Linksfraktion Schleswig-Holstein: Angezählte Anmahner
Die Linke in Schleswig-Holstein muss um den Wiedereinzug in den Landtag fürchten. In Umfragen steht sie zwischen drei und vier Prozent. Anfangs hatte die Fraktion Erfolge, doch dann begann sie sich zu zerreiben.
KIEL taz | Selbst in einer Veranstaltungshalle namens „Räucherei“ darf nicht mehr geraucht werden, also stehen Grüppchen von Menschen draußen im Wind, frösteln und reden über Ungerechtigkeit. Drinnen, im Herzen des Kieler Stadtteils Gaarden, startet Antje Jansen, Spitzenkandidaten der Linken in Schleswig-Holstein, in den Wahlkampf, draußen ist die Stimmung mäßig hoffnungsvoll: Die Lage bessere sich nur langsam. „Aber es wird“, sagt der Mann aus dem Flensburger Parteibüro, und die Frau aus Neumünster ergänzt, dass das Herz immer noch links schlägt. Schlechte Umfragewerte? Ach was: „Wenn man mal in die Städte geht und da die Leute fragt, kommt was anderes raus.“ Gegen Hartz IV, für Mindestlohn, für kostenloses Mittagessen an Schulen: Die Themen seien richtig. Aber, ganz ehrlich: „Viele Leute sind müde geworden“, sagte der Flensburger. „Sie sagen, wir würden ja nichts erreichen.“ Darauf sei schwer zu antworten.
„Wir sind 2009 mit einer politischen Vision in den Landtag eingezogen, und wir werden 2012 wieder einziehen, weil wir dort gebraucht werden“, sagt Jansen in ihrer Wahlkampfrede. Werden sie?
Die Linken im Landtag landeten einige Erfolge. Sie ließen Wahlergebnisse überprüfen, dabei tauchte ein Packen beiseite gelegter Stimmzettel auf: Das kostete die FDP einen Sitz im Parlament und verknappte die schwarz-gelbe Mehrheit auf eine Stimme. Erfolgreich beteiligt war die Partei bei dem Verfahren, an deren Ende das Verfassungsgericht feststellte, die jetzige Regierung sei unrechtmäßig im Amt, dürfe aber weitermachen. Wäre damals, im Sommer 2010, gewählt worden, die Linke hätte vielleicht profitiert. Heute sehen Umfragen die Partei nur noch bei drei bis vier Prozent. Woran liegt das?
Leute: Auf den vorderen Plätzen der Linken-Landesliste stehen mit Antje Jansen, Uli Schippels und Björn Thoroe (Platz 4) heutige Abgeordnete. Platz 3 besetzt Seyran Papo aus Kiel, es folgen Daniela Asmussen aus Blumental (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und Klaus-Dieter Brügmann (Kreis Pinneberg).
Themen: Bildung steht für die Linke obenan. Ein Ziel ist ein "verbindliches, einheitliches Schulsystem von der ersten bis zur zehnten Klasse"; bis zum Abitur soll es neun Jahre dauern, Klassen kleiner werden. Kita und Krippe sollen beitragsfrei sein. Weitere Themen betreffen Mindest- und Tariflöhne. Im öffentlichen Dienst sollen mehr Stellen geschaffen werden.
Sparen wollen die Linken bei Abgeordneten-Diäten, Staatssekretären und Gutachten des Landes.
„Wir waren schon fleißig, und wir haben einiges erreicht“, sagt Heinz-Werner Jezewski, einer der sechs Abgeordneten und zu Beginn der Legislaturperiode Vorsitzender der Fraktion. Die Partei habe Themen gesetzt, etwa in der Migrationspolitik: „Dass die Residenzpflicht aufgehoben wurde, hat sicher damit zu tun, dass wir es immer wieder angemahnt haben.“
In anderen Fällen klappte das „immer wieder Anmahnen“ nur bedingt. 526 Anträge stellte die Linken-Fraktion im Landtag, allerdings wiederholten sich die Themen häufig. Die Schuldenbremse trugen sie nicht mit und kritisierten alle Sparpläne des verschuldeten Landes, verlangten dafür Mehrausgaben für Bildung und Soziales. Deswegen war die Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg oft mühevoll, auch innerhalb der Opposition. Vor allem machte sich die Linke selbst das Leben schwer, rieb sich in internen Streitereien auf. Nach außen zeigte sich das durch häufige Wechsel im Fraktionsvorsitz.
Doch trotz aller Probleme hat sich die Linke in Schleswig-Holstein, die noch vor einigen Jahren als eines der größten Problemkinder der Bundespartei galt, sich im Ganzen positiv entwickelt. Die Zeiten, in denen Kader der mittleren Ebene einander verklagten und öffentlich kübelweise Schmutz übereinander vergossen, scheinen vorbei. Die Linke fuhr gute Kommunalwahl-Ergebnisse ein und sitzt in zahlreichen Ortsparlamenten. Bei einem Programm-Parteitag in Elmshorn im November fanden für Linken-Verhältnisse geordnete Debatten statt, anders als bei früheren Veranstaltungen, die gern damit begannen, dass Kreisverbände sich gegenseitig ihre Legitimation absprachen.
Nur bei den Personalfragen bleibt es offenbar schwierig: Der Platz des ausgeschiedenen Landesvorsitzenden – bei den Linken Sprecher genannt – Björn Radtke blieb unbesetzt, Jezweski, der sich im vergangenen Juni beworben hatte, erhielt keine Mehrheit. So steht Jannine Menger-Hamilton, hauptberuflich Pressesprecherin der Landtagsfraktion, weiter allein an der Spitze des Vorstands.
„Sechs Prozent plus X“ hat die Linke sich bei der Landtagwahl im Mai vorgenommen. „Ehrgeizig“, gibt Antje Jansen zu. „Aber wir brauchen eine laute, linke Opposition im Landtag.“ Ob es klappt? „Ganz egal, wie es jetzt ausgeht: Das nächste spannende Datum ist die Kommunalwahl 2013“, sagt Jezewski.
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