Linke Kneipe enttarnt Immobilienriesen: Das Syndikat
Das britische Immobilienunternehmen Pears besitzt allein in Berlin etwa 6.000 Mietobjekte. Erst Recherchen einer bedrohten linken Kneipe decken dies auf.
Womöglich ist es auch dieser Strategie geschuldet, dass niemand in Berlin die Firma zu kennen scheint. Egal, wen man fragt, Bezirks- und Landespolitiker, Immobilienverband oder Stadtaktivisten – von der Pears Group hat noch keiner gehört. Auch den meisten Mietern dürfte der Name unbekannt sein: Offiziell gehören ihre Häuser luxemburgischen Briefkastenfirmen.
Die deutsche Internetseite ist vom Netz genommen; Besucher der Website der britischen Konzernmutter Pears Group werden allerdings mit einer Luftaufnahme von Nikolaiviertel und Fernsehturm begrüßt. Eigenen Angaben zufolge gehören der Gruppe in Deutschland 6.200 Einheiten, Wohnungen und Gewerbe, überwiegend in Berlin.
Aber der Reihe nach: Anfang Juli wurde der Neuköllner Kneipe Syndikat zum Jahresende gekündigt. Im Kiez und für die linke Szene der Stadt ist das als Kollektiv betriebene „Syndi“ eine Institution. Seit 33 Jahren treffen hier Aktivisten auf Nachbarn. Verhandlungen über einen neuen Mietvertrag stellte die Hausverwaltung DIM mit Sitz in der Potsdamer Straße im September ein. Die Eigentümer wollten keine weiteren Verhandlungen, teilte die Hausverwaltung mit. Es war der Moment, als das Kollektiv begann, sich mit der Frage zu beschäftigen, wer ihre wahren Hausbesitzer sind.
Luxemburger Briefkastenfirma
Seit 2014 gehört das Gebäude in der Weisestraße 56 der Firman Properties S.A.R.L. – wie die französische Buchstabenkombination verrät, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Kapitalgesellschaft hat ihren Sitz in Luxemburgs gleichnamiger Hauptstadt: Avenue de la Gare 4–6. Sitz ist dabei jedoch etwas hochtrabend, wie Vor-Ort-Recherchen von Freunden des Syndikats ergaben. Die Firma teilt sich hier einen Briefkasten mit 75 weiteren Firmen, die alle das Wort Properties im Namen führen. Und immer wieder tauchen die gleichen Geschäftsführer auf.
Die Spur zur Pears Group ergibt sich aus zwei Vollmachten, die die Hausverwaltung DIM von den Eigentümern bekommen und von denen das Syndikat Kopien hat. Der Brief von 2014 ist von Katja Ciesielska und Rachel Hafedh unterzeichnet, der vom 19. Februar 2018 von Cengiz Coelhan und Robert McCorduck. Bei allen vier finden sich im Internet Verbindungen zur Pears Group und ihren Unterfirmen.
Das Syndikat ist auch Thema in der aktuellen Folge des taz Podcasts Lokalrunde - das Stadtgespräch aus Hamburg und Berlin. Dazu geht es um einen Fund von mehr als einer Tonne Kokain in Hamburg und den Spuren zu den Hells Angels. Zu hören auch auf itunes, Spotify und Deezer.
Anruf bei Ciesielska, die ein luxemburgischer Unternehmerverband als Legal Director für die Gruppe ausweist. „Ja, das Syndikat kenne ich“, sagt sie. Weiterhin ist sie eine von vier GeschäftsführerInnen der Firman Properties S.A.R.L, der das Haus in der Weisestraße gehört. Fragen, ob sie zu weiteren Verhandlungen mit dem Syndikat bereit sei, will sie nicht beantworten. „Ich entscheide nicht alleine“, sagt Ciesielska. Und: „Ich arbeite für eine Familie, die die Eigentümerin der Gruppe ist.“ Auch wenn sie den Namen nicht nennen mag: Es ist die Familie Pears.
2011 heißt es in der Londoner Tageszeitung Telegraph: „Die William Pears Group ist eins von Großbritanniens größten Immobilienunternehmen, aber nur wenige haben davon gehört. Aus gutem Grund.“
1952 von Bernhard Pears gegründet, wird die Gruppe seit 1984 von dessen drei Söhnen geführt. Einer von ihnen sagt in dem Artikel im Telegraph: „Wir haben nichts zu verbergen, aber wir sind eine private Firma.“ Allein in London und Südost-England sollen die Pears Group Immobilien im Wert von 6 Milliarden Pfund, fast 7 Milliarden Euro, besitzen. Damals wurde auch der Aufbau eines „europäischen Fonds“ angekündigt.
Viele Häuser in Berlin
Nach Information des Syndikats erfolgte der Einstieg auf dem deutschen Markt spätestens 2014. Damals soll mindestens ein Paket mit cirka drei Dutzend Häusern übernommen und auf fünf Briefkastenfirmen aufgeteilt worden sein. Der Geschäftszweck, das wird klar, wenn man sich mit den verschiedenen Unterfirmen beschäftigt, ist auf maximale Rendite ausgelegt.
Jochen Biedermann, grüner Baustadtrat aus Neukölln, hat zwar ebenfalls noch nie von der Pears Group gehört, hatte aber schon häufiger mit Firman Properties zu tun. Dabei sei es jeweils um Baugenehmigungen in Milieuschutzgebieten gegangen. „Wenn es reibungsfrei verlaufen wäre, würde ich sie nicht kennen“, so Biedermann. Auch in der Weisestraße 56 wurden die Wohnungen und die Räumlichkeiten des Syndikat in einzelne Einheiten aufgeteilt, um sie dann als Eigentumswohnungen verkaufen zu können.
Nicht anders sieht es bei anderen Pears-Firmen aus: In Moabit kündigte die Juventus Properties reihenweise Ladengeschäften, dem „Heimwerk“-Laden in Alt-Moabit wurde von Longan Properties zum Jahresende gekündigt, ebenso dem Blumenladen Pusteblume in der Friedrichshainer Samariterstraße. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Erstes Nervenflattern
Biedermann hat aber auch eine Nachricht, die Freunden und Betreibern des Syndikats Hoffnung machen kann. Aufgrund der zunehmenden Öffentlichkeit um die Kneipen-Kündigung hat sich die Hausverwaltung bei ihm gemeldet. Bei einem Treffen einigte man sich darauf, „mögliche Lösungen zu prüfen“, auch wenn die Hausverwaltung deutlich gemacht habe, dass sie „nicht die Entscheidungsträger in der Sache sind“. In ein bis zwei Wochen will man sich noch mal zusammensetzen.
Das Syndikat will den Druck weiter hochhalten. 3.000 Unterschriften sind für den Erhalt der Kneipe bereits gesammelt, die Vernetzung mit den MieterInnen der anderen Pears-Häuser ist angelaufen. Das Kollektiv hat auch schon einen Brief an die Pears Group geschrieben und um ein Gespräch gebeten. Diese Woche Donnerstag soll eine erste Kundgebung vor dem Büro am Ku’damm stattfinden.
Aufmerksam geworden ist auch die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, die ein Volksbegehren anstrebt, das auf alle Immobilienunternehmen zielt, die mehr als 3.000 Wohnungen in der Stadt besitzen. „Wir kannten die Pears Group nicht, haben die uns aber jetzt notiert“, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher der Initiative.
Auf eine mögliche Enteignung ihrer Eigentümer kann das Syndikat aber nicht warten – für eine rettende Lösung bleiben nur noch wenige Wochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr