Linkenpolitikerin über Abtreibungen: „Das war Teil meiner Politisierung“
Schwangerschaftsabbrüche haben im Strafrecht nichts verloren, sagt Cornelia Möhring. In einem ersten Schritt sollte der Paragraf 219a gestrichen werden.
taz: Frau Möhring, am Freitag steht in Gießen die Ärztin Kristina Hänel vor Gericht, weil sie auf ihrer Webseite darüber informiert, dass Sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Sie haben einen Gesetzentwurf erarbeitet, um den dafür verantwortlichen Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Dieser verbietet das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche. Warum?
Cornelia Möhring: Dieser unsinnige Paragraf hat lange ein Schattendasein geführt. Aber jetzt wird er genutzt, um Ärztinnen und Ärzte auf eine Weise zu stigmatisieren wie in Zeiten, die wir eigentlich lange hinter uns geglaubt haben. Radikale Abtreibungsgegner nutzen ihn mehr und mehr, um gegen diejenigen vorzugehen, die Abbrüche durchführen.
Wie das?
Der Paragraf verbietet das „Werben“ für und das „Anbieten“ von Schwangerschaftsabbrüchen. Darunter zählt aktuell offenbar auch die sachliche Information darüber, dass der Eingriff in einer Praxis zum Leistungsspektrum gehört. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland verboten, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei. Es ist doch absurd, über eine Dienstleistung, die straffrei ist, nicht informieren zu dürfen. Ich denke, unser Gesetzesentwurf hat das Potenzial für eine Mehrheit – aber das hängt stark davon ab, wie es jetzt mit der Regierungsbildung weitergeht. Aber prinzipiell kann ich mir gut vorstellen, dass außer uns Linken auch die SPD, die Grünen und die FDP zustimmen könnten. Wir hätten auch nichts dagegen, wenn sich mehr Fraktionen unserem Gesetzesentwurf anschließen oder selbst gleich lautende einbringen würden. Hauptsache, der Paragraf kommt weg.
Sind solche Anzeigen denn ein neues Problem?
Auf jeden Fall ein sich verstärkendes. In der Antwort auf eine schriftliche Frage an die Bundesregierung aus dem Jahr 2016 sehen wir, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren nach Paragraf 219a zunimmt; waren es zwischen 2010 und 2014 nur zwischen zwei und 14 pro Jahr, waren es 2015 schon 27. Und 2016 waren es laut polizeilicher Kriminalstatistik des BKA schon 35.
Aber der Streit um die Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen ist doch nicht neu. Das ist seit Jahrzehnten ein Thema der Frauenbewegung.
Natürlich. Damals ging es vor allem darum, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen überhaupt zu ermöglichen. Die Debatte Anfang der siebziger Jahre und die Forderung „Mein Bauch gehört mir“ haben damals maßgeblich zu meiner eigenen Politisierung beigetragen. Damals wurde mir klar, dass es bei dem Thema grundlegend um das Selbstbestimmungsrecht für Frauen geht: Es kann doch nicht sein, dass andere über uns bestimmen! Und dann gehen mehr als 40 Jahre ins Land, und manche Leute tun immer noch so, als würden Frauen durch Abtreibungen verhüten. Als wäre solch ein Eingriff für sie etwas Normales. Welche Frau findet das denn normal? Das ist immer eine heftige innere Auseinandersetzung. Aber letztendlich muss die Frau doch die Freiheit haben, selbst zu entscheiden.
57, ist frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Sie wird am 24. November zum Prozess gegen Kristina Hänel in Gießen fahren und dort auf einer Kundgebung vor dem Amtsgericht sprechen.
Nun geht es beim Paragrafen 219a ja nicht um den Abbruch an sich, sondern um Werbung dafür. Warum ist das so wichtig?
Ich bin ganz grundsätzlich der Meinung, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht ins Strafgesetzbuch gehören. Das schließt den Paragrafen 219a ein. Um so mehr, wenn wir sehen, wie er aktuell missbraucht wird. Eine Frau muss das Recht haben, sich unabhängig zu informieren. Und zwar sowohl über mögliche Methoden zum Abbruch wie auch über die Ärztinnen und Ärzte, an die sie sich wenden kann.
Aber bekommt man diese Informationen nicht beispielsweise in den Pflichtberatungen vor dem Abbruch?
Nicht zwingend, und nicht immer neutral. Ich hatte selbst einen Abbruch, um das Jahr 2000 herum. Das war natürlich eine ganz schwere Entscheidung. In der Beratung musste ich mir dann noch Sätze anhören wie „Überlegen Sie es sich gut. Immer, wenn Sie einen Säugling sehen, werden Sie denken: Das könnte Ihrer sein.“ Von solchen Stellen ist man in einer Notsituation dann abhängig.
Von den Beratungsstellen?
Auch von den Ärztinnen und Ärzten. Als junge Frau war es für mich bei der Wahl des Frauenarztes wichtig zu wissen, dass er im Falle einer Notsituation auf meiner Seite stehen würde. Sonst hätte ich mich dort nicht wohl gefühlt. Wie soll das erst für eine Frau sein, die eine Abtreibung braucht? In Deutschland ist es für Ärztinnen und Ärzte legitim zu sagen, dass sie aus Überzeugung keine Abbrüche durchführen. Das akzeptiere ich – aber dann muss es doch auch legitim sein, zu sagen: Ja, ich mache das – aus Überzeugung, weil ich das Recht auf Selbstbestimmung achte.
Leser*innenkommentare
4845 (Profil gelöscht)
Gast
Die Regelung in Deutschland ist sicher nicht perfekt, aber immer noch besser als in vielen anderen Ländern.
Abtreibung sollte in einer Gesellschaft weder gefördert noch verboten werden. Aus reinem Pragmatismus muss eine Regelung bestehen, die Frauen nach einer unabhängigen Beratung ganz legal die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruch bis zu einer bestimmten Woche ermöglicht.
Das mag Extremisten auf beiden Seite nicht passen. Aber es ist auch nicht die Aufgabe hier irgendwelchen extermen Ideologien auf der einen oder anderen Seite zu entsprechen. Sondern es geht daru eine Regelung zufinden die das Recht der Frauen und das Recht des ungebornene Lebens gleichermaßen berücksichtigen und eine pramatische Lösung ermöglichen.
81331 (Profil gelöscht)
Gast
"Sind solche Anzeigen denn ein neues Problem?"
Was für eine Frage...
Ute
Es ist ärgerlich, wenn Gesetze so "spitzfindig" ausgelegt werden, wie sie ursprünglich (vielleicht) gar nicht gemeint waren. Informieren klar! Was ist denn mit "werben" gemeint?
Gleichzeitig ist das Grundproblem, dass es überhaupt zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt. Klar, "es" kann immer irgendwie passieren, ich will auch niemandem ein schlechtes Gewissen machen. Ich möchte darauf hinweisen, dass ungewollte Schwangerschaften auch mit unserer Art und Weise Sexualität zu leben zusammen hängt. Mädchen und Frauen brauchen mehr Rückhalt und Übung darin NEIN zu sagen. Und Männer und Frauen brauchen ein Bewusstsein dafür, wie sie miteinander auf sinnvolle Art kommunizieren können- ob beim OneNightStand oder in der langfristigen Beziehung. Ein Selbstwertgefühl zu haben und achtsam zu sein sollte als sexy angesehen werden, nicht bestimmte Körpermaße und das sich abspalten von seinen wahren Gefühlen.
4845 (Profil gelöscht)
Gast
"Ich möchte darauf hinweisen, dass ungewollte Schwangerschaften auch mit unserer Art und Weise Sexualität zu leben zusammen hängt. "
Bei ungewollter Schwangerschaft wird ja gerne der Mann schuldig gesprochen, er habe die Verhütung vergessen. Aber dazu gehören immer zwei. Wenn der Mann die Verhütung leichtsinnig vergessen hat, hat das im selben Moment auch die Frau. Das ind dann schon zwei "Dumme" schuld...
Wobei keine Verhütungsmethode 100% sicher ist, das sollte dazu auch gesagt werden...
Ute
Ja, genau, keine Verhütungsmethode ist 100%ig sicher und es geht überhaupt nicht um Schuld oder Dummheit! Ich sprach von "unserer" Art und Weise Sexualität zu leben und dazu zählen Frau und Mann. :-)
Gleichzeitig gibt es immer noch eine Tendenz bei vielen Frauen - auch bei freiwilligem Sex- zu selbstverständlich JA zu sagen zu etwas, was sie SO nicht wollen. Das ist nicht die Schuld des Mannes und es ist EINE zu bedenkende Variante beim zustande kommen von ungewollten Schwangerschaften.
4845 (Profil gelöscht)
Gast
"Gleichzeitig gibt es immer noch eine Tendenz bei vielen Frauen - auch bei freiwilligem Sex- zu selbstverständlich JA zu sagen zu etwas, was sie SO nicht wollen.[...]es ist EINE zu bedenkende Variante beim zustande kommen von ungewollten Schwangerschaften."
Das ist doch alles sehr Abstrakt was Sie sich da zusammen reimen. Der Grund für eine Schwangerschaft ist schlicht ungeschützter Geschlechtsverkehr.
Bei freiwilligem Sex hat die Frau selbstverständlich genauso Einfluss darauf wie der Mann. Wenn beide es vor lauter Lust "vergessen" oder "fahrlässig" unterlassen ist es die Schuld von beiden Seiten.
4845 (Profil gelöscht)
Gast
"Das ist doch alles sehr Abstrakt was Sie sich da zusammen reimen. Der Grund für eine Schwangerschaft ist schlicht ungeschützter Geschlechtsverkehr."
Misslungene Verhütung gehört noch dazu, ist aber eben doch eher eine Ausnahme.
96830 (Profil gelöscht)
Gast
Frauen haben es schwer bei der Entscheidung? Sie nutzen das nicht als Verhütung?
"Lediglich in vier Prozent der Fälle begründeten medizinische oder kriminologische Indikationen den Eingriff."
(http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/abtreibung-zahl-der-schwangerschaftsabbrueche-2015-gesunken-a-1081428.html)
Unter jungen Menschen gilt Abtreibung definitiv als Verhütung, dank Leuten wie Ihnen, die Föten ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage das Menschsein absprechen, die das Töten von Babys zu einem "Recht der Frauen" erklären, und sich total empört geben, wenn man das Kind beim Namen nennt: "Mord". (Mord ist sowohl moralisch als auch gesetzlich in einigen Fällen erlaubt.)
Natürlich sollten Frauen abtreiben dürfen wenn es Sinn macht. Aber es zu etwas völlig Banalem und leicht Zugänglichen zu machen ist einfach pervers.
Denken Sie mal darüber nach, was es sonst noch so für Menschen gab und gibt, die einfach behaupten, dieser und jener wäre kein richtiger Mensch und deswegen dürfte man mit ihm machen was man will...
Laura
Ich find es sehr schön, dass ausgerechnet Männer der Meinung sind, über Abtreibung ubd Frauen werten zu können.
Überzeugung ist schön und gut, aber anderen die eigene Meinung aufzuzwingen nicht.
Erinnern wir uns bitte daran, dass wir im 21. Jahrhundert leben, in dem Frauen arbeiten und wählen dürfen - sogar was mit IHREM eigenen Körper passiert.
4845 (Profil gelöscht)
Gast
"Ich find es sehr schön, dass ausgerechnet Männer der Meinung sind, über Abtreibung ubd Frauen werten zu können."
Männer sollten dazu also gar keine Meinung haben? Eine sehr eigenwillige Auffassung von einem demokratischen Diskurs... Sie werden aber damit leben müssen dass ich mir mein Recht auf Meinung dennoch herausnehme!
"Überzeugung ist schön und gut, aber anderen die eigene Meinung aufzuzwingen nicht."
Sie sollen sich ernsthaft fragen, ob nicht gerade Sie das ebenfalls machen....
"Erinnern wir uns bitte daran, dass wir im 21. Jahrhundert leben, in dem Frauen arbeiten und wählen dürfen - sogar was mit IHREM eigenen Körper passiert."
Auch wenn ich dieses Argument anerkenne, er verführt mich doch dazu, den Advocatus Diaboli zu spielen:
1) Wo war die Selbstbestimmung über den eigenen Körper der Frau als diese den unteschützten Geschlechtsverkehr und somit die Empfängnis fahrlässig in Kauf nahm (Vergewaltigungen und missglückte Verhütung mal von diesem Kritikpunkt ausgenommen). Diese Frage drängt sich zumindest auf, wenn das obige Argument herangezogen wird.
2) Was ist mit dem Recht des ungeborenen Lebens auf Schutz? (Der Zellhaufen in den ersten Wochen mal ausgenommen betrifft dies den Fötus bzw. Den Embryo). Auch diese Frage drängt sich auf, wenn von Rechten die Rede ist. Denn so ehrlich sollte man sein, dass beim Thema Abtreibung die Rechte zweier Leben gegeneinander abgewogen werden und einer davon immer verlieren wird.
3) Schließt das Recht auf den eigenen Körper auch automatisch die Eigentums- und Verfügungsrechte über das werdende, ungeborene Kind mit ein? Wenn man schon mit "Eigentum" argumentiert....
Daraus resultiert völlig logisch: es ist notwendig eine Kompromissregelung zu treffen die den Frauen die Abtreibung im Rahmen bestimmter Voraussetzungen ausdrücklich erlaubt aber ihnen durch eine vorherige unabhängige Beratung die möglichen Alternativen aufführt und somit dem ungeborenen Leben wenigstens eine Chance bietet.
disenchanted
@96830 (Profil gelöscht) Quatsch. Ich bin, gemessen am Altersschnitt in diesem Land, noch recht jung und von meinen Ex-Freundinnin war keine von der Idee einer Abtreibung begeistert. Zwei haben mir sogar gesagt das sie es überhaupt nicht machen würden. War auch gott sei dank nie nötig aber die von Ihnen beschriebene Freizügigkeit beim Umgang mit Abtreibungen spiegelt schlichtweg die Realität nicht wieder.
81331 (Profil gelöscht)
Gast
@96830 (Profil gelöscht) ..."Unter jungen Menschen gilt Abtreibung definitiv als Verhütung" na und?
96830 (Profil gelöscht)
Gast
@81331 (Profil gelöscht) Kommentar entfernt. Bitte verzichten Sie auf persönliche Anfeindungen. Danke, die Moderation
disenchanted
Das ist doch ein generelles Problem mit bestehenden Gesetzen und Politik. Ist ein Gesetz einmal erlassen ist es schwierig es wieder los zu werden. Wenn eine Regierung ein Gesetz streicht und dann Fälle prominent werden in denen dieses Gesetz Schutz geboten hätte dann fällt es der Koalition auf die Füße. Am klarsten ist dieses Muster bei Anti-Terror-Gesetzen zu erkennen. Die werden entweder vom Bundesverfassungsgericht abgesägt oder bleiben ewig in Kraft.
Mit der Abschaffung von Gesetzen kann man hauptsächlich in liberalen und libertären (links und rechts) Kreisen Stimmen fangen und die sind in Deutschland vergleichsweise unterentwickelt, ergo passiert in der Richtung nicht viel. Mit neuen Gesetzen, anderer Lastverteilung und Sozialleistungen lässt sich viel besser Werbung machen.
Benedikt Bräutigam
Der Staat kann sich nicht einfach zurückziehen. Gar keine Regelung wäre doch ganz offensichtlich schlecht. Der Schutz ungeborenen Lebens ist nicht nur sinnvoll sondern wie der Schutz jeden menschlichen Lebens Aufgabe des Staates. Irgendeine Regelung muss es geben aber jede Regelung ist auch willkürlich. Von einem ethischen Standpunkt aus gibt es keinen Unterschied zwischen dem dritten und den vierten Monat. Deshalb kann der Staat Abtreibung eben nicht erlauben sondern nur straffrei stellen. Mit Moral kommt man hier einfach nicht weiter. Mit Kriminalisierung auch nicht, allerdings wo soll so ein Gesetz denn sonst stehen? " Mein Bauch gehört mir" ist Quatsch, aber er gehört natürlich auch niemandem sonst. Vorschlag: 218 beibehalten und 219a auf den Müllhaufen. Dieser Paragraph lädt nur ein zum Missbrauch und der aktuelle Prozess ist ein solcher.
4845 (Profil gelöscht)
Gast
"Der Staat kann sich nicht einfach zurückziehen. Gar keine Regelung wäre doch ganz offensichtlich schlecht. Der Schutz ungeborenen Lebens ist nicht nur sinnvoll sondern wie der Schutz jeden menschlichen Lebens Aufgabe des Staates."
Sicher, aber dazu bedarf es auch keine "negative" Regelung durch ein Strafgsetzt das durch ein nachfolgendes Gesetz eingschränkt wird und so Abtreibung unter bestimmten Umständen straffrei gestellt wird. Das führt zu einer unnötige moralischen Vorveruteilung von Frauen die abtreiben.
Es ist auch möglich dies durch eine "positive" Regelung durch ein Gesetz zu ermöglichen, dass Abtreibung unter bestimmten Umständen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erlaubt.
Keine Regelung wird pefekt sein un den Forderungen der Extremisten auf beiden Seiten entsprechen. Aber eine Gesellschaft muss eben einen praktikablen Kompromiss finden anstatt den Extremisten nachzugeben.
81331 (Profil gelöscht)
Gast
@Benedikt Bräutigam ..."der Staat kann sich nicht einfach zurückziehen", aha, und wieso wird dann Abtreibung in anderen Ländern nicht kriminalisiert? Leben dort andere Menschen?
BigRed
@Benedikt Bräutigam Warum ist "mein Bauch gehört mir" Ihrer Meinung nach denn Quatsch?