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Logos erhöhen die Ortskenntnis

Wie eine bestimmte Marke das Ausgehen in Mitte beeinflusst: Mit dem WMF hat das Berliner Nachtleben einen Club, der vor allem über sein „Branding“ funktioniert. Jetzt hat das WMF auch ein Plattenlabel gegründet und veröffentlicht als erstes die Lounge-Compilation „komfort.labor presents scape“

von TOBIAS RAPP

Alle Welt liest „NoLogo“ von Naomi Klein. Kreuzberger Antifas sitzen in der U-Bahn und studieren es, DJs aus Mitte sitzen in Galerien und lesen es, und die Angestellten von Werbeagenturen wissen nicht so genau: Gefährdet dieses Buch nun ihren Job, oder können sie daraus sogar etwas lernen? „NoLogo“ dreht sich um „Branding“, „Adbusting“ und Ähnliches: Wie funktionieren Marken und wie kann man sich diese Logik zu Eigen machen?

Kennzeichen gut funktionierender „brands“ ist, dass ihre Produkte so sehr über die Marke identifiziert werden, dass die konkret erworbenen Gegenstände darüber in den Hintergrund treten. Man trägt eine Marke, nicht einen Schuh oder eine Sonnenbrille, „brands not products“ lautet die dazugehörige Parole des Nike-Chefs Phil Knight.

Wenn das Berliner Nachtleben einen Club kennt, der vor allem über sein „Branding“ funktioniert, dann das WMF. Jeder kann sich etwas unter dem WMF vorstellen, bis weit über die Stadtgrenzen hinaus ist es bekannt, und all das, ohne dass man es mit einem bestimmten Ort oder einem bestimmten Sound verbinden würde. Wenn es einen flüchtigen Club gibt, dann das WMF. Vier Ortswechsel hat es überstanden, es läuft immer noch – schöner, besser und größer als je zuvor. Im WMF wird House gespielt, Drum ’n’ Bass, NuJazz, Ambient, Reggae, mitunter auch Techno. Die große, verbindende Klammer ist der „Brand“. WMF – so geht man in Berlin-Mitte aus. Und nicht nur das, der „Brand“ selbst ist aus dem Kapern eines anderen „Brands“ entstanden. War doch die erste Location des Clubs in den ehemaligen Räumlichkeiten eines weltbekannten Geschirrherstellers, und bis heute landet man auf dessen Homepage, wenn man auf die Seite des WMF möchte und vergisst, die vier Buchstaben c-l-u-b an den Namen anzufügen.

Seit einigen Monaten legt sich das WMF nun zum ersten Mal fest. Es hat ein Label gegründet. Die „Nighteffect“-Compilation vom vergangenen Sommer war eine Art Testballon, der immerhin dazu geführt hat, dass der Act Mitte Karaoke und das Stück „Discofiebel“ einen Majorvertrag bekommen haben. Weil man aber vermeiden will, ähnlich dem Tresor mit einem bestimmten Sound oder einem bestimmten Image identifiziert zu werden, soll das Label ganz ähnlich funktionieren wie der Club. Es gibt das Dach WMF, darunter haben viele Reihen Platz. Jede Reihe heißt so wie einer der Abende des Clubs.

Den Anfang macht die Lounge: Das Album „komfort.labor“ präsentiert das, was in der Lounge läuft, wenn Stefan Betke und Barbara Preisinger vom scape-Label die Finger an den Plattenspielern haben. Dass ausgerechnet die Lounge den Anfang macht, ist kein Zufall, ist sie doch das idelle Zentrum des WMF. Das mag man gut finden oder schlecht, es ist so.

Als das WMF im vergangenen Frühjahr umzog und die Lounge zunächst nichts weiter war als ein Raum, wo man recht unbequem sitzen konnte, da standen alle im Durchgang. Man will schließlich was sehen. Dafür ist man da. Wie gut das Konzept dieser Lounge ist, kann man jedes Wochenende im benachbarten Club 103 beobachten: Im Grunde ist dieser ganze Laden nichts als ein Nachbau der alten WMF-Lounge. Mittlerweile ist die Lounge des WMF wohnlicher geworden, und „komfort.labor“ präsentiert von einem frühen Stück von Vladislav Delay über Farben und das Cinematic Orchestra bis zu einem Stück von Pole selbst den Sound, der läuft, wenn Letzterer dort auflegt. Ruhig, verdubbt und angenehm. Natürlich startet das WMF seine Compilation-Reihe auch deshalb mit scape, weil Clubs lokal funktionieren, bestenfalls national, Labels dagegen internatio4nal operieren. Und da die anderen Resident-DJs zwar in Berlin bekannt sind – ihr Ruf mitunter sogar bis nach Frankfurt oder München oder Köln vorgedrungen ist, aber eben nicht weiter –, ist es nur logisch, dass das WMF den Beginn seiner Compilation-Serie von Stefan Betke bestreiten lässt. Den kennt man auch in London und San Francisco.

Insgesamt sind drei Reihen geplant. „komfort.labor“ ist der erste WMF-Subbrand. Als nächstes wird „audio.video.disco“ folgen, verantwortet von Dixon und Mitja Prinz, die vierzehntäglich den Samstag bespielen. Ihr Mix soll im Frühling erscheinen, gefolgt von der zweiten „komfort.labor“-Platte im Frühsommer, dann von Gudrun Gut und dem Ocean Club verantwortet, die ja auch regelmäßig die Lounge bespielt. Im Spätsommer schließlich werden Highfish und Diringer, die anderen Samstags-DJs, einen „Nighteffect“-Mix herausbringen. Und das ist noch nicht alles. Neben den Compilations sollen noch Maxis erscheinen, und einige der zahllosen Produzenten, die das WMF bevölkern, arbeiten an Alben, die ab Herbst erscheinen sollen.

Das ist ein ehrgeiziges Programm. Aber will man die ambulante Soundpolitik des Club-Mutterschiffs auf ein Label übertragen, geht es wahrscheinlich nicht anders als durch Unterabteilungen. Was auch nur dann funktioniert, wenn diese Unterabteilungen tatsächlich auch als Serien wahrgenommen werden, sonst werden sie keine eigene Marke. Also müssen regelmäßig neue erscheinen.

Doch das ist die einzige Unwägbarkeit. Denn im Unterschied zu Tresor Records, die wahrscheinlich ziemlich blöd dastehen werden, sollte der Club eines Tages tatsächlich einmal die Tore schließen müssen, kann WMF Records tatsächlich eine Weile ohne Club auskommen, wenn der Mietvertrag für den gegenwärtigen Laden eines Tages nicht mehr verlängert werden sollte. Im Gegenteil, der „Brand“ würde durch die Platten weitergetragen werden, bis sich ein neuer Ort auftut.

„komfort.labor presents scape“ (WMF Records/Efa); Samstagnacht ab 24 Uhr, clubscape + releaseparty, WMF, Ziegelstr. 22, Mitte; Naomi Klein liest Sa. um 19 Uhr aus „NoLogo“ im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg

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