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Linken-Politiker über Sicherheitspolitik„Mir ist das zu schlicht“

Der Parlamentarier Matthias Höhn fordert von seiner Partei eine generelle Bereitschaft zu Blauhelmeinsätzen – und rüttelt damit an ihren Grundpfeilern.

Halten gerne Distanz zur USA: Die Linken Foto: Ralf Hirschberger/picture alliance
Anna Lehmann
Tobias Schulze
Interview von Anna Lehmann und Tobias Schulze

taz am wochenende: Herr Höhn, die Friedenspolitik ist so etwas wie das Goldene Kalb der Linkspartei. Das wollen Sie jetzt also schlachten?

Matthias Höhn: Schlachten ist nicht mein Stil. Manche Kritikerinnen und Kritiker in der Partei erwecken den Eindruck, mit meinen Vorschlägen zu einer linken Sicherheitspolitik wäre keine Friedenspolitik mehr möglich. Das Gegenteil ist richtig.

In einem Positionspapier signalisieren Sie Bereitschaft zu Blauhelmeinsätzen, fordern ein festes Budget für die Bundeswehr und einen vorläufigen Verbleib in der Nato. Damit rütteln Sie an Grundpfeilern der Linken. Insofern waren heftige Reaktionen erwartbar, oder?

Nein. Ich würde meine Forderungen auch nicht so verkürzen. Zunächst mal mache ich eine ganze Menge konkreter Vorschläge zu Abrüstung und zur Entspannung der Beziehung zu Russland. Und es gibt von mir ein klares Plädoyer zur Einhaltung völkerrechtlicher Regeln und zur Stärkung der UNO. Dazu gehört aber eben auch, dass ich sage, ein kategorisches Nein zu UN-Einsätzen passt nicht zur Unterstützung der Vereinten Nationen.

Welche Art von Einsätzen sind für Sie in Ordnung?

Bild: Spicker/imago
Im Interview: Matthias Höhn

Der Linke-Politiker Matthias Höhn, 45, absolvierte 1994 seinen Wehrdienst, war später fünf Jahre lang Bundesgeschäftsführer der Linkspartei und sitzt seit 2017 im Bundestag.

Ich denke, wir sollten das generelle Nein zu Peacekeeping-Missionen überwinden und auf die Einzelfälle schauen, die die Vereinten Nationen nach Kapitel 6 ihrer Charta beschlossen haben. Das heißt: Die Truppen haben keinen Kampfauftrag, schützen die zivilen Helfer und die Bevölkerung vor Ort, und das Gastland hat dem Einsatz zugestimmt. Eine solche Peacekeeping-Mission haben wir etwa aktuell im Südsudan. Das Mandat liegt gerade wieder zur Verlängerung im Bundestag.

Und welche Einsätze gehen nicht?

Alle Einsätze, die nicht in die Kategorie fallen. Also die meisten aktuellen Bundeswehreinsätze, beispielsweise Afghanistan oder Mali.

Mit dem Grundsatzprogramm der Linkspartei sind keinerlei Auslandseinsätze vereinbar.

Ja, ich finde, wir müssen darüber diskutieren. Aber es geht bei Weitem natürlich nicht nur um Auslandseinsätze.

Ihre Forderungen betreffen den Markenkern der Linken. Wieso halten Sie es für nötig, eine solche Debatte gerade jetzt anzuregen?

Weil wir mitten in einer Wahlprogrammdebatte sind. Im Entwurf der Vorsitzenden finden Sie Sätze, die sind aufs Komma identisch mit Beschlüssen von vor zehn Jahren. Der Entwurf ist schlecht. Er ist in der Außen- und Sicherheitspolitik unzureichend und viel zu unkonkret. Ich finde das in einer Situation, in der sich die Welt rasant verändert hat, unangemessen. Es ist egozentrisch, zu meinen, nur die Linke brauche sich nicht zu ändern.

In Ihrem Papier schreiben Sie, wer Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufbauen will, darf nicht mit zweierlei Maß messen. Was genau meinen Sie damit?

Bei den Konservativen vermisse ich regelmäßig eindeutige Kritik, wenn es beispielsweise um Völkerrechtsbrüche der Türkei oder der USA geht. Und andererseits ist die Linke oft inkonsequent, wenn Russland das Völkerrecht bricht. Beides ist falsch.

Warum tut sich Ihre Partei so schwer damit, Kritik an Russland zu üben?

Das hat sicher auch historische Gründe. Es gibt auch eine biografische Nähe zahlreicher Menschen in Ostdeutschland zu Russland. In Partei und Bundestagsfraktion verlaufen manche Debatten nach dem Muster, dass der Westen immer Schuld hat und die andere Seite es immer richtig macht. Mir ist das zu schlicht.

Die Linke verharrt noch im Kalten Krieg?

Die Linke ist zu pauschal.

Aber einige der Linken?

Ja. Aber mit diesem seit 30 Jahren überholten Weltbild können gerade viele junge Leute überhaupt nichts anfangen. Die laufen dann auch ­deshalb in Scharen zu den Grünen.

Andere Wählergruppen schätzen gerade die derzeitige außenpolitische Ausrichtung Ihrer Partei. Es ist das Alleinstellungsmerkmal der Linken, dass sie Distanz zu den USA halten und Auslandseinsätze ablehnen.

Wenn ich mir die Wahlergebnisse der letzten Jahre anschaue, kann ich nicht erkennen, dass wir mit unserem politischen Kurs auf der Erfolgsspur sind. Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Partei ist seit mehreren Jahren in einem sukzessiven Sinkflug bei den Wählerstimmen. Den großen Erfolg, den ich mit meinen Vorschlägen gefährde, sehe ich nicht.

Ihre Fraktionskolleginnen Ulla Jelpke und Sevim Dağdelen haben in der jungen Welt als Reaktion auf Ihren Beitrag geschrieben, Äquidistanz zu Russland und den USA sei falsch, da die USA eine größere Schuld an den großen internationalen Konflikten ­hätten. Ist da nicht etwas dran?

Ich spüre weder eine besondere Nähe zur US-Administration noch zur Putin-Regierung. Ich werbe dafür, dass wir uns als Linke klar mit der aktuellen russischen Regierung, einer rechten Regierung, wohlgemerkt, auseinandersetzen, ohne deswegen von der Kritik an der US-Politik etwas zurücknehmen zu müssen. Dazu gehört dann auch eine klare Haltung zum Mordanschlag auf Nawalny.

Wer steckt Ihrer Meinung nach hinter dem Attentat? Der russische Staat?

Manche Kritiker unterstellen mir, dass ich das ohne Belege behaupten würde. Ich weise aber auf etwas anderes hin: Russland ist Teil des internationalen Chemiewaffenübereinkommens und danach ist Nowitschok ein verbotener Nervenkampfstoff. Wenn er nun nachweisbar auf russischem Territorium zum Einsatz gekommen ist, was niemand mehr ernsthaft bestreiten kann, dann muss Russland für Aufklärung sorgen. Es geht hier um einen Völkerrechtsbruch. Die Verhaftung Nawalnys zeigt, dass Russland nie Interesse an Aufklärung hatte. Und ein solches Verhalten ist unannehmbar.

Was halten Sie von der Performance des außenpolitischen Sprechers Ihrer Fraktion, Gregor Gysi? Er spekuliert darüber, dass Gegner der Nord-Stream-Pipeline hinter dem Anschlag stecken könnten.

Was ich mit Gregor Gysi, den ich viele Jahre kenne und schätze, zu besprechen habe, kläre ich im Gespräch mit ihm und nicht in der taz.

Wie sollte der Bruch des Völkerrechts aus Ihrer Sicht geahndet werden? Soll die Nord-Stream-Pipeline gestoppt werden?

Ich halte nichts davon, diese Dinge miteinander zu verknüpfen. Und auch die Sanktionsdebatte muss man sich in Ruhe anschauen. In Zusammenhang mit der Ukraine hat Europa schon mehr als eine Sanktion gegen Russland auf den Weg gebracht. Es hat nicht zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung geführt. Ich bin nicht generell gegen Sanktionen, aber wir müssen schon nüchtern betrachten, was wir damit erreichen.

Was könnte stattdessen helfen?

Beide Seiten müssen bereit sein, kleine Schritte aufeinander zuzugehen. Kleine Mechanismen wieder in Gang zu setzen, die schon mal arbeitsfähig waren. Auf Nato-Russland-Ebene, im bilateralen Austausch. Da ist vieles eingeschlafen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der Parteivorstand hat Ihr Positionspapier in einem Beschluss abgelehnt. Nach Aufbruch klingt das nicht.

Viele möchten durchaus raus aus der Erstarrung. Sie wollen die Fenster aufmachen und frische Luft in die programmatische Diskussion bringen. Wir haben in den letzten Jahren Tausende neue Mitglieder aufgenommen, die an den letzten Programmdebatten nicht beteiligt waren und die eine ganz andere Perspektive mitbringen als Mitglieder, die wie ich seit 30 oder mehr Jahren dabei sind. Ich hatte erst diese Woche wieder eine Onlineveranstaltung, wo jemand aus der queeren Community gesagt hat: „Danke, Matthias, dass du die russische Politik so deutlich kritisierst.“ Es gibt doch auch einen gesellschaftlichen Bedarf an einer linken Friedens- und Sicherheitspolitik auf der Höhe der Zeit. Und da müssen wir anschließen.

Ist die innerparteiliche Debatte mit dem Vorstandsbeschluss nicht schon beendet?

Der Beschluss des Parteivorstands hat überhaupt keine Relevanz. Was bewirkt der? Gar nichts. Es ist eine hilflose Stellungnahme. Die Debatte in der Partei findet trotzdem statt.

Von der Fraktions- und Parteiführung unterstützt Sie niemand.

Ja, das nehme ich zur Kenntnis. Es ist inkonsequent, dass all die, die gerne auch in Zeitungen darüber sprechen, dass wir Mitte-links-Bündnisse brauchen, diese Debatte nicht führen. Das ist auch unehrlich, weil sie genau wissen, dass wir ohne eine außenpolitische Debatte in der Partei keine Mitte-links-Bündnisse zustande kriegen. Ich habe aber zur Kenntnis genommen, dass Susanne Hennig-Wellsow gesagt hat, dass sie sich sehr wohl Blauhelmeinsätze vorstellen kann.

Haben Sie sich mit Susanne Hennig-Wellsow auch über Ihr Papier ausgetauscht?

Nicht im Vorfeld. Wir haben telefoniert, nachdem das Papier öffentlich geworden ist.

War es strategisch ein Fehler, so eine brisante Debatte anstoßen zu wollen, ohne sich Verbündete zu suchen?

Ich habe in den letzten drei Jahren mehrmals in der Bundestagsfraktion versucht, eine Diskussion anzuschieben, etwa zum Thema Russland, zur Bundeswehr oder zum Verteidigungshaushalt. Ich bin damit jedes Mal gescheitert. Deshalb habe ich mich jetzt entschieden, die Debatte mit der Partei zu führen. Wen hätte ich denn vorher noch fragen sollen, ob ich das veröffentlichen soll? Ich weiß, welchen Ratschlag ich bekommen hätte: Mach es nicht.

Sie kandidieren auf dem Parteitag als Parteivize. Ihr Vorstoß könnte dazu führen, dass Sie durchfallen.

Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich finde es ehrlich und konsequent, diese Debatte zu führen, bevor man sich zur Wahl stellt. Was würde das denn für ein Bild abgeben, wenn ich am Tag nach einer erfolgreichen Wahl plötzlich ein solches Papier veröffentlichen würde? Ich fände das nicht angemessen.

Halten Sie Rot-rot-grün nach der Bundestagswahl eigentlich für möglich?

Erst mal müssten die drei Parteien deutlich machen, dass das für sie eine Option ist. Das wird bisher nicht konsequent kommuniziert und da muss man sich auch nicht wundern, wenn das keine Resonanz hat. Die SPD ist nicht dieselbe SPD wie vor vier Jahren, sondern auch sie verändert sich. Natürlich gäbe es neue Möglichkeiten mit dem, was ein Rolf Mützenich, ein Kevin Kühnert und andere auch zu außenpolitischen Themen sagen. Nur man muss sich eben auch aktiv einbringen in eine solche Debatte.

Die designierte neue Doppelspitze sendet unterschiedliche Signale. Susanne Hennig-Wellsow will, dass die Linke im Bund mitregiert, Janine Wissler ist skeptisch. Ist es schwierig, zwischen diesen beiden Polen eine klare Position zu finden?

Es ist schwierig. Mit einer unklaren Position kann man auch nicht Wahlkampf machen.

Sie wünschen sich ein ganz klares Bekenntnis?

Die Partei muss sich endlich entscheiden, was sie strategisch will. Das hat sie bisher versucht zu vermeiden, weil es dazu im eigenen Laden unterschiedlichste Meinungen gibt. Das führt aber dazu, dass keine Mobilisierung eintritt, da die Leute nicht genau wissen, woran sie mit uns sind. Wollen die jetzt oder wollen die nicht? Die Grünen exerzieren uns seit einigen Jahren par excellence vor, wie man sich klar strategisch aufstellt. Mit Erfolg. Ich will nicht werden wie die Grünen. Aber daran kann man sehen, was es bewirkt, wenn man sich klare Ziele setzt und sie gemeinsam kommuniziert.

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24 Kommentare

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  • Wer das ganze als Peacekeeping bezeichnet der zeigt schon eindeutig, das er Teil des Problems ist

  • Nun sollte man als Opposition immer zuerst vor der eigenen Haustüre fegen: Wenn die Ukraine durch den Natodrive mit Russland in Konflikt gekommen ist und dabei wie auch in manchem baltischen Staat die russich-sprachige Bevölkerung etwas marginalisiert wird, besteht eigentlich kein Grund, die expansive Natopolitik nicht kritisieren zu sollen. Es braucht nicht noch eine Partei, die wie die Grünen von der Opposition ins Staaterhaltende sich dometiziert. Schauen wir uns mal Umfrageergebnisse an: die Grünen-Wöhler sind von denen der CDU nur noch im Gendern zu unterscheiden.



    Die Linke sollte bei Fragen des Friedens und des Eigentums, das über den physischen Besitz hinausgeht, unverwechselbarer werden und ihre Herkunft nicht noch mehr verhöhnen...

  • Recht hat Er.Einer der Gründe warum Linke nicht wählbar sind,ist Ihre merkwürdige Einstellung zu Verteidigung und Bündnisfragen.Deutschland muss sich stärker beteiligen an der Verteidigung unserer westlichen Werte.Derzeit wird unsere Vorstellung von Leben bedroht aus 3 Richtungen.Russland,China und aus dem arabischen Raum.Darauf brauchen wir Antworten wenn es sein muss auch militärisch.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Reginald Bull:

      Ich bin mir nicht sicher welche Werte sie meinen.



      Aufklärung und Freiheit?



      Und wenn die, sind sie sicher das beim westlichen Militär die Führungsebene diese Werte überall teilt.



      Aber einigen wir uns erst einmal darauf, das wir als Westen die Werte der Führung Russlands, Chinas und Arabiens nicht teilen.

    • @Reginald Bull:

      Als ob es eine tatsächliche Übereinkunft über "unsere westlichen Werte" gäbe. Sind das nicht viel eher die monetären Werte unserer westlichen Reichen?

      Sollen einmal mehr viele Millionen unschuldige Wehrpflichtige und andere Soldaten sowie ungezählte Zivilisten diese Werte mit ihrem Leben bezahlen?

      Jeder Krieg fängt mit einer (Bedrohungs-)Lüge an!

      • @Khaled Chaabouté:

        "Jeder Krieg fängt mit einer (Bedrohungs-)Lüge an!"

        Und egal ob Preußischer Militarismus oder Nazidiktatur, stets ist mit der Bedrohungslüge die Propaganda verbunden, dass es immer um das Gute gegen das Böse geht. Die Muster sind immer gleich.

        • 8G
          83379 (Profil gelöscht)
          @Rolf B.:

          Gilt ihre Kritik dann auch Russland, China, der Türkei? In der narrativen sind ja immer die die Opfer Russland fühlt sich ja von einigen tausend NATO Soldaten im Baltikum bedroht. Das die NATO keinerlei Bedrohungg für Russland darstellt sollte offensichtlich sein aber ist dort beliebtes Propagandaelement.

          Gut und Böse haben in der Politik nichts verloren, aber im Vergleich mit Russlands militaristischen klerikalen Kleptokratie macht Deutschland vieles richtig.

          • @83379 (Profil gelöscht):

            "Gilt ihre Kritik dann auch Russland, China, der Türkei?"

            Selbstverständlich.

            Ich folge allerdings nicht ihrer NATO Propaganda. Meine Kritik gilt auch z.B. für die "Freunde" in Saudi Arabien, Katar, Polen, Ungarn, Weißrundland und auch im Falle Assange besonders gegenüber England und einer EU, die sogar Folter duldete. Nicht zu vergessen die frankistische Justiz in Spanien.

            Menschenrechte sind für MICH nicht teilbar. Und Krieg ist niemals die Lösung von Problemen in Bezug auf Menschenrechte. Aber um Menschenrechte geht es ja selten, vielmehr stehen geostrategische Interessen im Vordergrund. Da pfeift der Wertewesten gerne drauf, wenn sie vor der eigenen Haustür missachtet werden.

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @Reginald Bull:

      Die USA hat seit dem Ende des Kalten Krieges nicht nur massiv aufgerüstet, auch wurde die Gelegenheit schlechthin nicht genutzt, gegebene Versprechen zu halten. Bush und Baker haben Gorbatschow bewußt getäuscht, als sie ihm weismachten, die NATO werde nicht erweitert. Mit ihrem Vorgehen haben sie statt der Vision einer Welt ohne Militärblöcke und der Auflösung der NATO, diese bis an die russische Grenze ausgedehnt mit all den Konsequenzen, die wir jetzt sehen. Nur ein Land dieser Welt hat den Einsatz von Atomwaffen wahrgemacht. Die atomare Bedrohung zu beenden, als es weltpolitisch die einmalige Chance gab, wurde durch die USA mit dieser bewußten Täuschung vorsätzlich verhindert, ja, in vollkommen unverantwortlicher Weise vertan. Die Ablehnung von Gorbatschows Vision einer friedlichen, auf Zusammenarbeit beruhenden eurasischen Sicherheitszone ohne Militärblöcke stand und steht offensichtlich nicht im Interesse der US-Eliten. Auch die Atomkrise mit dem Iran wäre zu lösen, ohne Kriegsdrohung, Sanktionen, ganz einfach durch eine atomwaffenfreie Zone in der Region. Dies wird von den USA blockiert, weil eine Inspektion der Atomwaffen Israels verhindert werden soll. Dagegen treten die arabischen Staaten seit 20 Jahren dafür ein, der Iran steht an der Spitze dieser Bemühungen.



      Wer immer von westlichen Werten schwadroniert, muß sich das vor Augen halten und die Eskalation bis hin zur möglichen Auslöschung der Menschheit denen zuschreiben, die sie verantworten. Was in den letzten 75 Jahren nicht geschehen ist, kann jederzeit geschehen. Verhindert wurde das bisher - bei der selbstmörderischen Operation "Able Archer", bei der man in Washington sehr genau wußte, wie nah man die Welt an den Abgrund eines Atomkriegs brachte, durch einen hohen US-Luftwaffenoffizier Leonard Perroots, der das vorgesehene Verfahren ignorierte und damit einen



      Atomschlag verhinderte. Auf russischer Seite steht dem zur Seite



      Stanislav Petrov: Erinnert sei auch an Wasili Archipov (Kubakrise).

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich hoffe, dass sich da was in die Richtung tut, die Matthias Höhn vorgeschlagen hat. Selten habe ich jemanden von der Linken so eindeutig sagen hören, was Sache ist.



    Die Strategie der Linkspartei auf Bundesebene ist es momentan ja eher, auf den Sankt-Nimmerleinstag zu warten, an dem sich die Massen auf die wahre Lehre besinnen.



    Wie kann man aber Menschen von einer linken Politik überzeugen , wenn man nicht beweist (und nicht beweisen will), dass man es besser hinbekommt als eine schwarz-rote oder schwarz-grüne GroKo? Das stärkt am Ende nur die politische Rechte.



    Dabei geht es nicht um die Aufgabe linker Inhalte und nicht darum, sich den Grünen anzugleichen, sondern um die Aufgabe der Idee, man könne in einer Demokratie Politik machen, ohne immer wieder Kompromisse eingehen zu müssen. Statt auf Positionen zu beharren, die pauschalisierend sind und Kompromisse verhindern, sollte doch eher die Diskussion darüber geführt werden, welche Kompromisse im Rahmen des parlamentarisch-demokratischen Prozesses vertretbar sind, weil sie einen Schritt in die richtige Richtung bedeuten - und welche Kompromisse nicht vertretbar sind, weil die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke dadurch strategisch in ihrer Programmatik geschwächt werden.



    Ich sehe nicht, dass die Bereitschaft zu friedenserhaltenden Blauhelmmissionen ohne Kampfauftrag, wie Matthias Höhn sie definiert hat, den friedenspolitischen Kurs der Linken schwächt.



    Im Untertitel der taz wurde allerdings auch wieder ungenau polarisiert:



    Eine "generelle Bereitschaft zu Blauhelmeinsätzen" hat Matthias Höhn nicht gefordert, sondern:



    "Ich denke, wir sollten das generelle Nein zu Peacekeeping-Missionen überwinden und auf die Einzelfälle schauen, die die Vereinten Nationen nach Kapitel 6 ihrer Charta beschlossen haben."



    Das generelle Nein zu überwinden, bedeutet kein generelles Ja, sondern, dass man sich jeden Fall genau anschaut und beurteilt, ob eine Beteiligung Sinn macht oder nicht.

  • Würde mir tatsächlich wünschen, dass sich solche Positionen in der Partei stärker durchsetzen würden. Dann könnte man die Linke auch mit deutlich weniger Bauchschmerzen wählen.

    • @Snip Snap:

      Kann mal spaßeshalber jemand einen erfolgreich beendeten Deutschen Militäreinsatz nach 45 nennen?



      Oder irgendeine Nato-Mission, die nicht im Kern koloniale Züge aufweist oder gleich ganz und gar der Stützung krimineller Regimes gilt wie z.B. bei unseren Liebelingsorganhändlern im Kosovo?



      Irgendwas, was jetzt wirklich dafür spricht, sich auf mehr Militäreinsätze einzulassen?

      Ist ja schließlich alles gut gegangen mit unseren demokratischen Terraformprozessen seit Ende des kalten Krieges: Flüchtlinge immer mehr, der Hunger ist zurück und Opferzahlen von einer Millionen Menschen aufwärts...

      Na klar, wenn Links keine Militäreinsätze will, kann man sie auch nicht wählen.



      Aber an Militäreinsätzen und Nato darf nicht gerüttelt werden, ist dogmatisch verankert.

      • @eremit:

        "Na klar, wenn Links keine Militäreinsätze will, kann man sie auch nicht wählen."

        Genau auf den Punkt gebracht.

  • "Ich hatte erst diese Woche wieder eine Onlineveranstaltung, wo jemand aus der queeren Community gesagt hat: „Danke, Matthias, dass du die russische Politik so deutlich kritisierst.“ "

    Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum hier erwähnt wird, dass jemand aus der "queeren Community " sich dafür bedankt, dass Matthias Höhn Russland kritisiert. Was hat das mit queer zu tun?



    Ich denke, dass Linke durchaus einiges an Putin und dem System in Russland auszusetzen haben. Putin ist das Stöckchen, über das Linke springen sollen. Dabei geht es doch in erster Linie um etwas ganz anderes, nämlich die kritiklose Übernahme selbst der abenteuerlichsten Vermutungen, wenn es gegen Russland geht. Linke sitzen da quasi in einer Falle, weil der Einsatz für eine differenzierte und vor allen Dingen wahrhaftige Betrachtung stets mit Propaganda abgewehrt wird.

    Wenn Die Linke sich auf NATO Ideologie verkürzen würde, wäre sie total überflüssig.



    Der stetige Stimmenrückgang bei den Linken hat aber weniger mit Russland zu tun, vielmehr ist es der hippe grüne Zeitgeist, dem die Linke hinterher läuft und Linke abstößt. Die Linke als Lifestylepartei braucht niemand. Und ein Einknicken bei den Grundsätzen einer friedlichen Außenpolitik wäre die Hinwendung zu einer Wählerschaft, die mit Friedensdiplomatie ohnehin nichts am Hut hat.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Zum ersten Teil: Queere Menschen werden in Russland stark diskriminiert und dürfen öffentlich nicht für ihre Belange demonstrieren. Auf YouTube kursieren Videos, wie Faschogruppen Schwule zuhause terrorisieren und der Staat unternimmt nichts.



      Wenn Sie das nicht mitbekommen haben, dann frag ich mich, woher Sie ihre Informationen über Russland beziehen oder ob Sie überhaupt welche haben.



      Der stetige Stimmenrückgang bei der Linken liegt wohl eher nicht daran, dass die Linke zu nah an neoliberale grüne Positionen rückt, sondern daran, dass sie es nicht schafft, eine Sprache zu sprechen, die 30 Jahre nach dem Fall der Mauer von links orientierten jungen Menschen verstanden wird und sich in vielen Punkten pauschalisierend und undifferenziert verhält und sich um klare Stellungnahmen vor allem in Bezug auf Russland herumdrückt, um bloß nicht diejenigen zu verärgern, die in jeder Kritik an russischen Verhältnissen eine NATO-Unterwanderung der Partei sehen. Das ist für die meisten Menschen unter 40 einfach nicht nachvollziehbar.



      Derweil sollte es ohne große Probleme möglich sein, da klare Worte zu finden, ohne eine so genannte Politik der Äquidistanz zu vertreten. Ich persönlich finde [solid], die Linksjugend, schon seit langem glaubwürdiger als die Parteiführung, bei der es zu vielen Menschen um Profilierung geht un nicht darum, dass man einander zuhört und aufeinander eingeht. Statt dessen redet man aneinander vorbei oder führt verbale Schlammschlachten der untersten Schublade, wie es in der NRW-Linken gerade passiert.



      Da sagt jemand, man solle Blauhelmeinsätze ohne Kampfauftrag nicht kategorisch ausschließen, schon wird er als NATO-Kriegstreiber beschimpft. Da sagen Leute, man solle gegenüber Putin nicht so unterwürfig sein und schon heißt es, man habe die US-Politik verharmlost.



      Das ist unsachlich und bringt gar nichts außer dem öffentlichen Bild, dass mit dieser Partei nicht viel anzufangen ist.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Ist doch völlig okay, für die Rechte der diskriminierten Queer-Szene in Russland sämtliche Diplomatie gar nicht erst zu bemühen, sondern gleich die NATO in Stellung zu bringen. Ein paar YouTube-Videos und inszenierte Pressefilmchen genügen für -zigtausend Tote und zerstörte Städte. So genau will man es ja gar nicht wissen, wie es wirklich um die Queer-Szene in Russland bestellt ist.

        Ich verstehe ehrlichgesagt gar nicht, warum sich so viele Nicht-Linke hier über die Partei Die Linke ereifern. Die sollen doch einfach die Grünen wählen und gut ist. Bei den Linken in der Partei ist Höhns Vorstoß ziemlich eindeutige abgebügelt worden.

        Die hier selektiv ausgewählten Stimmen, die einer NATO-Linken überhaupt erst Wählbarkeit attestieren, spiegeln sich doch überhaupt nicht in den tatsächlichen Wählerstimmen wider.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Sie meinen wirklich, dass die NATO Aufrüstungs- und Feindbildungspolitik etwas damit zu tun hat, weil z.B. Queere in Russland diskriminiert oder sogar terrorisiert werden? Eine seltsame Weltsicht, die auch erklären könnte, warum identitäre Politik sich nicht für Geostrategie interessiert und auf Geschichtskenntnisse verzichten kann.



        Und wenn Sie zusätzlich der Meinung sind, dass junge Linke nicht mehr einsehen wollen, dass statt Militär und Sanktionen doch lieber eine kluge Politik der Diplomatie Vorrang haben sollte, dann stellt sich für mich die Frage, ob es sozusagen eine NATO orientierte Linke geben kann. Da haben wir einfach sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was linke Politik sein sollte.



        Was meine Russlandkenntnisse betrifft, die mich durchaus zu einer sehr kritischen Einstellung veranlassen, so kann ich dennoch behaupten, dass sie nicht durch die Propaganda der Transatlantiker beeinflusst sind.

  • „Bei den Konservativen vermisse ich regelmäßig eindeutige Kritik, wenn es beispielsweise um Völkerrechtsbrüche der Türkei oder der USA geht. Und andererseits ist die Linke oft inkonsequent, wenn Russland das Völkerrecht bricht.“

    Mir ist diese Darstellung viel zu schlicht. Da könnte man genausogut auch argumentieren, die Grünen wollen Nord Stream II wegen der Inhaftierung Nawalnys beenden, haben aber weiterhin kein Problem mit Energieimporten aus Saudi Arabien und diversen anderen despotischen Emiraten, in denen jegliche Opposition seit Jahrzehnten geköpft wird. Was soll denn sowas?

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Rainer B.:

      "Da könnte man genausogut auch argumentieren, die Grünen wollen Nord Stream II wegen der Inhaftierung Nawalnys beenden, haben aber weiterhin kein Problem mit Energieimporten aus Saudi Arabien und diversen anderen despotischen Emiraten, in denen jegliche Opposition seit Jahrzehnten geköpft wird."



      Was ist an dem Argument denn falsch? Wir wissen doch alle, dass der IS eine wahabitische shiitische Islamauslegung vertritt und dass nicht der Iran, sondern die ach so geschätzten Geschäftspartner des Westen in den diversen Emiraten solche Gruppen finanzieren und dass viele islamofaschistische Milizen, u.a. der IS, ihr Rückzugsgebiet in der Türkei haben/hatten.



      Was ist so falsch an der Forderung, nicht mit zweierlei Maß zu messen?

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Falsch ist an so einer Forderung gar nichts - ausser der Grundannahme, bei den Linken oder bei den Grünen würde man in dieser Hinsicht mit zweierlei Maß messen.

      • 9G
        90564 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        der wahabitismus ist sunnitisch! ansonsten zustimmung

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Die Linke"" definiert sich im Kern immer noch über die Abschaffung des Politischen Systems in der Bundesrepublik -- und hält an dem Irrglauben fest, das es sich in der Russischen Förderation um so was ähnliches wie Sozialismus handelt. (Welcher Flügel nun überwiegt - ob die linken hardline Fundamentalisten aus dem kalten Krieg (Dagelen) oder die Ramelows mit den Berliner Vergesellschaftern des Impfstoffes wird immer wieder verwischt - siehe Gregor Gysi)

    Dieser Wertekonservativismus bei den Linken ist schwärzer als schwarz - wenn selbst die Söder/CSU momentan die Bienen & Fliegen anhimmelt, Bäume umarmt und grün angemalt schmetterlingsgleich die Partei der "Grünen" schmachtende Blicke zuwirft wird das Verharren der Linken im kalten Krieg überdeutlich.

    Ansonsten - wenn Liebeswerben dauerhaft aus Gründen schnöder Missachtung nicht erhört wird - ist das eigentlich vereinbar mit den Grundgesetzen dieser Republik?

    Müntefering/SPD hat schon im September 2020 auf eine Koalition mit den Linken hingewiesen. Die Heftigkeit allerdings, mit der sich die Linken dann gegen Müntefering wehrten, zeigt, dass Müntefering einen wunden Punkt getroffen hat.

    Die Linke sollte nun mit folgendem Statement antworten:



    ""Niemand hat die Absicht sich sozialdemokratisieren zu lassen - oder gar selber Sozialdemokrat zu werden"".

    Dann wäre endlich alles klar.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @06438 (Profil gelöscht):

      Das ist so nun auch nicht wahr. Die Linke hat nirgends im Programm die Abschaffung des Grundgesetzes stehen und auch in Sevim Dagdelens Artikel in der Jungen Welt wird nicht moniert, dass Russland und China als Diktaturen bezeichnet werden, sondern, dass eine Politik der Äquidistanz die Regime-Change-Politik der NATO und die weltweite Präsenz des US-Militärs - also das Verharren der NATO im Kalten Krieg - nicht ausreichend berücksichtigt.



      Es ist nicht die Frage, ob Russland kritisiert werden darf oder nicht, sondern darum, dass diese Kritik so geübt wird, dass es aussieht, als würden sich da mit den USA auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite zwei Fraktionen gegenüberstehen, die in ähnlichem Maße an der Aufrüstung und an weltweiten Konflikten beteiligt wären.



      Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die USA massiv aufgerüstet, überall auf der Welt neue Militärbasen eröffnet und weltweit völkerrechtswidrige Kriege geführt. Russland und China wurden in der Fortführung der Politik des Kalten Krieges militärisch eingekreist und damit wurde eine Aufrüstungspirale in Gang gesetzt. Als Russland und China der NATO vorschlugen, über einen Vertrag gegen die Stationierung von Waffen im Weltraum zu verhandeln, wollten das die NATO-Staaten nicht und da wundere sich mal jemand, warum Putin die atomare Abrüstung auf Eis gestellt hat.



      Das ist keine Schulhofschlägerei zwischen zwei Raufbolden, die beide jemanden zum Verdreschen gesucht haben.

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        Das aktuelle Grundsatzprogramm der Linken aus 2011 spiegelt deren Grad der Radikalisierung wieder.

        In marxistischer Diktion wird die kapitalistische Ordnung erneut als



        ===



        ===



        "Ausbeutungssystem" angeprangert und für die "Krisen der Zivilisation" verantwortlich gemacht.



        ===



        ===



        Wirkliche Demokratie könne es nur unter sozialistischen Vorzeichen geben.



        ===



        ===



        Voraussetzung dafür sei die Überwindung der bestehenden Eigentumsverhältnisse und staatliche Steuerung der Wirtschaft.



        ===



        ===



        Daseinsvorsorge, gesellschaftliche Infrastruktur, Finanzinstitutionen und Energiewirtschaft gehörten in öffentliche Hand und müssten ""demokratisch"" (?) kontrolliert werde.

        Wenn sie diese ultra-konservative Vorstellungen der Partei "Die Linke" umsetzen -- bekommen sie die DDR 2.0 .

        2.. Völlig abschreckend der Linken" ist deren Syrienpolitik. Russland und China verhindern gerade Lebensmittellieferungen der Vereinten Nationen. (Grenzübergänge)

        3.. Dagelen ist ein kalter Krieger - Kriegstreiberei der Russen/ Ukraine, Weißrussland, gegen die EU (Borell, Novitchok, Verstoss gegen das Völkerrecht, Kriegstreiberei von Lavrov) und Chinesen (Kriegsdrohung gegen Taiwan, Pazifikstaaten) lässt sie völlig unter den Tisch fallen.