Linke Bewegungen in Deutschland: Heillos fragmentiert
Der Kapitalismus steckt in der Krise, und es ist Bundestagswahl. Es könnte die Zeit der Linken sein, doch dafür sind sie zu zerstritten.
FRANKFURT taz | Wäre es nicht zum Heulen, man müsste darüber lachen. Mitten in der größten Krise des „neoliberalen Kapitalismus“ könnten bei der kommenden Bundestagswahl die Parteien des „linken Spektrums“ die vereinten bürgerlichen Kräfte mühelos hinwegfegen – vorausgesetzt, dieses Spektrum wäre nicht so heillos fragmentiert, wie es nun einmal ist.
Nicht weil ein neoliberaler Hammer es zertrümmert hätte. Sondern weil sich die verschiedenen linken Bewegungen untereinander spinnefeind sind. Das Zänkische scheint so etwas wie die Erbkrankheit aller Linken zu sein.
Ihrer Behandlung hat sich das Institut Solidarische Moderne (ISM) verschrieben, 2010 unter anderen von der hessischen SPD-Linken Andrea Ypsilanti, dem Attac-Mitgründer Sven Giegold und der Linken-Politikerin Katja Kipping als „Fabrik“ für rot-rot-grünes Denken gegründet.
Die Patientin mag in ihrer Gesamtheit zersplittert sein, ergibt aber, zusammengelegt, doch ein schönes Bild. Deshalb gebraucht man am ISM gern die euphemistische Metapher von der „Mosaik-Linken“.
Am Wochenende lud das Institut im Studierendenhaus der Universität Frankfurt zu einer „Summer Factory“ mit vielen „Workshops“ zum Thema – und einer eröffnenden Podiumsdiskussion unter dem Motto „… ein Umbruch, der ansteht, aber nicht eintritt“.
Wer blockiert wen?
Alles andere als einträchtig nebeneinander saßen da der Politiker Benjamin Mikfeld für die SPD, der Soziologe Alex Demirovic für der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Gewerkschafterin Franziska Wiethold für Ver.di und der Journalist Tom Strohschneider, der ein halbes Jahr im Meinungsressort der taz arbeitete und inzwischen Chefredakteur von Neues Deutschland ist. Strohschneider dekonstruierte denn auch gleich zu Beginn eifrig das Motto der Diskussion: „Umbruch? Warum? Wann? Wer blockiert? Und warum steht er an?“
Immerhin war vom aktiven Herbeiführen des Umbruchs keine Rede, nur vom Abwarten und der Notwendigkeit, vorbereitet zu sein, wenn „es“ denn mal so weit sein sollte. Die wiederholte Frage in die Runde lautete denn auch: „Was tun?“ Unerwähnt blieb Lenin, der sich schon 1902 in seinem gleichnamigen Hauptwerk die gleiche Frage gestellt hatte. Damals wie heute galt das „System“ als morsch, die gesellschaftliche Atmosphäre als „stickig“ wie im „Vormärz“ (Demirovi).
Zitiert werden Negri und Žiźek, beschworen wird Adorno – und beklagt wird eine Abwesenheit „großer Erzählungen“ und entsprechender Slogans, wie Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ einer war. Auf einem der Workshops wurde später ein „Wir tanzen die Transformation“ entwickelt.
Geschmeidigkeit der Konservativen unterschätzt
Einstweilen brachte Mikfeld das Haupthindernis für einen gesellschaftlichen Umbruch schön auf den Punkt: „Wir haben die Geschmeidigkeit der Konservativen unterschätzt!“ Sobald der Druck „der Straße“ ein gewisses Maß erreiche, knickten die Regierenden ein – siehe Energiewende, siehe Mindestlohn.
Im Übrigen gebe es in diesem Land „rund 23 Millionen arbeitende Menschen“, die eher von individuellen Abstiegsängsten geplagt seien als von Fragen der gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Diskussionen zum „Postwachstum“ kämen dort nicht an.
Und solange Veränderung mit Verschlechterung assoziiert werde, solange könne von einem Wandel keine Rede sein. „Wandel“, meinte Strohschneider, „muss immer auch Selbstwandel sein.“
Was schwierig bleibt, solange sich jeder selbst der Nächste ist. Was leider auch auf dem Podium erkennbar wurde, auf dem sich die Vertreter der verschiedenen Linken bereits nach kurzer Zeit gegenseitig exkommunizierten.
Demirovi beharrte darauf, „kein pluralistischer Mensch“ zu sein. Mikfeld wurde wegen der Agenda 2010 gegrillt, Wiethold für die Rolle der Gewerkschaften damals. Und Strohschneider klärte die Frage, „ob Rot-Grün überhaupt als links“ zu bezeichnen sind, mit einem knappen: „Nö“.
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