Linker zu Tarifkonflikt in Berlin: „Kein Lohndumping an Hochschulen“
Ein Streit über studentische Beschäftigte ist in Berlin eskaliert. Der Wissenschaftspolitiker Tobias Schulze von der Linkspartei sieht keine schnelle Lösung.
taz: An der Humboldt-Universität Berlin schließen die Bibliotheken früher, und in der studentischen Sozial- und Bafögberatung werden Stellen nicht besetzt. Kein idealer Semesterstart, oder?
Tobias Schulze: Nein, allerdings ist er auch nicht vollkommen unvorhergesehen. Die Situation, dass sich gestritten wird darüber, unter welchen Tarifbedingungen studentische Beschäftigte eingestellt werden, die haben wir schon länger. Da muss man leider sagen, dass die Hochschulen erstaunlich unvorbereitet in diese Situation reingerauscht sind.
Reingerauscht?
Es gibt ein Urteil des Landesarbeitsgerichtes aus dem Sommer, das nichtwissenschaftliche Stellen eindeutig dem Tarifvertrag der Länder zuschreibt. Daran lässt sich nicht rütteln. Dass Stellen jetzt erst einmal nicht besetzt werden, hat damit zu tun, dass die Humboldt-Universität die Strategie fährt, auf eine Änderung des Berliner Hochschulgesetzes zu warten. Damit wollen die Hochschulen Rechtssicherheit für die studentischen Stellen erreichen, allerdings nach dem geringer entlohnten studentischen Tarifvertrag (StudTV) und nicht nach dem der Länder (TV-L).
Die Hochschulen begründen das ja damit, dass sie nur so Studierenden vergleichsweise gut bezahlte Stellen am Studienort anbieten können.
Das kann man sicher diskutieren, ich sehe das aber ein bisschen anders. Allein das Wissenschaftszeitvertragsgesetz des Bundes und der Tarifvertrag der Länder, worauf sich das Berliner Urteil bezieht, sehen da eine eindeutige Zuschreibung vor. Wir kommen da also gar nicht so unkompliziert dran. Das finde ich aber auch gar nicht sinnvoll, wir wollen schließlich kein Lohndumping an den Hochschulen fördern.
Ist das ein spezifisch Berliner Problem, weil es diesen studentischen Tarifvertrag gibt? Schließlich gibt es studentische Hilfskräfte ja im ganzen Land.
Das ist in den verschiedenen Bundesländern natürlich sehr unterschiedlich geregelt. Es gibt Hochschulen, die zahlen den TV-L für nichtwissenschaftliche Tätigkeiten. Es gibt Bundesländer, die zahlen einfach nur nach Verordnung. Da wird dann einfach nach gesetzten Lohnstufen bezahlt. Möglicherweise hat dort noch niemand geklagt. Es wäre abzuwarten, was rauskäme, wenn das doch mal jemand tut. Einen studentischen Tarifvertrag und die daraus folgende Konkurrenz zwischen zwei Tarifverträgen gibt es allerdings nur in Berlin. Das Landesarbeitsgericht hat nun eindeutig entschieden, dass bei nichtwissenschaftlichen Tätigkeiten der TV-L anzuwenden ist. Deshalb hat dieses Urteil durchaus Strahlkraft auch in andere Bundesländer.
Studentische Beschäftigte Bundesweit arbeiten Studierende für vergleichsweise niedrige Gehälter an Hochschulen in ganz unterschiedlichen Tätigkeiten – an Lehrstühlen, in Forschungseinrichtungen, aber auch in nichtwissenschaftlichen Bereichen wie Bibliotheken und Rechenzentren. Ob diese Beschäftigungen rechtlich immer zulässig sind, ist umstritten. Klagen von Betroffenen führen sehr oft zu regulären Arbeitsverhältnissen.
Auseinandersetzung an der HU An der Humboldt-Universität zu Berlin hat der Personalrat der studentischen Beschäftigten auf das Problem der häufig falschen Eingruppierung der Beschäftigten öffentlich hingewiesen. Die Universitätsleitung reagierte zu Beginn des Semesters ohne Vorlauf mit einer Besetzungssperre für möglicherweise untertariflich besetzte Stellen. Betroffen sind mehrere hundert Beschäftigte.
Studentischer Tarifvertrag Eine Besonderheit in Berlin ist ein eigenes Tarifmodell für Studierende. Sie erhalten nach einem einjährigen Arbeitskampf derzeit 12,30 Euro pro Stunde Arbeitsentgelt. Für vergleichbare Tätigkeiten würde bei Regelbeschäftigungen normalerweise mehr bezahlt werden. (krt)
Generell ist also die Beschäftigungssituation an den Hochschulen rechtlich zumindest zweifelhaft?
Das ist korrekt. Wir haben in vielen Ländern für studentische Beschäftigte überhaupt keine tarifliche Absicherung. In der Regel liegen die Tarife dort deutlich unter denen in Berlin. Man muss dabei aber auch im Blick behalten, dass die Hochschulen in Berlin, was prekäre Beschäftigung angeht, einen besonderen Status haben. Kein Land hat so viel an den Universitäten gespart wie Berlin in den vergangenen Jahrzehnten. Durch diese lange Zeit des Sparens ist die Personalstruktur hier besonders ausgefranst. Deswegen arbeiten in Berlin auch so viele studentische Beschäftigte in den Verwaltungen und Technikbereichen.
Reden wir denn bei den studentischen Beschäftigten denn über solche Summen, die die Hochschulen gar nicht aufbringen könnten?
Die Humboldt-Universität, die auch das größte Haushaltsproblem hat, müsste wahrscheinlich bis zu 2 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich aufbringen. Das ist keine besonders kleine Summe, und der Haushalt der Universität ist da aus historischen Gründen auch besonders eng. Deshalb wird die Auseinandersetzung dort auch besonders hart geführt. Allerdings muss man sagen, dass wir Hochschulverträge haben, die den Hochschulen jedes Jahr 3,5 Prozent mehr Geld zusichern. Das summiert sich zum Schluss auf 220 Millionen Euro Aufwuchs. Wenn wir dann sehen, dass es um ein paar hunderrtausend Euro pro Hochschule für die studentischen Beschäftigten geht, dann sollte es eigentlich nicht am Geld scheitern.
Gerade mit Blick auf den harten Konflikt an der Humboldt-Universität: Welche Möglichkeiten hat denn das Land, da einzugreifen? Die Situation, wie sie ist, kann doch jetzt nicht ewig so bleiben.
Wir hatten ja ein Gespräch sowohl mit den studentischen Personalräten als auch den Universitätspräsidien. Da haben wir deutlich gemacht, dass eine schnelle Änderung des Hochschulgesetzes weder möglich ist noch das Problem lösen würde, also für uns auch nicht wünschenswert ist. In unserem „Forum Gute Arbeit“ sitzen die Gewerkschaften, die Personalräte und die Hochschule an einem Tisch und sollen praktikable Lösungen finden. Die Hochschulen haben auch noch eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, um einen Vorschlag auszuarbeiten. Ganz sicher wird aber sein, dass die ganzen nichtwissenschaftlichen Tätigkeiten nach TV-L bezahlt werden müssen. Es liegt nicht in der Macht des Landes oder der Hochschulen, daran etwas zu ändern.
Das heißt, die Hochschulen könnten das Problem nur zügig lösen, indem sie die entsprechenden Stellen in den Tarifvertrag der Länder überführen?
Genau, das machen die auch schon. Selbst an der Humboldt-Universität gibt es inzwischen entsprechende Ausschreibungen nach TV-L. Das sind dann Viertelstellen mit hoher zeitlicher Flexibilität, die für Studierende geeignet sein können. Das zeigt uns, dass das möglich ist. Wir hoffen, dass die Unis diesen Weg auch weitergehen, um die problematische Situation in diesem Semester zu lösen.
Diese Viertelstellen, die sind doch dann auch befristet. Was wäre denn da der Sachgrund?
Sollen diese Stellen für Studierende adäquat sein, dann gehen wir auf dieses niedrige Volumen und auf die Befristung. So entstehen Stellen, die auf einem eigentlich zu niedrigen Niveau ausgeschrieben sind und dazu sachgrundlos befristet sind. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, und das ist der Konflikt, mit dem auch der studentische Personalrat an der Humboldt-Universität schon die ganze Zeit umgehen muss. Wenn er sagt, dass diese Stellen eigentlich nach TV-L eingruppiert werden müssten, dann dürften das keine exklusiven kleinen und befristeten Stellen für Studierende mehr sein.
Der 42-Jährige ist wissenschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.
Wäre das so schlimm, diese Tätigkeiten nicht exklusiv Studierenden vorzuhalten?
Nicht unbedingt, aus meiner Sicht wäre das sogar der richtige Weg. Denn Studierende sollen aus Stellen an der Hochschule ja einen Mehrwert für ihre wissenschaftliche Ausbildung ziehen.
Das klingt fast ein wenig verträumt, arbeiten doch die meisten Studierenden weniger aus Begeisterung für die wissenschaftliche Tätigkeit als deshalb, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, oder?
Das ist vollkommen klar, trotzdem können wir nicht den Trend gutheißen, dass reguläre, unbefristete und qualifizierte Tätigkeiten durch prekäre studentische Beschäftigung ersetzt werden. Aber genau das ist die Situation. Wir haben Sekretariate, Rechenzentren und Bibliotheken mit studentischen Beschäftigten untertariflich besetzt.
Wie sehen Sie denn die erklärte Absicht der Humboldt-Universität, über Outsourcing und Leiharbeitsfirmen mit dem Problem umzugehen?
Es gibt einen klaren Beschluss der Koalition, alle Outsourcingmaßnahmen zum Zwecke des Lohndumpings zu beenden. Wenn es keine funktionale Begründung für ein Outsourcing gibt, sondern lediglich eine, die mit den Tarifverträgen zu tun hat, dann wird das Land dort ein klares Stoppschild setzen.
Der Senat hat dort die Möglichkeit und aus Ihrer Sicht auch die Pflicht, einzugreifen und solche Versuche zu unterbinden?
Es ist bei Hochschulen nicht ganz so einfach wie in der Verwaltung. Die Hochschulen haben schließlich eine eigene Arbeitgebereigenschaft. Aber wir haben ja auch an anderen Stellen die Möglichkeit, sanften politischen Druck zu entfalten.
Ist sanfter politischer Druck wirklich hinreichend in der Situation mit den sehr verhärtet Fronten, oder anders gefragt: sollte das Land nicht per Rechtsaufsicht eingreifen?
Das Problem ist, dass die Hochschule zunächst ja nichts Illegales macht, wenn sie Stellen outsourct. Insofern ist da die Rechtsaufsicht das falsche Instrument. Es geht hier vornehmlich um den politischen Willen des Hochschulträgers. Und der sagt eindeutig, dass wir sowohl sachgrundlose Befristungen als auch das Outsourcing zum Lohndumpings verhindern und vermeiden wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen