Linnemanns „angeblicher“ Dieselskandal: Auf ein kurzes Gedächtnis setzen
Einen „Dieselskandal“ habe es nie gegeben, meint Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann. Realitätsverweigerung hebt er auf eine neue Stufe.
Dass Carsten Linnemann der deutschen Umwelt- und Klimapolitik eher ablehnend gegenübersteht, ist kein großes Geheimnis. Regelmäßig schimpft der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung und Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag gegen das, was er als „klimapolitischen Aktionismus“ empfindet: Die CO2-Abgabe lehnte er mit Verweis auf die Wirtschaft ab, bei der Windenergie gilt er als entschiedener Verfechter einer umstrittenen Abstandsregelung, die den Ausbau noch weiter einbrechen lassen würde.
Mit der Wirklichkeit haben die Äußerungen des 42-jährigen Westfalen häufig nichts zu tun – etwa wenn er zum Klimaschutz erklärt: „Es bringt nicht viel, wenn wir alleine als Vorreiter vorangehen“, und ignoriert, dass Deutschland in der EU längst nicht mehr zu den klimapolitischen Vorreitern gehört.
Mit einem aktuellen Zitat zur Verkehrspolitik hebt Linnemann die Realitätsverweigerung jetzt aber auf eine ganz neue Stufe. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur gab er der SPD-Umweltministerin Svenja Schulze eine Mitschuld daran, dass der CO2-Ausstoß im Verkehr nicht gesunken ist. „Das Bundesumweltministerium hat die Deutsche Umwelthilfe bei ihrem Kampf gegen den Diesel unterstützt und so aus einem Betrugsskandal einen angeblichen Dieselskandal gemacht“, behauptet der Mittelstandschef. Und: „Auch weil die klimaschonende Dieseltechnologie unter Generalverdacht gestellt wurde, steigen die CO2-Emissionen im Verkehrssektor an.“
Die Aussage, dass Diesel klimafreundlicher als Benziner seien, ist im Grundsatz zwar nicht verkehrt. Doch gerade bei modernen Fahrzeugen ist ihr Vorteil hinsichtlich des CO2-Ausstoßes auf wenige Prozente geschrumpft. Der geringe Vorsprung wird auch leicht dadurch zunichtegemacht, dass Diesel oft stärker motorisiert sind.
Kurzes Gedächtnis
Vollständig absurd ist aber der erste Teil des Zitats. Denn der unterstellt nicht nur der Deutschen Umwelthilfe, die mit zahlreichen eigenen Tests eine entscheidende Rolle in der Aufdeckung der weit überhöhten Stickstoffwerte vieler Dieselfahrzeuge gespielt hat, einen „Kampf gegen den Diesel“. Sondern Linnemann spricht allen Ernstes von einem „angeblichen Dieselskandal“, der in Wahrheit nur ein „Betrugsskandal“ gewesen sei.
Der Dieselskandal war kein singulärer Betrug beim VW-Konzern
Offenbar setzt der CDU-Mann darauf, dass die Öffentlichkeit ein sehr kurzes Gedächtnis hat. Darum hier noch mal zur Erinnerung: Der Dieselskandal war kein singulärer Betrug durch den VW-Konzern. Die überhöhten Stickoxidwerte beim Diesel betrafen alle deutschen und viele ausländische Hersteller. Offizielle Tests des Umweltbundesamtes ergaben 2017, dass Euro-5-Diesel statt der zulässigen 180 Milligramm Stickoxid pro Kilometer satte 906 Milligramm ausstießen – und zwar im Durchschnitt. Bei den moderneren Euro-6-Dieseln waren es 507 Milligramm – bei einem Grenzwert von 80 Milligramm.
Als Konsequenz mussten die Hersteller Milliardenstrafen zahlen und Millionen von Autos in die Werkstätten zurückrufen, um – mit sehr begrenztem Nutzen – neue Software aufzuspielen. In Deutschland laufen strafrechtliche Ermittlungen gegen 70 Mitarbeiter des VW-Konzerns, in den USA wurden zwei ehemalige Manager zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt – wegen Umweltvergehen und Verschwörung.
Auch wenn die modernsten Dieselmotoren die Stickoxidgrenzwerte endlich einhalten: Wer angesichts des gewaltigen Ausmaßes an dreckigen Fahrzeugen, von denen viele noch unterwegs sind, von einem „angeblichen“ Dieselskandal spricht, macht sich selbst des Betrugs und der Manipulation schuldig.
Leser*innenkommentare
ingrid werner
darin seine Leute beim altmaier im Ministerium unter zu bekommen darin ist er aber schon sehr gut.taz.de/Neuer-Kurs-...lefeldt+linnemann/
an den allfreitaglichen Kundgebungen von FFF direkt vorm Haus lässt man sich auch nicht stören.
Andre Marg
Bei einer "Europaveranstaltung" einer niedersächsischen IHK glänzte Linnemann vor allem mit seiner Kernkompetenz: SC Paderborn, so dass ich ihm für seinen sehr engagierten, aber weitestgehend inhaltsfreien Vortrag dankte. Es ist erstaunlich, welche inkompetenten Gestalten bei den "christlichen" Karriere machen können. Aber der Glaube kann ja Berge versetzen und offensichtlich auch die grauen Zellen verdieseln.
Picard
Politik ist Programm. Es besteht kein Grund seine Lebensweise zu ändern, wenn man die Regierung ist. Das weiß jede Regierung.
hinnerk untiedt
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danny schneider
Kaum hat man die pers. Liste der unfähigen der Union fertig, steigt ein neuer in den Ring...
warum_denkt_keiner_nach?
@danny schneider Das ist keine Unfähigkeit. Es handelt sich um die bewusste Verbreitung von Lügen und Halbwahrheiten.
shashikant
@warum_denkt_keiner_nach? "Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen." Albert Einstein
Wie bringt man die Bevölkerung dazu, Hr. Kreutzfeldt und wenige ähnliche aufrichtige Journalisten zu verstehen? Langsam schwindet mir die Hoffnung.
warum_denkt_keiner_nach?
@shashikant Man kann es nur immer wieder versuchen.
Ria Sauter
Gast
@warum_denkt_keiner_nach? Die Versuche schlagen immer wieder fehl. Und alle Wahljahre wieder machen wir schon brav unsere Kreuzchen bei denen, die uns sowas von veräppeln, belügen und betrügen.
Wer ist hier der Dumme in diesem Spiel?
warum_denkt_keiner_nach?
@Ria Sauter "Und alle Wahljahre wieder machen wir schon brav unsere Kreuzchen bei denen, die uns sowas von veräppeln, belügen und betrügen."
Ich nicht. Warum sie?
Ria Sauter
Gast
@warum_denkt_keiner_nach? Sorry, wir ist verkehrt. Ich gehe nicht mehr zur Wahl bis es eine a dere politische Richtung gibt.
Wenn die SPD sich wieder besinnt, ja dann..
ingrid werner
@shashikant es ist ja nicht die Bevölkerung entscheidend (freilich sie könnte die CDU abwählen, und, äh, die SPD wählen, ;) dann würde sich was ändern) Herr Linnemann ist aber einer der aktivsten Lobbyvertreter und da zählt es dass man seine Leute einfach nur an den richtigen Schaltstellen unterbekommt und dann läuft es schon nach seinem und deren Geschmack taz.de/Neuer-Kurs-...isterium/!5638499/ und wenn dann vor dem selben Gebäude in dem die Energiepolitik stattfindet allfreitaglich die fff- Leute stehen lässt man sich darin trotzdem nicht aus dem Konzept bringen. Und Altmaier lächelt darüber gewohnt unschuldig breit hinweg.