 Prozent der Fachkräfte sind weiblich. Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass alle Erzieherinnen Vollzeit arbeiten wollen“, sagte AWO-Vorstandsmitglied Brigitte Döcker der Nachrichtenagentur epd.

Kathrin Bock-Famulla, Projektleiterin der Bertelsmann-Stiftung, argumentiert dagegen: „Es ist falsch zu behaupten, Erzieherinnen wollten nicht Vollzeit arbeiten“, sagte sie der taz. Die Politik könne hier durchaus Anreize setzen.

Das zeigt sich Bock-Famulla zufolge auch, wenn man die Teilzeitquoten der Länder miteinander vergleicht. Vielerorts würden die öffentlichen Zuschüsse an die Kitas kurzfristig pro betreutem Kind gezahlt – und schwanken somit stark je nach Auslastung. „Über Teilzeitstellen versuchen die Kita-Träger, darauf flexibel zu reagieren.“

In Baden-Württemberg, wo die Kitas vom Land nach der durchschnittlichen täglichen Betreuungszeit bezuschusst werden, ist die Vollzeitquote seit 1998 von 67 auf aktuell etwa 47 Prozent gesunken. In Thüringen hat sich die Vollzeitquote innerhalb eines Jahres von 28 auf 39 Prozent erhöht, was Bock-Famulla zufolge auch auf die geänderte Bezuschussungspraxis zurückzuführen ist. Spitzenreiter ist NRW, wo 56 Prozent aller Kita-Beschäftigten voll arbeiten. In Sachsen-Anhalt sind es gerade einmal 15 Prozent.

Auch die Gewerkschaft Ver.di sieht noch „immense Beschäftigungsreserven“, die sich hinter den hohen Teilzeitquoten verbergen. Das sagte Sprecher Jan Jurczyk der taz: „Wenn die Mittel im Halbjahrestakt gekürzt oder erhöht werden, fährt man mit den Beschäftigten natürlich eher auf Sicht.“

Neben der schlechten Bezahlung sei das ein Grund, warum so viele Erzieher aufgeben: Von 100 Personen mit entsprechender Ausbildung arbeiten nach Ver.di-Berechnung im Schnitt 28 nicht mehr in Kitas oder ähnlichen Einrichtungen.

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3 Kommentare

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  • E
    Erzieher123
  • H
    Halunke

    Mein Sohn hat dieses Jahr seine mittlere Reife gemacht und hätte gerne ein FSJ in einer Kita/Kiga gemacht.Da er aber nicht getauft ist und wir keiner Religion angehören,wurde er überall abgelehnt.Schade eigentlich,zumal er sehr gut mit kindern kann und er sich trotz geringem Einkommen in diese Richtung orientieren würde.Da bei uns nicht kirchliche Träger dünn gesäät sind wird er sich nun in eine andere Richtung umschauen.Das Antidiskriminierungsgesetz sollte in Deutschland auch für kirchliche Träger gelten.Wenn ich dann von ErzieherInnenmangel lese kann ich nur den Kopf schütteln.

  • D
    Detlev

    Momentan erhöhen die Kommunen und Länder den Druck in den Kitas: Es sollen immer mehr Kinder von immer weniger Erzieherinnen immer professioneller und besser betreut werden.

    Wenn dann hier steht, dass so viele Erzieherinnen nur in Teilzeit arbeiten, dann bedeutet das wohl auch, dass sie die volle Anzahl gar nicht schaffen. Anders: Welche Erzieherinnen wird diesen Job in Vollzeit bis zur Rente schaffen? Wieviele Erzieherinnen arbeiten Vollzeit, wenn sie 50 oder 55 Jahre alt sind? Ja, nur wenige, warum nur?

     

    Gute Erzieherinnen haben oft selber Kinder, was bei diesem Beruf natürlich häufig vorkomt. Verlogen ist aber die Haltung der Politiker, hier immer mehr Druck aufzubauen, die Arbeitsbedingungen stetig zu verschlechtern und dann über nicht vorhandene Kapazitäten zu klagen.