Literatur-Festival zum Klimawandel: Einst ewiges Eis
Das Climate Cultures Festival „Planet schreibt zurück!“ in der Berliner Volksbühne rückt künstlerische Perspektiven auf den Klimawandel in den Fokus.
Was muss noch passieren, damit sich der Klimawandel in der zeitgenössischen Literatur niederschlägt? Wie ein einigermaßen resignierter Bernd Ulrich vor einem Monat in der Zeit feststellte, taugt die Klimakrise immer noch höchstens als Science-Fiction-Stoff, in dem der Katastrophenfall längst eingetreten ist, oder sie wird durch mutlos indifferente Romanfiguren, wie sie etwa Judith Hermann zu schreiben weiß, als ohnehin unabwendbar an den Rand gedrängt.
Ausführlicher beschäftigte sich an diesem Wochenende mit diesem Thema das Climate Cultures Festival im Roten Salon der Berliner Volksbühne, bei dem Expert:innen aus aller Welt darüber diskutieren, in welcher Form der Klimawandel in Literatur, Diskursen, Fotografie und Filmkunst auftaucht.
Schriftsteller:innen hätten lange gefürchtet, nicht ernst genommen zu werden, bestimmten sie den Klimawandel zum Romansujet, meint der künstlerische Leiter des Festivals Martin Zähringer in seiner Begrüßungsrede. Klimakrise, das schreit eben eher nach dringend benötigter Action, als einen geeigneten Rahmen für Gefühlserkundungen zu stellen.
Einen Grund für das Fehlen von Klimastoffen stellt Harald Welzer zur Diskussion. Über den Klimawandel werde stets naturwissenschaftlich gesprochen, nicht historisch oder soziologisch. Der per Video zugeschaltete Soziologe wirkt resigniert, denn resigniert hat ihm zufolge auch die Mehrheit der westlichen Gesellschaft. Man habe ja vermutet, dass der Klimawandel erst dann ernst genommen werde, wenn er vor der eigenen Haustür ankomme.
Kein Umdenken trotz Flutkatastrophe
Die Flutkatastrophe im Ahrtal, die 200 Toten hätten anderes bewiesen. „Es war noch nicht mal ein Wahlkampfthema“, wundert sich Welzer. Man brauche andere Narrative: „Wir müssen über eine Gesellschaft im Klimawandel sprechen.“ Frederic Hanusch, der mit Welzer im Panel diskutiert, stellt eine utopische Idee in den Raum. Thomas Jefferson etwa forderte, dass sich eine Gesellschaft alle 19 Jahre eine neue Verfassung geben sollte, sagt er.
So sei sichergestellt, dass nur die Lebenden über ihr Leben entscheiden können. Welzer, von dem sich mitunter zu stark zurücknehmenden Moderator Zähringer gefragt, wie hoch er den erzieherischen Effekt der Kunst einschätze, scheint pessimistisch. Wenn Ereignisse wie die Flutkatastrophe es nicht schafften, Menschen zum Umdenken zu drängen, sehe er nicht, dass kulturelle Arbeit das je könnte.
Womöglich hat die Kunst es jenseits aller „The Day After Tomorrow“-Dystopie aber einfach noch nicht hartnäckig genug versucht. Zumindest hierzulande ist das „New Nature Writing“ eher unbekannt, und auch der Eco-Criticism, der interdisziplinäre Ansatz, Literatur und Kunst aus einer ökologischen Sichtweise zu betrachten, findet vor allem im angloamerikanischen Raum Anklang.
Eigens aus Übersee angereist ist für das Festival ist Catherine Bush. Die kanadische Schriftstellerin hat mit „Blaze Island“ einen Roman über den Klimawandel im hohen Norden geschrieben. Darin wirft sie unter anderem die Frage nach der Wechselwirkung zwischen dem Verschwinden einer Landschaft und dem Verschwinden einer Kultur auf. Es gebe unzählige Wörter für „Eis“, sagt sie, die nun langsam aussterben, weil die Vielfalt des Eises – blau leuchtend, splitternd, wolkenweich – stetig schrumpfe.
Klimakatastrophe poetisch darstellen
Der Ästhetik des Eises räumt sie viel Platz ein, die Klimakatastrophe poetisch ansprechend darzustellen ist also nicht unmöglich. „Er goss ein Glas Wasser ein, ließ ein Stück Eis hineinfallen und hielt das Glas gegen das Licht“, heißt es in „Blaze Island“. „‚Sehen Sie, wie das Eis zischt und blubbert? Mit diesem Knistern wird zehntausend Jahre alte Luft freigesetzt, die viel weniger Kohlendioxid enthält als unsere jetzt. In diesem Raum hier, beim Anblick dieser Bläschen, überblicken wir in gewissem Sinn die Zeitspanne, in der die Menschen hier auf der Erde ein stabiles Klima genossen haben.‘“
Die Arktis steht im Fokus des diesjährigen, bereits zweiten Climate Cultures Festival. Ihre Bewohner sind die ersten, die die Auswirkungen des Klimawandels spüren. Etwa acht Milliarden Tonnen Eis schmelzen in Grönland täglich.
Dort brechen nun umweltfreundlichere Zeiten an: Vor wenigen Tagen sei ein Gesetz verabschiedet worden, das die Förderung von Uran im Land untersage, sagt der Politiker Aqqaluk Lynge, der die linke Partei Inuit Ataqatigiit mitgründete, die momentan den Premierminister stellt.
Früher oder später wird der Klimawandel Eingang in die Kunst und Literatur finden, da seine Folgen für immer mehr Menschen Teil einer veränderten Lebensrealität werden. Circa vier Millionen Menschen leben im Polarkreis. In Kanada etwa werden schon seit einiger Zeit Romane von „First Nations“-Autor:innen beliebter, obwohl die Ureinwohner:innen nur knapp vier Prozent der kanadischen Bevölkerung ausmachen.
Es bieten sich Chancen für neue Perspektiven: Das Eis schmilzt und die in ihm schlummernden Geschichten tauen auf. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Flut- und Dürreromane folgen. 2022 richtet das Climate Cultures Festival seinen Blick unter anderem nach Australien und Taiwan.
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