Lübecker Synagoge wiedereröffnet: Leben unter Sicherheitsmaßnahmen
Die Synagoge in Lübeck öffnet wieder ihre Türen. Die Nationalsozialisten hatten sie verwüstet, Neonazis in den 1990ern Brandanschläge verübt.
Die Schäden sollten sichtbar bleiben. Mehr noch: Der Verlust würde durch einen Vergleich verstärkt, denn in der Synagoge werde ein Modell des ursprünglichen Gebäudes ausgestellt.
Zehn Jahre nach dem Renovierungsbeschluss und sieben Jahre nach Sanierungsbeginn konnte das jüdische Gotteshaus in der St.-Annen-Straße am Donnerstag offiziell seine Türen öffnen. „Eine große Freude für die Gemeinde, aber auch eine große Herausforderung“, sagt Rabbiner Nathan Grinberg der taz.
In Schleswig-Holstein ist die 1880 eingeweihte Synagoge die einzige, die im Nationalsozialismus nicht vollständig zerstört wurde. In der Reichspogromnacht 1938 brannten die Nationalsozialisten das Gotteshaus nicht ab, weil neben dem Gebäude Kunstwerke und Wertgegenstände reicher Lübecker:innen in einem Archiv lagerten. Sie befürchteten wohl, dass das Feuer übergreifen könnte. Allerdings verwüsteten die Nationalsozialisten die Innenräume und zwangen die Gemeinde, das Gebäude weit unter Wert an die Stadt zu verkaufen.
Zum zweiten Mal angezündet
Es blieb nicht der einzige Angriff auf das jüdische Leben in der Hansestadt: 56 Jahre nach der Reichspogromnacht brannte die Synagoge doch. In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1994 legten Stephan W., Boris H.-M., Nico T. und Dirk B. an einem Seiteneingang Feuer, das einen Vorraum und auch wertvolle Dokumente schwer beschädigte.
Im Gebäude lebte zu diesem Zeitpunkt auch eine jüdische Familie. Sie hatten Glück, denn sie bemerkten den starken Qualm rechtzeitig und alarmierten die Feuerwehr, die das Feuer binnen weniger Minuten löschen konnte. Die fünf anwesenden Bewohner:innen waren außer Gefahr.
Es war das erste Mal in Deutschland nach 1945, dass versucht wurde, ein jüdisches Gotteshaus niederzubrennen. „Lübeck wird als die Stadt in die Geschichte eingehen, in der zum ersten Mal nach fünfzig Jahren wieder eine Synagoge gebrannt hat“, sagte damals Bürgermeister Michael Bouteiller.
Die Tat der Rechtsextremen im Alter von 19 bis 24 Jahren löste in Deutschland und in der Welt Entsetzen aus. Am Abend des 25. März 1994 kamen rund 200 Lübecker:innen zu einer Mahnwache vor die Synagoge, in der die Gläubigen das Pessachfest feierten. Einen Tag später gingen unter dem Motto „Lübeck hält den Atem an“ etwa 4.000 Menschen auf die Straße.
Bundesanwalt ermittelt
Die damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) sprach von einer „Wahnsinnstat“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland zu der Zeit, Ignatz Bubis, nannte die rechtsextremen Republikaner (REP) und die Deutsche Volksunion „geistige Brandstifter“ des Anschlages.
Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. Am Tatort führte ein nicht gezündeter Brandsatz zu den vier Männern aus dem rechtsextremen Milieu. Ihnen wurde außer schwerer Brandstiftung auch versuchter fünffacher Mord angelastet. Am Ende des Prozesses im April 1995 sah das Oberlandesgericht Schleswig aber keine gesicherte Grundlage für versuchten Mord, weil die Täter bestritten, von der Wohnung im Obergeschoss gewusst zu haben.
Der Vorsitzende Richter verurteilte die Täter zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren. Am 8. Mai 1995, dem 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, brannte es wieder auf dem Gelände. Ein angrenzender Schuppen war angezündet worden. Die Täter:innen wurden nicht gefunden, die Ermittlungen 1997 eingestellt. 2001 stand eine Bombenattrappe auf dem Gelände.
Die jüdische Gemeinde in Lübeck kann jetzt nach Gottesdiensten im Keller wieder ihren Glauben in der Synagoge leben. Aber es bleibt ein Leben unter Sicherheitsmaßnahmen. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, hat erneut die Notwendigkeit dafür offenbart.
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