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Linksbündnis in FrankreichAufbruch mit ungewissem Ausgang

Harriet Wolff
Kommentar von Harriet Wolff

Der Linkspopulist Mélenchon möchte in Frankreich Premier werden. Doch sein Bündnis ist wackelig – und er selbst unter linken Wählern umstritten.

Jean-Luc Mélenchon auf einem Wahlplakat für die Präsidentschaftswahl Foto: Francois Mori/ap

L äuft alles nach Plan für den stets selbstbewussten Jean-Luc Mélenchon, dann muss ihn Emmanuel Macron nach den Parlamentswahlen im Juni zum Premierminister Frankreichs ernennen. Fortan wäre der 44-jährige Präsident zu einer ihn in seiner Machtfülle beschneidenden, höchst ungeliebten Polit-WG namens cohabitation gezwungen.

Denn die Ziele seiner Mitte-rechts-Partei, die sich just von La République en Marche in Renaissance umbenannt hat, sind meist diametral entgegengesetzt zu jenen des 70-jährigen Chefs der linkspopulistischen Partei La France insoumise (LFI), der bei der Präsidentschaftswahl nur knapp nicht in die Stichwahl kam. Wo Macron auf mehr Europa, freie Märkte und Atomkraft setzt, will Mélenchon „Ungehorsam“ gegenüber der EU. Er fordert sozialstaatliche Eingriffe und ein Ende der AKWs.

Und nun wittert Mélenchon Morgenluft, denn tatsächlich ist etwas fast Unvorstellbares in Frankreich passiert: Die Mehrheit des linken Spektrums, von den Grünen über die Kommunisten bis hin zu den im April kläglich gescheiterten Sozialisten (PS), hat sich unter großen Schmerzenauf ein Bündnis bereits ab dem ersten der beiden Parlamentswahlgänge geeinigt. Nun hat auch das Führungsgremium des PS der Nouvelle Union Populaire écologiste et sociale (Neue ökologische und soziale Volksunion) zugestimmt.

Zwischenergebnis: eine Art politische Plattform mit mehreren hundert Vorschlägen zum Regieren, die am Samstag lanciert wird. Sie kaschiert beredt, dass die Gräben zwischen den Linken immer noch tief sind. Nun sollen Macrons oft unsoziale, repressive und instinktlose Politik sowie die extreme Rechte endlich gemeinsam gestoppt werden.

Das ist ein fürwahr begrüßenswerter Ansatz, allerdings bricht dieses Zweckbündnis mit der proeuropäischen Linie der Sozialisten und der Grünen. Mélenchon ist, trotz einiger guter sozialer Ansätze in seiner Partei, ein oft autoritär agierender linker Natio­nalpopulist. Er stellt französisches Recht vor EU-Recht – ein heikler Kotau also vor einem Euroskeptiker. Dass das linke Bündnis tatsächlich eine Parlamentsmehrheit erreicht, ist zum aktuellen Stand eher unwahrscheinlich.

Auch wenn linke Aufbruchstimmung in Frankreich spürbar ist: Zum einen haben Macron und seine Partei in fast der Hälfte der 577 Wahlkreise im April gesiegt, Mélenchon und die anderen Linken kamen auf unter ein Viertel. Und zum anderen spaltet die Person Mélenchons, der bei einer linken Mehrheit wohl Premier werden würde, die Französ:innen. Viele proeuropäisch linksliberal Denkende werden im Juni deshalb nicht für das Linksbündnis stimmen. Entweder sie wählen dann gar nicht – oder sie stimmen zähneknirschend für Macrons Renaissance.

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Harriet Wolff
Wahrheit-Redakteurin
Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen
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8 Kommentare

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  • PART II

    »Euroskeptiker« im hiesigen Sprachgebrauch wären dann auch die - lese ich ihre Statements beispw. im »Monde« - die französischen Grünen von EELV (Europe Écologie– Les Verts). Vom ehemaligen linken Flügel des SP (Montebourg, Hamon mittlerweile »Generation .s«) seit den 2010er Jahren will ich gar nicht reden.

    Es tut mir leid, Frau Wolff, bei durchaus vorhandenem Respekt, gleichwohl in aller Offenheit: Nur mit sardonischem Grinsen kann ich Ihr letztes »Argument« zur Kenntnis nehmen:



    Im April, also bei der »présidentielle«, hätten Macron und seine Partei ja in fast der Hälfte der 577 Wahlkreise »gesiegt«. (Macrons Partei stand meines Wissens gar nicht zur Wahl.) Außerdem, würden viele »linksliberal Denkende« wegen Europa - tz,tz,tz - nicht für »Nupes« stimmen.



    Dabei unterschlagen Sie: Mehr als 42 Prozent der Macon-Wählerinnen und -Wähler haben bei der »présidentielle" im April nicht für ihn (Macron) sondern gegen Marine Le Pen gestimmt. Im Segment der gemäßigten Linken (seit 2017 in der Tat bei Macron und LREM) haben den »sondages« der französischen Wahlforschung zufolge jetzt 44 Prozent ihre Absicht erklärt, für »NUPES« zu votieren. Das wären fast doppelt so viele, wie in diesem Segment Mélenchon im »premier tour«, in der ersten Runde der letzten Präsidentschaftswahlen erzielt hat.

    Dieses Segment der gemäßigten Linken ist in der Tat einer der wichtigsten Schlüssel für die bevorstehenden Wahlen.



    Ihre Stimmabgabe dürfte wählentscheidend sein.

    Nun gut, schauen wir uns einmal die aktuellen Zahlen an: Laut letzter Meinungsumfrage (veröffentlicht am 6. Mai - Cluster 17) zu den "Legislatives 2022" schaut es wie folgt aus:



    Linksunion um Mélanchon: 34 Prozent,



    Bündnis um Macron: LREM 24,5 Prozent - LR 8,5 Prozent,



    Le Pen (Rassemblement National): 19,5 Prozent,



    Zemmour (Reconquête): 5 Prozent,



    DLF-Patriotes: 1,5 Prozent,



    Regionalisten: 2 Prozent,



    Linksextreme (LO-NPA): 1 Prozent,



    Andere: 4 Prozent.

    Wir warten ab …. und sind gespannt.

  • Wenn ich eher Macron als Melenchon wähle, angeblich zähneknirschend, dann bin ich wohl im Kern liberal und habe persönliche Gründe die gegenwärtige EU zu fetischisieren.

  • Frankreich ist leider dabei zu "implodieren"



    Gründe dafür sind u.a. die Reformunfähigkeit, aber auch das antiquierte Wahlsystem, welches Macron bei seiner ersten Wahl beeindruckend aus den Angeln gehoben hat. Die enttäuschten Erwartungen an eine neue "Demokratiebewegung" durch "la republique en marche", die zu einer quasi religiösen Vereinigung des Macronismus degeneriert ist, trägt das ihrige dazu bei: Merke: "Emmanuel" bedeutet der "von Gott gesandte"...



    Bei den Europawahlen, zu denen der Begriff "Renaissance" - Wiedergeburt - bereits benutzt wurde. Waren die realistischen ersten 30 Plätze überwiegend mit "alten Vertretern des franz. Establishments" besetzt. Die ersten Plätze, sowie der später von Macron nach Brüssel geschickte Kommissar Thierry Breton bestens vernetzt, um möglichst viel für Frankreich in Europa herauszuholen. Paradebeispiel: Der "grüne Taxonomievorschlag" unter Einbeziehung der Atomenergie.



    Was jetzt das nun - endlich - erfolgte Linksbündnis bewirken kann ist, dass zumindest im Parlament Frau LePen und Konsorten nicht mehr als wichtigste Opposition wahrgenommen wird und sofern das Linksbündnis die Mehrheit gewinnt müssen sich beide Gruppen zusammenreissen, um den in Frankreich so sehr geschmähten "Kompromis" zu erreichen. Kein anderer europäischer Staatschef hat so viel Macht wie der französische Präsident mit eigener Mehrheit im Parlament. Bei seinem ersten Durchgang hat Macron viel zu viele Fehler gemacht. Nun hat er die Chance Frankreich wieder dahin zu bringen, wo es hin gehört: In die erste Reihe der europäischen Staaten: Der Zukunft zu gewandt.



    Der derzeitige Zustand wird von Sylvain Tesson auf den traurigen Punkt gebracht:



    "Frankreich ist ein Paradies, das von Menschen bevölkert ist, die sich in der Hölle wähnen."



    fr.wikipedia.org/wiki/Sylvain_Tesson

    • @Andre Marg:

      Macron hat in seiner ersten Amtszeit schon einige Sachen bezüglich Deregulierung und Umweltschutz auf den Weg gebracht, die mittelfristig Frankreich voranbringen werden. Die Gelwelwerkschafzenten und Gelbwesten haben zwar (teilweise auch korrekterweise weiterführendes verhindert. Diesen Weg wird aber von Macron, und 28%, mehr als vor 5 Jahren, haben ja auch in Wahlgang 1 für ihn und sein dezidiert wirtschaftsliberales Programm votiert, in der 2. Amtszeit weiter vorangetrieben werden. Frankreich hat so viele junge Menschen, diesen Schatz zu heben wird dem Land eine gute Zukunft bringen und Macron macht sich dabei gar nicht so schlecht. LePen hat da gar keinen Dunst und das Linksbündnis muss erst einmal die Claims abstecken.

      • @FancyBeard:

        "Mittelfristig" mag sein, aber das wird leider nicht reichen. "Die Welt" wird nicht warten,bis sich Frankreich erneuert hat. Frankreich - ebenso wie Deutschland und alle anderen EU Länder müssen sehr viel mehr kooperieren. In Theorie hat Macron mit der Sorbonne Rede einen Grundstein gelegt, den die damalige deutsche Regierung weitestgehend ignoriert hat. Allerdings Macron den Worten wenig Taten folgen. Zu den jungen Leuten in F: Bin ich einverstanden, habe selbst 3 davon, einer macht diese Woche sein BAC. Aber was dann ? Der Zustand vieler Universitäten und der Perspektiven danach machen mir Sorgen. Das "alte Establishment" von ENArchen und den grandes ecoles lähmt das Land viel zu sehr. Kurz vor den Nachrichten zur vollen Stunde hört man auf dem Radiosender bfm business "la france a tout pour réussir". Teile ich sofort. Aber dazu muss man einen wirklichen und tiefgreifenden Wandel auch wollen. Das sind wir unseren Kindern schuldig...

  • Das Problem ist das Wahlrecht. Im jeweiligen Wahlbezirk wird sich entscheiden, wie weit die Linke gemeinsam kommt. Und entscheidend wird sein, ob es den Oppositionen von Rechts und Links gelingen wird eine hohe Anzahl von umstrittenen Wahlkreisen herbeizuführen.



    Je weniger Mandate Macrons Partei im ersten Wahlgang erhält, desto höher die Chancen für ein Linksbündnis, Macron in Schwierigkeiten zu bringen.

  • Das Ergebnis der »présidentielle« hat die grünen und linken Parteien zur Einsicht gebracht, dass sie mehr verbindet als trennt. Eine Richtigstellung: Die »extrême gauche« (nouveau parti anticapitaliste, lutte ouvrière) beteiligt sich prinzipiell nicht an parlamentarischen Bündnissen wie der »nouvelle union populaire écologiste et sociale«, NUPES (Neue ökologische und soziale Volksunion). Berlin ist ja recht weit weg von Paris - da kann Nebel schon mal den Blick trüben.



    Die Autorin sieht gönnerinnenhaft vom Berliner Hochsitz einen »begrüßenswerten Ansatz«, vermerkt ebenso gönnerinnenhaft »einige gute soziale Ansätze« in Mélenchons Partei - aber ach - er ist ein »autoritär agierender linker Natio­nalpopulist«, pfui. Richtig daran ist, dass Mélenchon nach dem enttäuschenden Ergebnis der Europawahl 2019 wegen seines Führungsstils unter scharfe parteiinterne Kritik geriet und ein »Urgestein« der Mélenchonschen Politik , in Frankreich sagt man »figure«, die brillante Verfassungsrechtlerin Charlotte Girard, die das Programm der »Insoumis« (»L'Avenir en commun«) maßgeblich verantwortet hatte, die Bewegung (»mouvement«) verließ - worauf Mélenchon öffentlich einen zeitweisen Rückzug aus der Politik erwog. Nun, auch ein von einer »Schwerpunkt Frankreich-Themen«-TAZ-Autorin mit Bannstrahl belegter »Nationalpopulist« und seine Bewegung sind lernfähig. Die Entscheidungsprozesse sind mittlerweile »parlamentarisiert«, Basisbewegungen einbezogen (Möglichkeiten, von denen nicht nur Neubauer und Co nur träumen können). »L'Avenir en commun« ist unter der Verantwortung der jungen begabten Science-Po-Jungwissenschaftlerin Clémence Guetté (gleichzeitig Generalsekretärin der Fraktion LFI) vorsichtig im Geiste von Girard aktualisiert worden.



    »Euroskeptiker« im hiesigen Sprachgebrauch ist ja jede und jeder, die/der sich nicht dem Willen der bundesdeutschen Politik nach verschärfter Austerität beugen will, und der Hoffnungen auf eine sozialere Politik im Inneren weckt.



    TEIL 1

  • "Viele proeuropäisch linksliberal Denkende werden im Juni deshalb nicht für das Linksbündnis stimmen. Entweder sie wählen dann gar nicht – oder sie stimmen zähneknirschend für Macrons Renaissance." Ich wünschte mir, Sie behalten recht, lebe seit 31 Jahren in Frankreich, Mélenchon sollte man nicht unterschätzen und auch wenn ich Mélenchon nicht wähle, viele seiner Vorschläge und Ideen sind nicht schlecht.