Linke Systemkritik: Zwischen Weltuntergang und Kitsch
Was waren das für Zeiten, als Linke alles mies finden durften. Heute darf Regierungkritik den Rechten keinen Vorschub leisten.
L ange habe ich mich über den Aufstieg der AfD mit einer Statistik hinweggetröstet: Gut 15 Prozent Stinkstiefel gab’s immer schon. So erklärte es mir ein Forscher vom Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), einem wunderbaren Datenbergwerk am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, nachdem die AfD 2017 in den Bundestag gekommen war. Er sagte nicht Stinkstiefel, sondern „notorische Querulanten“ und meinte Leute, meist Männer, die man keinesfalls als Nachbarn haben wolle: Sie drohen mit Anzeige, wenn die Kinder auf dem Bürgersteig mit Kreide malen. Sie rammen das Fahrrad, das man flink an die Hauswand gelehnt hat, extra tief in den Schlamm am Straßenrand.
Solche Stimmungs- und Zusammenhaltskiller hätten in der AfD nun eben ihre Partei gefunden, sagte der SOEP-Experte. Aber da sie schon immer da gewesen seien, laute die gute Nachricht: Sie würden das gesellschaftliche Klima in Deutschland nicht zusätzlich verpesten. Ich habe jetzt länger nichts von dem Wissenschaftler gehört. Aber ich muss ihn im neuen Jahr unbedingt fragen, was er aus den Erhebungen macht, die aktuell ein ganz anderes Bild ergeben.
Zuletzt war es das Institut Allensbach, das für Deutschland die schlechteste Laune, die größten Sorgen, die geringsten Hoffnungen seit 1952 maß – und daraus den besonderen Umfragen-Erfolg der AfD herleitete. Wenn man der Allensbach-Analyse folgt, ist der Pessimismus stärker noch als etwa verfestigter Rechtsradikalismus das einigende Band von AfD-UnterstützerInnen.
Natürlich war die Welt- und Nachrichtenlage dieses Jahr für wirklich wenige Leute geeignet, die Stimmung zu heben – darüber habe ich mich an diesem Platz bereits mehrfach beschwert und erspare Ihnen jetzt die Aufzählung der Notlagen mit 2023er Stempel. Aber die Untergangsängste, die von der AfD (und ab jetzt dann auch von der Sahra-Wagenknecht-Partei) genährt und genutzt werden, ähneln doch sehr einer Untergangslust, einer Freude am In-den-Abgrund-Reden, die keine Realität braucht, um sich selbst zu befeuern.
Die glaubten doch nicht etwa, dass wir das glaubten?
Die Frage ist nur, was man dem entgegensetzen möchte, ohne in den Ruf der Schönrederei zu geraten. Auch ich reagierte dieses Jahr leicht verstört, wenn Ampel-VertreterInnen die großartige Arbeitsatmosphäre in der Koalition priesen: Die glaubten doch nicht etwa, dass wir das glaubten? „Irgendwer muss doch auch mal sagen, dass es gut läuft“, quittierte im Sommer ein FDP-Staatssekretär eine entsprechende Nachfrage bei einem Sommerfest.
Es ist nicht ganz leicht, die notwendige Kritik an Weltlage, Bundesrepublik und Ampelpolitik angemessen zu artikulieren, wenn man sich sowohl vom rechtsradikalen Untergangsgetröte (plus Wagenknecht) als auch vom Ampelkoalitionskitsch gern absetzen möchte. Im Nachhinein fällt mir auf, dass Linke ihr womöglich größtes Privileg, nämlich alles schadlos uneingeschränkt mies finden zu dürfen, womöglich nie ausreichend geschätzt haben. Was waren das für Zeiten, als man sich noch mit angedeutetem Adorno-Bezug und den Worten „Systemkritik muss nicht konstruktiv sein“ von irgendwelchen Langweilern abwenden konnte!
Ein paar durchaus würdige Vertreter dieser Schule gibt es noch. In Hamburg moderierte ich mal eine Diskussion mit dem Grünen-Mitgründer (natürlich ist er lange schon ausgetreten) Thomas Ebermann. Ich setzte grad zur letzten Runde an, als er ins Publikum sagte: „Jetzt kommt die mit der letzten Frage, auf die man dann einen optimistischen Ausblick geben soll, damit wir uns den Rest des Abends alle besser fühlen können.“ Recht hatte er, aber ich hatte trotzdem keine bessere Frage parat. „Aber was machen wir denn jetzt?“ Ich glaube, er sagte so was Ähnliches wie „Weitermachen halt“.
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