Lithiumgewinnung in Argentinien: „Proteste werden kleingehalten“
Für die Verkehrswende werden im südamerikanischen Lithiumdreieck Unmengen Wasser verbraucht. Das trifft vor allem die indigenen Gemeinschaften.
„Lithium ist einer der Schlüsselrohstoffe für die Elektromobilität“, erklärte Andreas Wendt vom Vorstand der BMW, als der Automobilkonzern im März 2021 bekannt gab, einen Lithiumliefervertrag über rund 285 Millionen Euro mit dem US-Unternehmen Livent abgeschlossen zu haben. Livent extrahiert Lithium vor allem aus dem Salar del Hombre Muerto in der argentinischen Provinz Catamarca. Der 600 Quadratkilometer große Salzsee liegt auf einer Höhe zwischen 3.400 und 4.600 Meter über dem Meeresspiegel in einem Gebiet mit extremer Trockenheit.
„Ein Salzsee ist ein Feuchtgebiet. Das macht ihn zu einer strategisch wichtigen Wasserreserve“, sagt Verónica Gostissa von der Versammlung Pucará, die sich in Catamarca für den Schutz des Wassers einsetzt. Um Lithium zu gewinnen, wird die unter der Saline lagernde Sole in flache Becken gepumpt und mit einer riesigen Menge an Süßwasser vermischt. In den Becken werden unterschiedliche Mineralien und Metalle gewonnen, wenn das Wasser durch die Sonneneinstrahlung verdunstet – vom schlichten Tafelsalz bis zu Lithiumcarbonat oder -hydroxid. Um eine Tonne Lithium zu gewinnen, werden 2 Millionen Liter Wasser benötigt.
Der immense Verbrauch senkt den Pegelstand der unterirdischen Süßwasserreservoirs, die sich ausschließlich durch Regen speisen. Der Wasserspiegel in den Lagunen fällt, die Flüsse führen kaum Wasser. „Die einstmals breiten und grünen Randzonen entlang des Flusses Trapiche, der in den Salar del Hombre Muerto mündet, sind inzwischen ausgetrocknet“, so Gostissa. Selbst das Umweltministerium der Provinz Catamarca hat den Schaden als irreversibel eingestuft.
Der Preis hat sich verdreifacht
Zur Wassernot kommen giftige Stäube, die bei der Extraktion entstehen und die Tiere krank machen oder töten, von denen die Kollas leben, eines der wenigen verbliebenen indigenen Völker in Südamerika.
Als Sony 1991 mit den ersten Lithiumbatterien auf den Markt ging, wurden sie vor allem in tragbare Elektrogeräte gesteckt. Sie lieferten nicht nur ausdauernd Strom, sie waren auch sehr leicht. Doch während in einer Smartphonebatterie etwa 3 Gramm Lithium sind, werden für ein Elektroauto rund 10 Kilogramm benötigt. Nach aktuellen Prognosen wird sich die Nachfrage nach Lithium in diesem Jahrzehnt verzehnfachen. Die Preise steigen. Kostete eine Tonne Lithium im Jahr 2004 noch knapp 2.000 US-Dollar, so sind es inzwischen rund 6.000 Dollar.
Derzeit wird die Lithiumnachfrage vor allem von Australien, China und Chile gedeckt. Mit weitem Abstand folgen Argentinien und Bolivien. Während das australische Lithium aus Spodumenerz extrahiert wird, das aus den Bergbauminen stammt, wird Lithium in Südamerika aus der Sole riesiger Salzseen gewonnen. Geschätzt wird, dass in den Salinas von Chile, Argentinien und Bolivien bis zu 60 Prozent der globalen Lithiumreserven lagern.
Die von den Experten*innen gern als Lithium-Dreieck bezeichnete Region erstreckt sich über rund 25.000 Quadratkilometer. „Von den 86 Millionen Tonnen Lithiumressourcen der Welt verfügt Bolivien über 21 Millionen, gefolgt von Argentinien mit 19,3 Millionen und Chile mit 9,6 Millionen“, heißt es in einer im August 2021 veröffentlichten Studie des Center for Strategic and International Studies, die die geostrategische Bedeutung der Region bei der zukünftigen Dekarbonisierung von Industrie und Verkehrs betont.
Regierungen, Konzerne, Sicherheitskräfte
„Für uns besteht das Lithium-Dreieck aus nationalen und provinziellen Regierungen, den transnationalen Bergbauunternehmen und den Sicherheitskräften, egal ob staatlich oder privat“, sagt Gostissa, die sich als Rechtsanwältin auf Umweltrecht spezialisiert hat. Diese drei agierten koordiniert, „damit die Extraktion reibungslos vorangeht und Proteste kleingehalten werden können“.
Die groß angelegte Lithiumgewinnung geht vor allem auf Kosten der lokalen Gemeinschaften und ihrer Weide- und Landwirtschaft sowie ihrer traditionellen Salzgewinnung. „Es gab bereits mehrere Episoden von Kriminalisierung, Gerichtsverfahren und polizeilicher Verfolgung gegen Aktivisten, aber auch gegen indigene Anführer“, so Gostissa.
Bodenschätze sind in Argentinien Eigentum der jeweiligen Provinzen. Die Provinzregierungen vergeben die Konzessionen für die Extraktion gegen einen geringen Anteil am Wert der ausgebeuteten Rohstoffe in der Regel an ausländische Unternehmen. Im Fall von Catamarca erhält die öffentliche Hand gerade mal 3 Prozent.
Der Startschuss für den Lithiumabbau fiel 1997, als Livent, damals noch unter dem Namen Minera de Altiplano, mit der Erkundung und nur kurze Zeit später mit der Ausbeutung der Vorkommen im Salar del Hombre Muerto begann. 2018 gab der Konzern bekannt, die Lithiumgewinnung zu verdreifachen. Der im vergangenen März verkündete Liefervertrag mit BMW hat das Vorhaben noch beschleunigt.
Damit überhaupt genug Wasser bereitsteht, musste ein Aquädukt errichtet werden – über indigenes Gemeinschaftsland. Für den Bau hätten die indigenen Gemeinschaften vorab befragt werden müssen. Diese Consulta previa fand jedoch nicht statt, und der Bau der Wasserleitung ist in vollem Gang. „Wenn Livent seine Produktion verdreifacht und die sieben weiteren Unternehmen, die gegenwärtig ihre Anlagen installieren, mit der Extraktion beginnen, wird der Wasserverbrauch das ganze Ökosystem des Salars auf den Kopf stellen“, so Gostissa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht