Lobbyismus an Bildungseinrichtungen: Schulverweis für Exxon & Co.
Schulbesuche bei Energiekonzernen fallen in Niedersachsen erstmal weg. Das Kultusministerium hat solche Kooperationen untersagt.
„Der Referent aus der Öffentlichkeitsarbeit stellte heraus, dass der Nutzung von Erdgas […] eine herausragende Rolle in den nächsten Jahrzehnten zukommen wird“, notierten die Schüler in einem Bericht für die Webseite der Schule. Die Betriebsbesichtigung, Teil einer langjährigen Kooperation mit Exxon, endete zur allgemeinen Zufriedenheit mit einem „sehr leckeren Mittagessen“ in der betriebseigenen Kantine.
Auf solche Ausflüge werden Niedersachsens Gymnasiasten ab dem kommenden Schuljahr erst einmal verzichten müssen. Das SPD-geführte Kultusministerium kündigte im Januar eine Kooperation zwischen Gymnasien und Erdöl-Unternehmen auf, nachdem zivilgesellschaftliche Kritik laut geworden war.
Es sei „nicht mehr gewährleistet“ dass sich „Schülerinnen und Schüler ohne einseitigen Einfluss ihr eigenes Urteil bilden können“, begründet das Kultusministerium seine Entscheidung. Die Kooperation verstoße gegen die Antikorruptionsrichtlinie.
Bilaterale Kooperationen
Initiiert wurde die Zusammenarbeit zwischen den Gymnasien und dem Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) 2007 unter der schwarz-gelben Regierung. Diese hatte vor, Schulen für zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure zu öffnen, um mehr Praxis in den Unterricht zu holen.
Einige niedersächsische Gymnasien starteten daraufhin bilaterale Unternehmenskooperationen. Die Gymnasien Sulingen und Antonianum Vechta knüpften Kontakte zu ExxonMobil, das Franziskusgymnasium in Lingen arbeitete mit dem Energieunternehmen GDF SUEZ zusammen.
Nach Auskunft des Kultusministeriums erhielten insgesamt fünf Gymnasien von den Unternehmen jeweils bis zu 10.000 Euro jährlich, über deren Verwendung die jeweiligen Partnerunternehmen jedoch mitentscheiden durften. Außerdem verpflichteten sich die Schulen, „Statusberichte“ über die Zusammenarbeit vorzulegen und gemeinsam mit dem WEG Unterrichtsmaterialien zu entwickeln.
„Eine solche Vertragsgestaltung eröffnet unseres Erachtens Möglichkeiten der Einflussnahme auf schulische Belange und die Mitgestaltung der Lehrinhalte und wäre damit unzulässiges Sponsoring“, begründet das Ministerium auf Nachfrage der taz seine Entscheidung.
Gefahr der Instrumentalisierung
Aus einer vom WEG publizierten Dokumentation „Erdöl- und Erdgasgewinnung als Thema für die gymnasiale Oberstufe“ (hier als pdf) geht zudem hervor, dass die Partner auch Exkursionen und Lehrerfortbildungen durchführten und Referenten an die Schulen schickten. Dabei seien auch tagespolitisch relevante Themen wie das umstrittene Fracking oder die Bedeutung von Erdgas für die Energieversorgung thematisiert worden.
Der Antikorruptionsverein LobbyControl sieht die Unabhängigkeit der schulischen Wissensvermittlung durch solche Kooperationen bedroht. „Die Gefahr ist, dass die Schulen für die Interessen der Unternehmen instrumentalisiert werden“, argumentiert Felix Kamella von LobbyControl. Die Unternehmen könnten die Autorität und den Schutzraum der Institution Schule für Werbung und Selbstdarstellung nutzen.
Der Schulleiter des Franziskusgymnasiums Lingen, Heinz-Michael Klumparendt, versucht zu beruhigen. Entscheidend sei, dass die Schule kontrolliere, welche Themen behandelt werden: „Gefährlich wird es erst dann, wenn Unternehmen Unterrichtsinhalte diktieren können.“ An seiner Schule sei das aber zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen.
Den Energieunternehmen ging es jedoch dezidiert auch darum, ihre Themen im Klassenraum zu setzen: Die Integration von „Erdöl- und Erdgasthemen in die Projektarbeit der Schule“ ist laut WEG-Dokumentation ein Ziel der Nachwuchsarbeit. Und sie haben es erreicht: Alle fünf Schulen richteten ein entsprechendes Seminarfach ein.
Mangelnde Distanz
Am Gymnasium Sulingen hieß das Fach „Erdgas – ein Energieträger mit Zukunft“. Im Rahmen des Unterrichts führte die Schule 2012 eben jene Exkursion zur norddeutschen Erdgasaufbereitungsanlage NEAG, einem Tochterunternehmen des Kooperationspartners Exxon durch.
Kamella von LobbyControl sieht auch ein strukturelles Problem: „Solche Kooperationen können grundsätzlich zu finanziellen Abhängigkeiten und mangelnder Distanz führen.“ Eine ähnliche Auffassung vertritt das Kultusministerium.
Ein genauer Blick auf die Kooperationen zeigt: Es gibt tatsächlich ein sehr dichtes Geflecht an Kommunikationskanälen, die meist von den Unternehmen in Richtung der Schulen verlaufen. „Man kennt sich, man hilft sich“, zitiert die digitale Kreiszeitung im September 2011 Norbert Stahlhut aus der Öffentlichkeitsabteilung von ExxonMobil in einem Artikel über die Schulkooperation.
Reputation verbessern
Die Kommunikationsstrategie der Erdöllobby wirkt dabei zuweilen etwas schizophren. Nach außen muss der Wirtschaftsverband Befürchtungen abwehren, er würde die Schüler manipulieren. „Die Erfahrung zeigt, dass sich die Schülerinnen und Schüler sehr engagiert einbringen und sich mit aktuellen Themen durchaus kritisch auseinandersetzen“, schreibt Verbandssprecherin Miriam Ahrens auf taz-Anfrage.
Nach innen will der Verband den Mitgliedsunternehmen allerdings die Schulkooperation schmackhaft machen. Zumindest in seiner Dokumentation ist der Lobbyverband bemerkenswert offen. Ziel der Kooperationen sei die „Verbesserung von Akzeptanz und Reputation“ der beteiligten Unternehmen. In einer Evaluation heißt es, 57 Prozent der beteiligten SchülerInnen fänden ihr Partnerunternehmen „sehr gut“ oder „gut“, und für 45 Prozent habe sich die Bewertung der Partnerunternehmen verbessert.
Geht es nach dem Wirtschaftsverband, dann geht die Nachwuchsarbeit auch nach dem Rausschmiss durch das Kultusministerium weiter: „Die beteiligten Unternehmen streben an, die Zusammenarbeit fortzuführen“, schreibt Ahrens. Davon geht auch Kamella von LobbyControl aus. Er befürchtet, dass die Unternehmen, die Verträge mit den Schulen so verändern, dass sie formal der Antikorruptionsrichtlinie nicht mehr widersprechen, die Kooperationen jedoch mit minimalen Veränderungen fortbestehen.
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