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Ludwigshafen-“Tatort“Ein Mord wegen Massenmord

Der neue „Tatort“ aus Ludwigshafen setzt sich mit der Verantwortung für die Massenmorde der NS-Zeit auseinander.

Können sich die Kommissarinnen Lena Odenthal und Johanna Stern wirklich vertrauen? Foto: SWR

Juni 2022: Ein KZ-Wachmann wird zu fünf Jahren Haft verurteilt. Dezember 2022: Eine KZ-Sekretärin wird zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er arbeitete im Konzentrationslager Sachsenhausen, sie im Konzentrationslager Stutthof. Der eine ist 101, die andere 97.

Es geht darum, Unrecht ans Licht zu bringen, über die Verantwortlichkeit von Täterinnen und Tätern zu urteilen, sich an so was wie „Gerechtigkeit“ zu versuchen, an „Wiedergutmachung“. Auch Jahrzehnte später, auch bei Menschen, die so alt sind. So alt, dass klar ist: Zahllose andere sind gestorben, bevor sie zur Rechenschaft gezogen werden konnten.

Und so alt, dass auch klar ist: Bei denen, die noch leben, müssen wir uns als Gesellschaft beeilen, muss sich die Justiz beeilen mit ihren Prozessen. Um dieses Dilemma dreht sich der neue Ludwigshafen-„Tatort“ des SWR: um die Verantwortung für Massenmord. Und einen NS-Mann aus dem Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass, 50 Kilometer südlich von Straßburg.

Die Hauptfiguren in „Lenas Tante“ sind also: alt. Sie leben längst im Pflegeheim. Oder sie sind pensioniert, wie etwa „Dr. Odenthal“, die Tante von Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), frühere Staatsanwältin und überraschend für ein paar Tage zu Besuch (wie großartig übrigens, dass Ursula Werner diese Figur spielt; Andreas Dresen besetzte sie in „Halt auf freier Strecke“ und „Wolke 9“, für Letzteren gewann sie den Deutschen Filmpreis als beste weibliche Hauptrolle).

Die Kommissarinnen bekommen mehr Profil

Diese Geschichte von Stefan Dähnert, der schon viele Odenthal-Folgen geschrieben hat, inszeniert von Tom Lass, ein Debüt, funktioniert auch deswegen so gut, weil die Kommissarinnen Stern (Lisa Bitter) und Odenthal wie nebenbei mehr Profil bekommen, etwa weil plötzlich unklar ist, ob sie sich noch vertrauen können. Vor allem aber, weil manche Szenen erst im Rückblick mit voller Wucht wirken.

So wie der Tote, mit dem alles anfängt. Lebendig verbrannt, im Krematorium: Damit fängt der Film an, noch bevor klar ist, wie sich die Geschichte inhaltlich auffächert. Noch bevor klar ist, dass das keine makabre Idee ist. Sondern ein Verweis auf deutsche Geschichte. Die in dieser Folge wie selbstverständlich präsent ist, mit „Meine Ehre heißt Treue“, mit „Volk und Vaterland“, mit „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“, mit einem Starkstromkabel als Peitsche, samt SS-Runen.

In südwestdeutschen Dörfern und Städten stehen seit ein paar Jahren hier und da Schilder an der Hauptstraße, mit Pfeil: „Gurs 1444 km“, „Gurs 1319 km“, „Gurs 1027 km“. Gurs, das ist ein Dorf in Südfrankreich, in den Pyrenäen, heute wohnen dort nur ein paar hundert Menschen. Gurs, wo das deutsche Konzentrationslager stand, in das die NSDAP-Gauleiter im Oktober 1940 die Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland deportieren ließen. Gurs, ein Wort, das zumindest in 13 Jahren Unterricht bis Ende der 1990er in einem humanistischen Gymnasium in Baden nicht auftauchte, vermutlich in vielen anderen Schulen auch nicht. Von Natzweiler-Struthof, knapp hinter der badischen Grenze im Elsass, ganz zu schweigen.

Wirklich: Gut, dass es heute solche Sonntagabendkrimis gibt.

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2 Kommentare

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  • Der Tatort ist eine einzige Enttäuschung, weil er sich für die Thematik (massives systematisches Unrecht der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen) nicht wirklich interessiert, sondern als Versatzstück für einen Krimi nutzt, bei dem die in falschen Verdacht geratene Heldin auch noch eine ehemalige Staatsanwältin ist. Das stellt den Lauf der Geschichte auf den Kopf und lässt den Zuschauer sich gut fühlen.



    Wie ernst kann man einen Krimi nehmen, bei dem NS-Akten über die Fernleihe bestellt werden können und bei wir fast nichts über die Motive der angeblichen Nazijägerin erfahren?



    Der Enkel des Naziverbrechers ist natürlich ein schräger Neonazi und kein cleverer gut situierter grün wählender Anwalt aus Ludwigsburg, der sich nicht sonderlich für die Justizverbrechen seines Großvaters interessiert.



    Die Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigburg wurde in besten westdeutschen Justizkreisen antisemitisch "Staatsanwaltschaft Jerusalem, Zweigstelle Ludwigsburg" genannt.



    Kein Wunder, denn die Justiz nach dem 2 Weltkrieg bestand zum großen Teil aus Juristen, die schon im Dritten Reich tätig waren.



    Im Bundesjustizministerium glichen ganze Abteilungen, mit zum Teil schwer belastetsten Referenten, dem Reichsjustizministeriums unter Hitler.



    Sie alle bildeten ein Netzwerk, das gegenseitige Protektion und die Abwehr möglicher Kritik von außen sicherte und bis in die zum Teil schwer belastete Politik reichte.



    Die nur mit größten Widerständen historisch aufgearbeiteten braunen Flecken der Justiz, Politik, Wissenschaft, also der der deutschen Nachkriegselite, vor allem der Unternehmen, die bis heute meist die NS-Geschichte wegschminken, um sich als allseits gute Familienunternehmen zu präsentieren, könnte der Kern eines Krimis bilden, bei den die bis heute leidenden Nachfahren der NS-Opfer und wenigen Überlebenden das Zentrum des Films bilden müssten

  • Ein Stoff, mit dem das die Autoren und das Tatort-Format überfordert waren. Einzig Frau Folkerts, deren Fan ich sonst nicht bin, agierte als gestresste Nichte sehenswert komisch. Ihre Co-Ermittlerin wirkte dagegen farblos und eher peinlich in ihrer überflüssigen Love-Story' mit dem Doc, gegen den sie ermittelt - Sendezeitfüller. Ganz besonders störend: Die Musik - daramturgisch unvermittelt kllimperts mal elektronisch, mal 'Wagnerianisch' - aber dies Macke haben zunehmend ARD-Tatorte. Ein düsteres 'Einzelstück' im Ersten wäre dem Thema angemessener gewesen......