Lobbyismus gegen TTIP: Gefragtes Gesicht des Widerstands
Pia Eberhardt klärt über das Freihandelsabkommen auf – und provoziert dabei zunehmend rüde Attacken der TTIP-Befürworter.
BRÜSSEL/BERLIN taz | Ganze Straßenzüge mit glitzernden Fassaden sind im Europaviertel in Brüssel belegt von Unternehmensrepräsentanzen, Dachverbänden, spezialisierten Anwaltskanzleien und Agenturen. Geschätzte 20.000 Lobbyisten arbeiten hier, die überwältigende Mehrheit von ihnen im Auftrag von Industrie und Finanzwirtschaft. Pia Eberhardt kennt die einschlägigen Adressen. Auf Führungen für interessierte Gruppen informiert die 35-jährige Politologin regelmäßig über die Aktivitäten und den Einfluss der Industrie auf die Politik der Europäischen Kommission.
Die Kräfteverhältnisse scheinen klar zu sein. Denn ihr eigener Arbeitgeber, die Anti-Lobby-Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) verfügt über einen einzigen Büroraum mit bunt zusammengewürfelten Schreibtischen, an denen zwölf Mitarbeiter Platz finden.
In der Öffentlichkeit hat es die Industrie trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit derzeit allerdings schwer. Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU mit dem sperrigen Namen Transatlantic Trade and Investment Partnership – kurz TTIP – hätte sie gern wie gewohnt ohne größere Debatte durchgebracht. Stattdessen ist es nun eins der meistdiskutierten Themen im EU-Wahlkampf, berichten Politiker aller Parteien: Bei fast jeder größeren Kundgebung finden sich Anti-TTIP-Plakate im Publikum. Die Umweltorganisation BUND befragt im „TTIP-Check“ alle Kandidaten zu ihrer Haltung zum Abkommen. Aktivisten des Protestnetzwerks Campact haben fast 500.000 Unterschriften gesammelt und hängen kurz vor der Wahl 6,5 Millionen Info-Zettel an deutsche Haustüren.
Die Kritiker, die vor Einschnitten beim Umwelt- und Verbraucherschutz und vor wachsendem Einfluss auf die Politik warnen, finden Gehör, die Politik geht zunehmend auf Distanz.
Druckreif und sendefähig
In Deutschland hat die Kritik vor allem ein Gesicht: das von Pia Eberhardt. Als sie am Montagmorgen zusammen mit zwei Kollegen ihre spezielle TTIP-Lobby-Tour vor der EU-Generaldirektion für Handel beginnt, sind wieder 14 Journalisten aus verschiedenen Ländern erschienen, darunter Kamerateams von ARD und ZDF. Sie werden nicht enttäuscht. Die zierliche Frau mit der dunklen Kurzhaarfrisur, zwei Piercings im Gesicht und einem Tattoo aus Gartenmotiven auf dem Arm formuliert ihre Kritik am Freihandelsabkommen druckreif und sendefähig, auf Deutsch ebenso wie auf Englisch.
Und sie hat immer anschauliche Beispiele parat. Etwa zu den Klagen von Konzernen gegen politische Entscheidungen, die das Abkommen ermöglichen soll: „Hier sitzt die Kanzlei, die im Auftrag von Philip Morris die Regierung von Uruguay verklagt hat – weil große Gesundheitswarnungen auf Zigarettenschachteln nicht genug Platz für ihr Logo lassen“, sagt sie vor einem marmorverkleideten Bürogebäude in der Rue Montoyer.
Ihre Kölner Wohngemeinschaft, die eigentlich ihren Lebensmittelpunkt bildet, sieht Eberhardt derzeit nur selten – auch wenn sie offiziell nur eine 80-Prozent-Stelle hat und teils in Brüssel, teils in Köln arbeitet. In den 14 Tagen vor der Lobby-Führung war die TTIP-Expertin zu einem Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion, bei einer Fortbildung zu Investitionsschutz-Verträgen in Cleve, zu einer Diskussion vor der Attac-Gruppe Saarbrücken und für ein Interview beim Saarländischen Rundfunk. Zwischendurch versucht sie wenigstens einen Teil der vielen Mails von Medien, Politikern und Aktivisten zu beantworten, die ungelesen im E-Mail-Eingang ihres Laptops warten.
Überraschendes Interesse der Öffentlichkeit
Am vergangenen Donnerstag hält Eberhardt um 18 Uhr einen Vortrag bei Ver.di – zu dem statt der angemeldeten 35 Teilnehmer mehr als doppelt so viele kommen, so dass die Stühle trotz Verlegung in einen größeren Raum nicht reichen. Knapp zwei Stunden später wartet dann schon ein Wagen der Produktionsfirma von Anne Will vor dem Gebäude, um die Expertin ohne Pause direkt ins Studio der Talkshow zu bringen.
Die große Aufmerksamkeit ist ihr unangenehm, daraus macht sie keinen Hehl. Und auch ein bisschen unheimlich. „Fünfzehn Jahre lang hat sich kein Mensch für das Thema Welthandel interessiert“, sagt sie auf der Fahrt nach Berlin-Adlershof. „Und jetzt kann ich mich vor Anfragen kaum retten.“ Das liegt nicht nur daran, dass sie den trockenen Stoff lebendig erklären kann. Sie versteht auch mehr vom Thema als die meisten anderen.
Alle verwahren sich dagegen, bewährte Arbeitnehmer-, Verbraucher-, Daten- und Umweltschutzniveaus der EU aufs Spiel zu setzen. Ansonsten:
Die CDU ist für das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), weil sie glaubt, dass der weltweite Abbau von Handelsbeschränkungen und Freihandel Jobs schafft.
Die CSU ist für TTIP, fordert aber Verhandlungen auf Augenhöhe und mehr Transparenz.
Die SPD laviert, offiziell will sie TTIP nutzen, um „fortschrittliche“ Standards zu verankern.
Die Linke ist gegen TTIP. Es werde den großen Banken und Konzernen und nicht der europäischen Binnenwirtschaft nutzen.
Die Grünen wollen die Verhandlungen der EU und USA aussetzen und neu starten. Dabei dürften demokratisch entstandene Regeln nicht zur Debatte gestellt werden.
Die FDP ist für TTIP, will aber zeitgleich ein Datenschutzabkommen vereinbaren.
Die Piraten lehnen TTIP ab, solange nicht öffentlich und transparent mit einem demokratisch legitimierten sozialökologischen Mandat verhandelt wird.
Denn die Politikwissenschaftlerin, die sich schon im Studium und später beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac mit Welthandelsfragen beschäftigte, hat von 2011 bis 2012 für eine umfassende Studie („Profiting from Injustice“) Hunderte Gerichtsprozesse analysiert, die auf Investitionsschutzabkommen beruhen. Solche internationalen Vereinbarungen geben Firmen das Recht, Staaten zu verklagen, wenn sie ihre Investitionen oder Gewinne bedroht sehen, weil die Parlamente neue Gesetze verabschiedet haben. Der Stromkonzern Vattenfall etwa klagt gleich zweimal gegen Deutschland – weil ihm die Umweltauflagen für das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg nicht behagen und wegen des nach dem GAU von Fukushima beschlossenen Atomausstiegs.
Verhandelt werden die Fälle nicht vor staatlichen Gerichten, sondern vor privaten Schiedskammern, wo nicht unabhängige Richter, sondern spezialisierte Anwaltsfirmen entscheiden.
Als vergangenen Sommer herauskam, dass auch das TTIP-Abkommen mit den USA eine solche Investitionsschutz-Klausel enthalten soll, stieg das Interesse an Eberhardts Studie schlagartig an. Und an der Autorin.
Die sitzt bei Anne Will zwischen der Gastgeberin und dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz. Das Tattoo auf ihrem Arm ist von einer hellgrauen Strickjacke verdeckt, doch sie redet wie immer. Die große Nervosität, von der Eberhardt vor der Sendung berichtet hat, ist ihr im Studio nicht anzumerken. Sachlich geht sie auf die Argumente der TTIP-Befürworter ein.
Publikumsliebling bei Anne Will
Das Abkommen könne doch auch zu mehr Verbraucherschutz führen, meint CDU-Mann Thomas Strobl. Wenn das so sei, erwidert Eberhardt, könnte man doch erwarten, dass sich die Kommission im Vorfeld nicht nur mit der Industrie, sondern auch mit Verbraucherschützern getroffen hätte. „Das war aber nicht der Fall.“
Die EU werde die Schutzstandards für Umwelt, Verbraucher und Arbeitnehmer keinesfalls absenken, verspricht SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz. Genau das forderten aber die USA im Gegenzug für die Wünsche der EU, kontert Eberhardt. „In dem Kuhhandel, den es am Ende geben wird“, könne der Verbraucherschutz sehr wohl „auf der Strecke bleiben“.
Durch TTIP würden die Preise für die Verbraucher deutlich sinken, verspricht der US-Unternehmer Martin Richenhagen. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta, das schon seit 20 Jahren in Kraft ist, zeige das Gegenteil, sagt Eberhardt. Obwohl die Importe in die USA stiegen, wurden Lebensmittel teurer. „Das hat zum Beispiel mit Marktmacht von Unternehmen zu tun.“
Beim besonders umstrittenen Investitionsschutz habe die Kommission die Verhandlungen bereits gestoppt und eine Befragung der Öffentlichkeit gestartet, beruhigt Schulz. Die Offenheit werde hier nur simuliert, kontert Eberhardt. „Da geht es nämlich nicht um die Frage: Brauchen wir diese Klagerechte, dieses parallele Rechtssystem?“ Stattdessen frage die Kommission nur: „Wie sollen wir es tun?“
Die TTIP-Gegnerin, daran lässt die Reaktion des Publikums keinen Zweifel, kommt nicht nur sympathischer rüber als ihre Gegenspieler. Sie hat auch die besseren Argumente.
Aggressiver Diskussionsverlauf
Das bleibt nicht ohne Reaktion. EU-Handelskommissar Karel De Gucht hat schon im Dezember die Organisation CEO, bei der Pia Eberhardt seit 2008 arbeitet, als zentralen Gegner ausgemacht. In einer eigenen Pressemitteilung ließ er verbreiten, die „handels- und wirtschaftsfeindliche Lobbyorganisation“ habe ein „Eigentor“ erzielt, indem sie ein internes Dokument der Kommission aus den Verhandlungen veröffentlichte, das allein deren hehre Ziele belege.
Bei Anne Will ist es der US-Unternehmer Richenhagen, der aggressiv wird, als die Diskussion nicht den gewünschten Verlauf nimmt. „Wir sollten vorsichtiger sein bei der Einbindung von NGOs“, platzt es plötzlich aus ihm heraus. Die Nichtregierungsorganisationen seien „ganz kleine Gruppen, die machen eine Super-PR, kommen in diese Sendungen“, empört er sich. Dort würden sie nur „Angst verbreiten“. Und überhaupt: „Wer steht dahinter?“, will der Unternehmer wissen. „Wo kommt die Kohle her?“
Da sieht sich nicht nur Gastgeberin Anne Will zum Eingreifen genötigt und verweist auf die transparenten Finanzberichte der Organisation, die Gelder aus Wirtschaft und Politik ablehnt und vor allem von gemeinnützigen Stiftungen getragen wird. Auch Schulz, der schon vorher versucht hatte, Gemeinsamkeiten herauszustellen, verteidigt die TTIP-Gegnerin.
Der ist die Vereinnahmung durch den EU-Parlamentspräsidenten aber ebenso unangenehm wie der Angriff durch den Unternehmer, sagt sie hinterher. Denn dass die neuerdings kritische Haltung der SPD den Wahlkampf überdauert, bezweifelt Eberhardt. „Der Kampf gegen TTIP ist noch lange nicht gewonnen.“ Und angesichts der vielen starken Akteure, die ein großes Interesse daran haben, werde er auch nicht leicht. „Wir brauchen einen langen Atem.“
Und vermutlich zusätzliche Gesichter. Denn so sehr Eberhardt sich über die große Aufmerksamkeit für das Thema freut, persönlich wird es ihr allmählich zu viel. „Natürlich arbeite ich weiter gegen TTIP“, sagt sie. „Aber nicht auf Dauer in diesem Tempo.“
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