Linke mucken auf: Frankreich bläst zum Sarkozy-Streik
Alle Gewerkschaften und linken Parteien rufen zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen auf. Im Wahlkampf hatte Sarkozy noch mit dem Slogan "Präsident der Kaufkraft" geworben.
"Alle, die unter der Krise leiden", hat Bernard Thibault, Chef der CGT, aufgefordert: "nehmt teil". Zusammen mit der größten französischen Gewerkschaft rufen in seltener Einmut auch fast alle anderen Gewerkschaften für Donnerstag zu Streiks und Demonstrationen auf. Schon jetzt ist klar, dass der Zugverkehr, der Schulunterricht, die Universitäten, die Museen und auch weite Teile der Privatwirtschaft stillstehen werden. Sogar der Staatspräsident, gegen dessen Austeritätspolitik sich der Protest richtet, nimmt an dem Stillstand teil. Nicolas Sarkozy hat am 29. Januar keinen einzigen Termin.
Die Medien wussten bereits vorab, dass diese Streikbewegung "massiv" werden wird. Die Umfrageinstitute haben ermittelt, dass nicht nur mehr als 71 Prozent der Bevölkerung insgesamt, sondern auch mehr als 54 Prozent der AnhängerInnen der rechten Regierungspartei UMP die Proteste verstehen. Selbst Laurence Parisot, die Chefin des Unternehmerverbandes Medef, erklärte, dass am Donnerstag auch in der Privatwirtschaft ungewöhnlich viele Beschäftigte fehlen werden. Allerdings macht die Medef-Chefin dafür nicht die Streikbereitschaft der Beschäftigten verantwortlich, sondern die "Transportbedingungen".
Neben den GewerkschafterInnen versuchen auch die anderen Köpfe der französischen Linken die Gunst des Momentes zu nutzen. So hat Martine Aubry, neue Chefin der Sozialdemokratie, am Mittwoch einen Misstrauensantrag gegen die Krisenpolitik der Regierung veranlasst. An der absoluten rechten Mehrheit im Parlament scheiterte der Antrag erwartungsgemäß. Aber die PS stellte sich damit ostentativ auf die Seite der Beschäftigten. Zusätzlich rief ihre Führung zu einer starken Beteiligung an dem Aktionstag auf.
Ein deutliches Zeichen für den sozialen Unmut ist neben dem gewerkschaftlichen Vorgehen auch der Appell von drei konkurrierenden Linksparteien. Die KommunistInnen, die kürzlich aus der PS ausgeschiedene Linke und die trotzkistische LCR rufen gemeinsam zu dem Streik auf. Der maoistische Philosoph Alain Badiou, den die Medien jahrelang links liegen ließen, durfte in der Zeitung Libération am Dienstag auf drei Seiten seine Weltsicht erklären. "Ich träume davon, dass die Straße Sarkozy aus dem Amt jagt", sagte der 72-Jährige unter anderem.
Nach umfassenden Stellenstreichungen im Vorjahr will die rechte Mehrheit in Frankreich in diesem Jahr erneut 30.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst streichen. Allein in den Schulen sollen 13.500 Stellen verschwinden. In den Universitäten sind 900 Streichungen vorgesehen. Nicht zuletzt deswegen werden sich LehrerInnen und WissenschaftlerInnen besonders zahlreich an den Protesten beteiligen. Neben ihnen werden SchülerInnen demonstrieren, die schon seit Monaten immer wieder auf die Straße gehen. Auch die meisten Elternverbände haben zur Unterstützung der Proteste aufgerufen.
Zahlreiche, oft ganz unterschiedliche Motive werden die Proteste erweitern. Vielerorts in Frankreich sind soziale Netzwerke rund um Krankenhäuser, die geschlossen oder geschrumpft werden, entstanden. An anderen Orten stehen die Redaktionen des Regionalfernsehens im Mittelpunkt, wo Stellen gestrichen werden sollen. Wieder anderswo entzündet sich der soziale Protest an der geplanten Schließung von Militärstützpunkten.
CGT-Chef Thibault verlangt von der Regierung eine Anhebung der Mindestlöhne auf 1.600 Euro und eine "Neubewertung sämtlicher Löhne". Unisono kritisieren die Gewerkschaften, dass Sarkozy den französischen SpitzenverdienerInnen Steuergeschenke im Gegenwert von 15 Milliarden Euro gemacht hat und dass er die weiterhin profitablen Banken und die Automobilindustrie mit Milliardenhilfen stützt - während die große Masse der Beschäftigten massive Einkommensverluste erleidet.
Sarkozy, der sich im Wahlkampf selbst als "Präsident der Kaufkraft" angedient hatte, ist im Vorfeld des Streiks ungewöhnlich verhalten. Noch im vergangenen Juli hatte er höhnisch gewitzelt: "Künftig wird in Frankreich niemand mehr bemerken, dass gestreikt wird." In dieser Woche sagte er bei einem Besuch in einer Fabrik im zentralfranzösischen Châteauroux: "Ich verstehe eure Sorgen." Im nächsten Satz fügte er hinzu: "Ich kann die Reformen nicht stoppen."
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