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Lockerungen an UniversitätenStudierende haben den Online-Blues

Im April beginnt das dritte Digital-Semester. Die Initiative #NichtNurOnline fordert Präsenzlehre – und kritisiert politische Konzeptlosigkeit.

Lieber mal wieder Hörsaal statt Online-Seminare: Studierende bei Protestaktion vor der HU Foto: Oscar Fuchs

BERLIN taz | Vor dem Tor zum Prinz-Heinrich-Palais auf dem Campus der Humboldt-Universität in Mitte steht eine Gruppe von rund 100 Protestierenden im Nieselregen. Im Schatten der prunkvollen Fassade lässt ein junger Auktionator in Trenchcoat und Krawatte den Hammer krachen. 87 Euro und zwei Club Mate sind an diesem Montagnachmittag genug, um das Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu ersteigern.

Die Aktion „HU unter'm Hammer“ gibt damit eine satirische Antwort auf ihre Frage, was ihre Bildung wert sei. Organisiert wird die Protestauktion durch die Initiative #NichtNurOnline, an der sich rund 20 Studierende verschiedener Berliner Universitäten und Fachbereiche beteiligen.

Mitte Februar wandten sie sich bereits mit einer Petition und einem offenen Brief an Senat und Hochschulleitungen. Die Forderung: Die Präsenzlehre müsse wieder aufgenommen werden. Über 1.200 Menschen haben mittlerweile unterschrieben, darunter auch Do­zen­t:in­nen und Professor:innen.

Die Initiative kritisiert insbesondere, dass Universitäten in den Öffnungsplänen der Bund-Länder-Konferenz nicht berücksichtigt würden. Ricarda Schramm, Philosophiestudentin im ersten Semester, sieht das als Problem: „Ich finde es ungerecht, dass Öffnungen für alle möglichen Branchen besprochen werden, aber nicht für die Unis. Das fühlt sich an, als würden wir gar nicht als Teil der Gesellschaft wahrgenommen.“

Digitale Uni als soziale Belastung

Das Online-Studium bereite vielen Studierenden nicht nur Probleme auf inhaltlicher Ebene, sondern sei vor allem auch eine psychische Belastung, so die Initiative. Der fehlende soziale Kontakt zu Mitstudierenden könne durch Video-Konferenzen nicht ersetzt werden, betont Maya Pasdika von #NichtNurOnline.

Die 22-jährige Philosophiestudentin erklärt: „Als Studierende schmieden wir lebenswichtige Pläne für die Zukunft. In der Isolation des Online-Studiums werden wir aber auf existenzielle Probleme zurückgeworfen. Die Uni muss ein sozialer Ort sein, um geistige Fähigkeiten und emotionale Intelligenz zu fördern.“

Der Philologie-Dozent Roberto Lo Presti warnt in einer Rede ebenfalls vor der fehlenden sozialen Komponente des Studiums: „Studieren bedeutet auch ein Zusammenlernen und dient der freien Entfaltung der Person. Es ist kein Zufall, dass viele Studierende unter diesen Bedingungen an Depressionen leiden.“

Lockerungen nicht um jeden Preis

„Wir verstehen, dass es auch Verzicht geben muss. Wir verstehen aber nicht, warum es kein Konzept gibt, warum man nicht mit uns spricht“, kritisiert der Redner Johannes Hofmann. Vermutlich, um bei aller Kritik keine Assoziationen zu Querdenkern und Co. aufkommen zu lassen, betont er klar: „Wir distanzieren uns von allen Leugnern der Pandemie.“

Weniger gehe es um eine plötzliche Öffnung der Universitäten als darum, Perspektiven für die Präsenzlehre zu schaffen, argumentiert Mitinitiatorin Maya Pasdika. Mit Blick auf die anstehende Bund-Länder-Konferenz am 22. März fordert die Initiative daher einen Öffnungsplan für die Hochschulen, der anschließend in den Berliner Stufenplan für Lockerungen in der Pandemie einfließen soll.

Auch anwesende Lehrende wünschen sich konkretere Schritte für den Hochschulbetrieb. Der Jura-Professor Christian Waldhoff sieht seine bisherigen Erfahrungen mit der Online-Lehre kritisch: „Es kommen in der Form kaum Diskussionen auf.“ Axel Metzger, ebenfalls Professor an der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität, wundert sich über die fehlende Öffnungsstrategie. „In den USA wird Präsenzlehre teilweise mit Tests ermöglicht. Warum also nicht hier? So wie es jetzt läuft, geht es auf die Kosten der jüngeren Generation.“

Auf die Frage, ob der Protest während steigender Infektionszahlen nicht zum falschen Zeitpunkt komme, erklärt Pasdika: „Wir wollen eine schrittweise und vorsichtige Öffnung.“ Oder wie eine Mitrednerin aus dem Berliner Stufenplan zitiert: „So viel Präsenz wie möglich, so viel Online wie nötig.“

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