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Literaturnobelpreis-Gremium wird politischSchweigehaltung aufgebrochen

Es liegt nicht in der Tradition der Schwedischen Akademie, sich um Autoren zu kümmern, die Todesdrohungen erhalten. Für Roberto Saviano und Salman Rushdie wurde jetzt eine Ausnahme gemacht.

Salman Rushdie und Roberto Saviano werden in Stockholm über Meinungsfreiheit reden. Bild: dpa

Bei der ehrwürdigen Schwedischen Akademie soll es kürzlich auf einer Sitzung heiß zugegangen sein. Falls eine oder einer der gegenwärtig 15 Mitglieder nicht vorher in Memoiren etwas ausplaudert, wird man Einzelheiten zwar erst in 50 Jahren erfahren - wenn die diesjährigen Protokolle öffentlich werden. Im Ergebnis vollzog das Gremium, das auch über die Literaturnobelpreise entscheidet, aber jedenfalls eine Kehrtwende. Es verabschiedete sich von seiner bisherigen Politik, sich zu "politischen Fragen" nicht zu äußern.

Drei Zeilen umfasste die am nächsten Morgen veröffentlichte Presseerklärung: "Die Schwedische Akademie beschloss, Roberto Saviano zu einer Vorlesung im Börsensaal zum Thema ,Das freie Wort und die gesetzlose Gewalt' einzuladen, falls möglich zu einem Dialog mit Salman Rushdie." Da lag die ausdrückliche Weigerung von Horace Engdahl, des Ständigen Sekretärs der Akademie, ein solches Signal der Unterstützung für den unter Morddrohungen stehenden Verfasser abzugeben, gerade drei Tage zurück. Als "eine Polizeiangelegenheit und keine Frage mit Blick auf die Verteidigung der Meinungsfreiheit" hatte dieser gegenüber der Stockholmer Tageszeitung Expressen die Drohungen gegenüber Saviano bewertet und eine Stellungnahme der Akademie abgelehnt.

Auf Morddrohungen gegen VerfasserInnen nicht offiziell zu reagieren - das hat eine ungute Tradition bei der Schwedischen Akademie. 1989, damals war noch Engdahls Vorgänger Sture Allén im Amt, hatte sie alle Forderungen nach öffentlicher Solidarität mit Salman Rushdie abgewiesen, als islamistische Geistliche zu seiner Ermordung wegen des Romans "Die Satanischen Verse" aufriefen. Zwei Mitglieder stellten danach aus Protest ihre Mitarbeit in der Akademie ein. Darunter die seinerzeit einzige Frau im Gremium, die Schriftstellerin Kerstin Ekman.

Die auch jetzt empört reagierte. "Wie kann die Akademie wiederum sagen, das ist nicht unsere Sache? Herrgott noch mal, diese Drohungen gegen schreibende Menschen sind unser aller Sache!" Doch Ekman baute ihren KollegInnen bei aller Kritik auch eine goldene Brücke: War es denn in Wirklichkeit nicht so, dass das Gremium seine alte Schweigehaltung bereits in aller Stille geändert habe, als es sich Mitte der Neunzigerjahre zur Verfolgung der Schriftstellerin Taslima Nasrin aus Bangladesch kritisch geäußert habe?

Ob neben dem Protest Ekmans womöglich auch die Aussicht, vom diesjährigen Preisträger Jean-Marie Le Clézio bei dessen Nobelvorlesung im Dezember öffentlich attackiert zu werden, die Akademie doch noch zum Umdenken brachte - darüber darf spekuliert werden. Ganz sicher spielte aber der Aufruf mehrerer LiteraturnobelpreisträgerInnen wie Günter Grass, Orhan Pamuk und Dario Fo eine Rolle, die sich ausdrücklich gegen die Engdahlsche Argumentation wandten: "Der Fall Saviano ist nicht nur Sache der Polizei", formulierten sie. Savianos Freiheit betreffe "alle als Bürger".

Und was macht nun der Literaturprofessor Horace Engdahl, seit neun Jahren der Hohe Priester der Akademie, der Kindergärtner, der Dompteur, der Trainer, der Schiedsrichter, als den ihn die Medien abwechselnd titulieren? Er blüht immer deutlich auf, wenn es Kontroversen um seine Person gibt. Vor einiger Zeit gab es den Vorwurf, er würde mit einer kleinen Clique die Auswahl der NobelpreisträgerInnen lenken - was vor drei Jahren zum Rückzug eines Akademiemitglieds geführt hatte.

Und vor einigen Wochen gab er ein Interview, das einen Entrüstungssturm auslöste; Engdahl tat darin die US-amerikanische Literatur als zu isoliert und zu empfänglich für die Trends der eigenen Massenkultur ab, um je Nobelpreiswürdiges hervorbringen zu können. Im Zweifel dürfte Engdahl nun die Idee einer Veranstaltung mit Saviano und Rushdie sogar selbst geboren haben, als er merkte, dass die Mehrheit der Akademie seiner Linie nicht folgen wollte. Alles, was Schlagzeilen bringt, ist gut für seine Herzensangelegenheit, den Literaturnobelpreis. Nach den Statuten darf er bis zum 70. Geburtstag Ständiger Sekretär bleiben. Die elf Jahre möchte er sich sicher noch gönnen.

Am 25. November wird es nun jedenfalls zu dieser denkwürdigen Akademie-Veranstaltung kommen. Rushdie reist extra an, während Saviano auch beim Stockholmer Filmfestival auftreten soll. Der auf seinem Buch basierende Film "Gomorrha" hat dort schwedische Uraufführung.

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