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Literatur aus HamburgDie Liebe in Zeiten des Verrats

In „Lichter als der Tag“ erzählt Autor Mirko Bonné von der Liebe in den mittleren Lebensjahren – und von der Kraft eines neuen Aufbruchs

Mag keinen Wirbel um seine Bücher: Mirko Bonné. Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Als Raimund Merz nach vielen Jahren, in denen sie keinen Kontakt mehr zueinander hatten, am Hamburger Hauptbahnhof seine Jugendfreundin Inger wiedererkennt, die er nie vergessen konnte und immer noch liebt, trifft es ihn wie einen Schock. Der verzweifelte und am Leben gescheiterte Familienvater, der sich längst verloren hat im Lügen und Saufen, kann danach nicht mehr anders, als sich nach ihr auf die Suche zu machen.

Eine tragische Geschichte von Erinnerungen, verschütteter Leidenschaft und Befreiung entspinnt sich so im neuen Roman „Lichter als der Tag“ des Schriftstellers Mirko Bonné. Es ist eine Viereck-Konstellation wie in Geothes „Wahlverwandschaften“, in der sich Merz, seine ungeliebte Ehefrau Floriane sowie die Freund*innen Inger und Moritz – die sich alle schon seit den Teenagerjahren kennen – wechselseitig verraten, verzeihen und lieben. Mit der Herausforderung, leidenschaftliche und zugleich langfristige Beziehungen zu führen, kennt sich der Hamburger aus: Er hat selbst bereits drei Ehen hinter sich.

Beim Kaffee spricht Bonné konzentriert, wirkt fast scheu. Auch seine Figuren quälen sich mit Selbstzweifeln, mit diesem „Unwirklichkeitsempfinden“, das Bonné schon so lange beschäftigt und sich anfühle „wie hinter einer Glaswand zu sein“. Umso lebhafter wirkt es, wie er dann mit leuchtenden Augen vom Gras schwärmt. „Das Gras“, so heißt auch sein Onlineblog, auf dem er Beobachtungen, Fotos und Aphorismen sammelt.

Man bekommt so schon einen Eindruck vom Klang seiner Sprache: „Die verschiedenen Grüntöne, wie sehr es leuchten kann! Schneiden Sie das Gras ab und es wächst einfach weiter! Man liegt darin herum, man freut sich des Lebens – es ist wie ein Bett aus Leben.“ Solches Reden erinnert an den träumenden, suchenden Raimund Merz, von dem es im Buch heißt: „Von Anfang an sollte Flori Kieferchirurgin werden. Er blickt stattdessen in den Himmel und die Wolken an.“

Der so zurückhaltend auftretende ehemalige Altenpflegehelfer und Buchhandelsgehilfe Bonné ist vielfältig begabt: Nicht nur Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen von Songtexten, Lyrik und Prosa hat der „französischste Autor in der neuen deutschen Literatur“ (FAZ) veröffentlicht. Außerdem ist er als Lyriker mit Gedichtbänden wie „Die Republik der Silberfische“ (2008) oder „Trakl­park“ (2012) bekannt. Nach „Wie wir verschwinden“ (2009, Longlist) und „Nie mehr Nacht“ (2013, Shortlist) stand der 52-Jährige mit „Lichter als der Tag“ jetzt schon zum dritten Mal auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Auf die sechs Romane umfassende Shortlist hat er es aber nicht geschafft.

Der Erfolg, er ist der augenscheinlichste Unterschied zwischen der Romanfigur Raimund Merz und dem Autor Mirko Bonné. Am Abend vor unserem Treffen trat Bonné beim großen Longlist-Leseabend in der Freien Akademie der Künste in Hamburg auf. Dorthin hatte das Literaturhaus 14 der 20 auf der Longlist stehenden Autor*innen eingeladen, um in jeweils 20 Minuten ihren aktuellen Roman vorzustellen.

In der Pausen signierte Bonné Bücher – höflich, aber auch ein wenig kühl. Erfolgreich und gefragt, wie er eben ist, kann er sich solche Zurückhaltung leisten. Auch auf der Bühne zeigt er keine Spur von Profilierungssucht, gibt klare, kurze Antworten. Erst als er zu lesen beginnt – klar, betont und fesselnd – fühlt man sich ihm nahe.

Statt mit seiner Literatur zu unterhalten, versuche er, „die Leser zu fordern und ihnen Fragen zu stellen, damit sie sich selbst Fragen stellen“, sagt Bonné. Das Tamtam um seine Literatur interessiere ihn dabei gar nicht. „Sehr fragwürdig“ sei für ihn auch der Buchpreis selbst: „Es wäre meiner Ansicht nach viel sinnvoller, auf so einen Preis zu verzichten und eine wirklich stabile und umsichtige Autorenförderung zu installieren.“

Auseinandersetzen soll man sich also mit seiner Literatur, die ihm so wichtig ist, dass er mich am Ende unseres Gesprächs noch auf seine Lieblingsfigur im Buch hinweist und fast empört zu sein scheint, dass ich zu ihr gar keine Fragen gestellt habe: Bruno DeWitt, ein Kollege von Raimund Merz, der mit seiner unkomplizierten Lebenseinstellung und seinen vielen Liebschaften so etwas wie ein Gegenentwurf zum am Leben gescheiterten Protagonisten darstellt, habe ihm selbst „sehr viel gegeben“.

Aber offenbar auch Raimund Merz. Denn auch der versucht – in einer packenden Variation des „Breaking Bad“-Motivs – schließlich seinem selbst geschaffenen Lebensgefängnis zu entfliehen. Was zu einer zwar wenig glaubhaften, aber gerade darum umso märchenhaft-schöneneren Schlussszene führt.

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