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Literaturfestival in CottbusMit dem guten Buch in den Park

Bei „Literatur auf der Parkbank“ wird natürlich gelesen. Vor allem aber ist das Festival ein Gesprächsangebot für ein buntes Brandenburg.

Das Buch ist ein Gesprächs­angebot und hat überall seinen guten Platz Illustration: Jeong Hwa Min

Cottbus taz | Der Goethe-Park ist im Vergleich mit anderen wie dem Fürst-Pückler-Park Branitz vielleicht nicht der schönste Park in Cottbus. Aber an diesem sonnigen Sonntag ist er der spannendste. Es ist wieder „Literatur auf der Parkbank“, das kleine Festival, das 2019 im Berliner Tiergarten startete und dann nach Cottbus im Osten Brandenburgs, knapp 50 Kilometer entfernt von der Grenze zu Polen, umzog.

Gleich am Eingang des Parks sind die leuchtend roten Sonnenschirme zu sehen. Sie zeigen die Bänke mit den kleinen Stuhlgruppen für die Zuhörenden an, wo die 30 Au­to­r*in­nen auf 30 Parkbänken aus ihren Werken lesen – bei freiem Eintritt und zeitgleich, über vier Stunden und in selbst gesteckten Slots. Schon nach wenigen Minuten wird klar, was dieses Festival ausmacht. Unter den Be­su­che­r*in­nen sind – anders als bei den Lesenden – keine zu finden, die aus einer anderen Stadt angereist wären. Hier wird nicht wie bei großen Festivals um Tou­ris­t*in­nen geworben, sondern um jene, die hier leben.

Um ins Gespräch zu kommen

Gefördert wurde das Festival von Institutionen des Bundes, organisiert in Zusammenarbeit mit Institutionen der Stadt wie dem Landesmuseum für Moderne. Das Ziel liegt auf der Hand: Cottbus hat noch immer eine starke, gut vernetzte rechtsextreme Szene. Es gibt aber auch ein anderes, ein buntes Cottbus, das mit diesem Festival mobilisiert und ins Gespräch verwickelt werden soll.

Schon beim ersten Sonnenschirm wird klar: Das ist gelungen. Hier ist tatsächlich ein Mix aus jungen Leuten um die Zwanzig, Eltern mit Kinderwagen und Menschen über 60 unterwegs, manche bleiben auch mal durch Zufall an einer der Bänke hängen. Vor allem aber ist an vielen der Leseorte die Lesung nur halb so wichtig wie das Gespräch, das sich dabei entspinnt.

An der Bank von taz-Kollege Daniel Schulz zum Beispiel, der aus seinem 2022 erschienen Roman „Wir waren wie Brüder“ liest, bleiben mal zehn, mal fünfzehn Leute hängen. Es geht ums Aufwachsen eines Jungen auf dem Land im Osten Deutschlands, in den Jahren nach der Wende, geprägt von Rassismus und Gewalt.

In den Gesprächen dazwischen herrscht großes Mitteilungsbedürfnis. Eine Frau in den Zwanzigern berichtet, sie sei in einer Kleinstadt in Sachsen aufgewachsen, und da sei es vor zehn Jahren noch genauso zugegangen wie in Schulz’ Roman. Von 100 Kindern 15 Nazis und 15 Linke, der Rest dazwischen auf der Seite der Nazis. „Die Drohung, verprügelt zu werden, war immer und überall“, sagt sie – und es entspinnt sich ein interessantes Gespräch darüber, ob junge Frauen dem nun mehr oder weniger ausgesetzt sind als junge Männer.

Marienkäfer im Buch

Die Linden duften, die Amseln singen, viele haben sich die Sandalen ausgezogen, beobachten zwischendurch die Eichhörnchen in den Baumkronen oder schnippen einen Marienkäfer aus ihrem Buch. Die Idee des Festivals, in entspannter Atmosphäre Literatur zu hören und darüber zu sprechen und die gute alte andachtsvolle Autor*innen-Lesung für alle zu öffnen, funktioniert auch dort, wo es nicht so direkt politisch zugeht.

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Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Turgut Altuğ, im Berliner Abgeordnetenhaus Sprecher der Grünen für Naturschutz, liest aus seinem Fa­mi­lien­roman „Das verlorene andalusische Lied“ und findet seine Cottbuser Zu­hö­re­r*in­nen genauso wie Zaia Alexander, die aus ihrem modernen Hexenroman „Erdbebenwetter“ liest, der in ihrer Heimatstadt Los Angeles spielt und beiläufig um die Frage kreist, ob Herkunft überhaupt so wichtig ist.

Unterschiedliche Echoräume

Woanders geht es dann wieder kontroverser zu. Etwa dort, wo die Berliner Autorin und Fotografin Sarah Berger mit viel Verve aus ihrem 2020 erschienenen Buch „Sex und Perspektive“ liest. Um erlernte Geschlechtergrenzen geht es darin, um den Wunsch, aus diesen auszubrechen, um Gespräche mit alleinerziehenden Müttern in der Care-Mühle und um Frauenärztinnen, die ihrer Patien­tin den Wunsch abschlagen, sich die Gebärmutter entfernen zu lassen.

Zur offensichtlichen Überraschung der Autorin reagieren die grauhaarigen Frauen in der ersten Reihe, die sich als Cottbuser Sozialarbeiterinnen im Ruhestand vorstellen, mit Zustimmung. Sie gratulieren Berger zu ihrem Mut, zu ihrer Wut. Die angeblich bessere Stellung der Frau in der DDR? „Von wegen“, sagt die eine. „Ich habe eben nach der Arbeit Kinder und Haushalt gemacht.“ Kinder kriegen? „Ich verstehe nicht, warum wir so viele Kinder brauchen“, sagt die andere. „Seit meiner Geburt hat sich die Weltbevölkerung verdreifacht.“

„Ich mag Menschen, die nicht nur in den eigenen Echoräumen unterwegs sind“, sagt der Erfinder des Festivals Eckhard Hündgen. 3.500 davon hat er mit der „Literatur auf der Parkbank“ in Cottbus erreicht.

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