Lobbyismus in der Schule: Kontakt zum Kunden von morgen
Drei Viertel aller großen Unternehmen produzieren Materialien, die im Unterricht benutzt werden. So lassen sich Lehrer und Schüler beeinflussen.
BERLIN taz | Bald wird Helmut Schorlemmer seinen Kampf aufgeben, nach 15 Jahren. Der Schulleiter aus dem nordrhein-westfälischen Unna ist ehrenamtlicher Landesbeauftragter für Schulsponsoring. Der Einzige in Deutschland.
Mit Infobroschüren und Veranstaltungen sensibilisiert er Lehrer und Verbände für das Thema. Zuletzt hatte er sich vor Anfragen kaum retten können: „Sponsoring an Schulen hat in den letzten Jahren enorm zugenommen“, sagt Schorlemmer. „Dabei sind gute Partnerschaften entstanden, andererseits versuchen immer wieder Anbieter, ihre Angebote zu instrumentalisieren.“ Mittlerweile gebe es eine Flut von ungeprüftem Lehrmaterial, das Unternehmen, Stiftungen und andere Organisationen kostenlos für den Unterricht zur Verfügung stellten. Einfallstore für Lobbyismus.
Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) beschäftigt sich seit vier Jahren intensiv mit Material, das abseits der Schulbücher auf den Markt schwemmt. Vor Kurzem hat er die Ergebnisse der Analyse im „Materialkompass Verbraucherbildung“ veröffentlicht. 29 Experten bewerteten rund 450 Materialien zu Themen wie Finanz- und Medienkompetenz, Ernährung und Konsum. Bislang gibt es für diese klassischen Verbraucherthemen kaum Schulbücher, eine Ausnahme bildet Schleswig-Holstein. Lehrer greifen deswegen besonders häufig auf externes Material zurück, wenn es um Verbraucherthemen geht.
„Wir haben große Unterschiede bei der Qualität festgestellt, je nachdem, von welchem Anbieter das Material kommt“, sagt Tatjana Bielke vom VZBV. Während die Angebote aus öffentlicher Hand zu drei Vierteln mit „sehr gut“ oder „gut“ benotet wurden, wurde nur ein Drittel der Materialien aus der Wirtschaft positiv bewertet. „Oft werden Sachverhalte nicht objektiv, sondern verkürzt und einseitig dargestellt“, sagt Bielke. So verschweigt etwa die Volkswagen AG in der Broschüre „Mobil im Klimaschutz“ unmotorisierte Verkehrsalternativen und Tetra Pak wirbt mit der eigenen Markenfigur in Texten zum Thema Recycling.
Der Gedanke dahinter: In Schulen erreichen die Unternehmen die Konsumenten von morgen. Eine Onlinestudie der Universität Augsburg ergab, dass mittlerweile etwa drei Viertel der größten deutschen Unternehmen eigenes Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellen, insgesamt wurden im Jahr 2012 fast 900.000 Materialien frei zugänglich im Netz angeboten.
Schwammiges Werbeverbot
Lehrer nutzen diese Angebote gerne: Sie sind aktueller und spezialisierter als Schulbücher – und meist kostenlos. Dabei sind sich viele der möglichen Einflussnahme durch Unternehmen nicht bewusst: „Vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern fehlt die nötige Sensibilität“, sagt Bielke. Außerdem gebe es keine einheitlichen Standards, an denen sich die Lehrkräfte orientieren könnten. Zwar gilt in den meisten Bundesländern ein Werbeverbot an Schulen, doch ist meist schwammig formuliert, was das heißt. Lehrer müssten sich auf ihr Gespür verlassen.
„Aber das ist eine Aufgabe der Fachkonferenzen, nicht einzelner Lehrer“, sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung. Unterrichtsmaterial von Außen müsse sehr genau geprüft werden, um Produktwerbung und Einflussnahme zu verhindern.
Schorlemmer empfiehlt Hilfsmittel aus nichtkommerziellen Quellen, etwa von der Bundeszentrale für politische Bildung. „Es gibt genügend gutes Material, Lehrer dürfen nur nicht den bequemsten Weg wählen.“ Bald muss sich darum ein Nachfolger kümmern, Schorlemmer geht im Juli in Pension. Er wird dann als Entwicklungshelfer in Ghana arbeiten. Und einen neuen Kampf austragen.
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