Linken-Politiker Robert Jarowoy ist tot: Revolution als Tagesthema
Als „Terrorist“ in Haft, engagiert in Kommunalpolitik und Kurdistan-Solidarität: Mit Robert Jarowoy ist am Montag ein politisches Unikum gestorben.
Bei Nürnberg geboren, war er, seit er 16 war – und das war er 1968 – vor allem Anarchist. Träumte erst als Schüler, dann als Student der Philosophie und Geschichte von einer klassenlosen Gesellschaft ohne Fremdbestimmung und Machtstrukturen. Seine gesellschaftliche Vision hat Jarowoy später auf die Kurden projiziert: „In Kurdistan wird versucht, ein basisdemokratisches, rätekommunistisches Gesellschaftsmodell aufzubauen. Die Geschlechter, ethnische und religiöse Minderheiten sind gleichberechtigt“, hat er der taz einmal sein Utopia beschrieben, das er nie über Bord warf.
So wenig wie seine eigene Geschichte, die ihn von 1973 bis 1979 als Mitglied der linksterroristischen „Bewegung 2. Juni“ in den Knast führte. Er hat sie immer als wichtigen Teil seiner Biografie verstanden: „Niemand von uns glaubte damals, dass man diese Gesellschaft mit friedlichen Mitteln verändern könnte.“ Jarowoy soll an Raubüberfälllen beteiligt gewesen sein, über die sich der „2. Juni“ finanzierte.
Vier seiner sechs Haftjahre verbrachte Jarowoy in Einzelhaft in Frankfurt unter den Bedingungen der „sensorischen Deprivation“, des weitgehenden Entzugs aller Reize. „Dagegen half mir das Schreiben, denn so konnte ich mich in eine Fantasiewelt flüchten“, beschrieb Jarowoy seine Überlebensstrategie in der Isolationshaft. „Man ist auf eine Art nicht mehr in der Zelle“.
Jarowoys erste Bücher entstanden im Knast
Im Knast entstanden seine ersten Bücher: „Märchen aus der Spaßgerilja“, das er zusammen mit Fritz Teufel verfasste, „Die Prinzessin und der Schnellläufer!“ und „Mit Geduld und Energie“. Doppelbödige Märchen, gespickt mit leicht zu entschlüsselnden politischen Botschaften.
Nach seiner Haft zog Jarowoy nach Hamburg und lebte seit 1980 im damals links-alternativ geprägten Ottensen, als – so seine Selbstzuschreibung – Initiativenaktivist, Kommunalpolitiker und Internationalist. Er engagierte sich in zahlreichen kommunalpolitischen Initiativen. Ein neues Kapitel in seiner politischen Biographie schlug Jarowoy auf, als er 2008 Mitglied der Bezirksversammlung Altona und bald darauf Chef der dortigen Linksfraktion wurde.
Er kämpfte gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens, gegen Gentrifizierung, soziale Spaltung oder die Ausgrenzung von Migrant*innen und für eine Stärkung von kommunalen Befugnissen und Bürgerrechten. Trotzdem hörte er nie ganz auf, mit dem parlamentarischen Regelbetrieb zu fremdeln. Über die Abgeordneten der anderen Parteien sagte er der taz: „Ich sieze sie alle. Auch wenn sich alle anderen untereinander duzen. Aber selbst nach zehn Jahren geht mir das nicht über die Lippen.“
Robert Jarowoy hat seine im Knast entdeckte Liebe zum Schreiben auch in Freiheit kultiviert und seine Erlebnisse in der Altonaer Kommunalpolitik in einer Reihe von Krimis ironisch verarbeitet. Immer ging es dabei um Macht, Korruption und die Skrupellosigkeit des Kapitals. Beruflich setzte er auf der Ökologie- und Biofood-Bewegung auf. Von 1995 bis 2004 war er Geschäftsführer einer Genossenschaft im Naturkost-Großhandel, ab 2006 handelte er mit Bio-Käse.
Er hörte nie auf mit dem Parlament zu fremdeln
Jarowoys Blick reichte über den kommunalen Tellerrand hinaus. Er gründete die Kurdistan-Hilfe, organisierte Delegationsreisen, sammelte Spenden, damit kurdische Kinder zur Schule gehen können und die Krankenhäuser in den kurdischen Gebieten das Allernötigste an Medikamenten und Apparaturen bekamen.
„Es ging ihm nie um sich, es ging ihm immer nur um andere“, beschreibt die Chefin der Hamburger Linksfraktion Cansu Özdemir den Mann, den sie schon mit 17 Jahren in der kurdischen Community kennengelernt hat, wo Jarowoy und seine verstorbene Frau Beate in einer Art und Weise verehrt werden, die sich nur erklärt, wenn man das jahrzehntelange Engagement der beiden für die kurdische Sache erlebt hat. Als „absolut empathisch, uneitel und verlässlich“, skizziert der deutsch-türkische Journalist Adil Yiğit seinen Weggefährten. „Bis zum Schluss war er bei jeder Demo dabei, mit der Spannkraft eines jungen Mannes.“ Auch noch, als er schon vom Krebs gezeichnet war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid