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Lindner rudert beim Atomausstieg zurückFDP will nicht mitregieren

Auch mit neuer Führung kommt die FDP nicht zur Ruhe. Nun kritisiert Generalsekretär Christian Lindner den Atomausstieg - und demonstriert die Machtlosigkeit seiner Partei.

Rückzieher: Christian Lindner geht der Atomausstieg zu schnell. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Krise der FDP zeigt sich im Konjunktiv. Sie steckt voller "hätte", "würde" und "müsste". Die Partei seufzt angesichts der Steuern, die sie gern gesenkt hätte. Sie blickt auf die schönen Pläne für den Parteiumbau, die sie gern umsetzen würde. Und was müsste man alles bedenken beim hastigen Atomausstieg. Aber auf die FDP hört niemand mehr.

Die Partei regiert nicht, sondern mäkelt nur noch. Nun bedroht ihre Krise auch das neue FDP-Führungstrio. Das Dreigestirn aus Philipp Rösler, Christian Lindner und Daniel Bahr steckt wenige Wochen nach dem Sturz Guido Westerwelles in seiner ersten Bewährungsprobe.

Noch vor Kurzem einte die Mittdreißiger das Wichtigste, das es in der Politik gibt: gemeinsame Machtinteressen. Generalsekretär Lindner, der damalige Gesundheitsminister Rösler und dessen Staatssekretär Bahr arbeiteten daran, gemeinsam die Führung in der FDP zu übernehmen. Das haben sie geschafft. Rösler ist Parteichef und Wirtschaftsminister, Bahr Gesundheitsminister und Chef des mächtigsten FDP-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, Lindner weiterhin Generalsekretär und verantwortlich fürs künftige Parteiprogramm.

Lindner gesteht Schwäche der FDP indirekt ein

Doch mit dem Erreichen des gemeinsamen Ziels ändern sich die Interessen der drei. Rösler muss die Umfragewerte der Partei verbessern und zeigen, dass sie sich in der Regierung durchsetzen kann. Lindner muss die FDP behutsam, aber sichtbar auf mögliche Koalitionen mit SPD und Grünen vorbereiten. Und der neue Gesundheitsminister Bahr ist vollauf mit der Bewältigung der Ehec-Krise beschäftigt. Bekommen die drei ihre Aufgaben nicht in den Griff, wird die Talfahrt der Partei weitergehen.

Generalsekretär Lindner gesteht die FDP-Schwäche indirekt ein. Mit Blick auf drohende Klagen der Konzerne Vattenfall und RWE gegen die Abschaltung ihrer Atommeiler sagte er: "Wir haben davor gewarnt und hätten für dieses Risiko gerne Vorsorge getroffen." Merkel und Seehofer hätten gegen den Willen der FDP die stufenweise Abschaltung der neun jüngeren Meiler schon ab 2015 durchgesetzt. "Deshalb liegt die politische Verantwortung bei Merkel und Seehofer." Ganz so, als sei die FDP nur Zuschauerin der Regierung, nicht deren Teil.

Die Machtlosigkeit der FDP setzt sich beim neuen Parteichef und Wirtschaftsminister Rösler fort. Sein Nein zu einem konkreten Datum für den Atomausstieg: ignoriert. Die Forderung nach einem Atomkraftwerk als Energiereserve für Stoßzeiten: laut Experten technisch unmöglich. Selbst die Zuständigkeit für den jährlichen Fortschrittsbericht zur Energiewende: von Merkel kurzerhand dem CDU-Minister Norbert Röttgen zugeschlagen.

Schuldzuweisungen sollen Führung Luft verschaffen

Der Gesundheitsminister schließlich bewältigt die Ehec-Krise mehr schlecht als recht. Zwar präsentiert er sich als eifriger Aufklärer, der sich öffentlichkeitswirksam mit Gesichtsmaske und Schutzkleidung auf Intensivstationen wagt. Doch die Vielstimmigkeit im Zuständigkeitswirrwarr der Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern kann auch er nicht bändigen. Warnungen widersprechen einander, die Unsicherheit in der Bevölkerung wächst. Gesundheitsminister sind nie populär. Bahr könnte, geht es so weiter, ausgesprochen unpopulär werden.

Die Schuldzuweisung an die Union soll der FDP-Führung Luft verschaffen. Schreitet die Krise der Partei voran, werden aus den drei Verbündeten von gestern die Gegner von morgen. Entgegen ihren Bekundungen sind sie mit Leib und Seele Berufspolitiker. Sie wollen oben bleiben. Auch wenn es den Sturz eines Weggefährten bedeutete.

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10 Kommentare

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  • GS
    gut so

    @Happes und Markus Müller

     

    bei aller Freude über Merkel und Seehofer - die CDU vermeidet einen Parteitag um ihren U-turn absegnen zu lassen.

     

    Wohin nun mit all den CDU lern die nicht von gestern auf heute vom AKW Befürworter zum Abschalter mutiert sind? Denen bietet sich die FDP als letzter Ort an, an dem man dieses Thema noch diskutiert und es besteht Diskussionsbedarf. Insofern macht Lindner alles goldrichtig, denn das sind wahrscheinlich noch mehr als 18 Prozent !!!

     

    Übrigens: mehr habe ich auch in meinem ersten Kommentar nicht gesagt. Den Ausstieg selbst habe ich überhaupt nicht kommentiert, nur die fehlende Diskussion und die Reaktion der FDP. Lesen bildet!

  • H
    Hasso

    "Gebt ihm einen Lolly und wählt ihn in die Wüste!"

  • DP
    Daniel Preissler

    Vielleicht überrascht uns Frau Merkel ja und schafft nach der historischen Leistung als Frau ins Kanzleramt gekommen zu sein noch eine weitere ebensolche: Die Beerdigung der FDP. Sollte ihr das gelingen, muss ihre Kanzlerschaft wohl insgesamt neu bewertet werden.

     

    Die Hoffnung stirbt zuletzt - die FDP ganz sicher davor! d:-)

  • H
    Happes

    @ gut so:

     

    Vor den 18 Prozent kommen hoffentlich erst mal die 18 Promille für die FDP, und selbst das wären noch 17 zuviel.

     

    Im Übrigen haben "die Bürger" ja dank der sog. Medienmacht, die der Herr Brüderle nur zu gerne abgeschaltet hätte, in der Tagesschau seit Mitte März ja durchaus gesehen, was auf sie zukommt, wenn man NICHT so schnell wie möglich abschaltet.

     

    Wobei die Medienmacht da wirklich nur die Rolle des Mittlers gespielt hat. Wenn ein FDP-Kanzler die Macht dazu gehabt hätte, hätte er denn, um eine möglichst unvoreingenommene Diskussion zu ermöglichen, nach Fukushima die Tagesschau verboten und das Internet gesperrt?

     

    In Japan ist (und zwar gleich in 3- bis 4-facher Ausfertigung!) zum dritten Mal in 34 Jahren passiert, was laut AKW-Lobby nur alle 100.000 Jahre passieren kann, wenn überhaupt.

     

    Fukushima ist die "normative Kraft des Faktischen", und dass die Kanzlerin dieser Kraft nachgibt (bzw. den Anschein erweckt, ihr nachzugeben), ist ganz gewiss nicht ihr Verdienst. Ich bin schon jetzt gespannt, ob nicht vielleicht die SPD, wenn sie demnächst mal wieder bei einer "großen Koalition" mitmachen darf, nicht vielleicht doch ein paar Atomkraftwerke (aber nur ganz kleine!) behalten will. Überraschen würde mich das nicht. Ihr Problem, lieber "gut so", wäre damit natürlich nicht aus der Welt geschafft: die FDP wäre dann noch überflüssiger als sie es jetzt schon ist.

  • A
    abwähler

    Die FDP braucht Neuwahlen um aus der Verantwortung zu kommen.

    Mehr Netto von Brutto, Hotelsteuersenkung, Ärzte mehr Honorar, Kernkraftverlängerung statt abschalten, Krieg statt Nie wieder Krieg. Entwicklungshilfe gibt es nur wenn die Wirtschaft was davon hat...

    Banken werden nicht zu Verantwortung gezogen.

    3% sind genug.

    Dezentrale Energieversorgung statt Stromtrassen,

    Windkraft im Innern nicht aus See, Solarstrom für jedermann nicht nur für wenige

    Atomkraftwerke abschalten alle Jahre 2, statt 6 2021-2022

  • FI
    find ich gut

    Neuwahlen? Au ja! Liebe FDP, Ihr habt leider so gar keine Karten mehr auf der Hand, und die Trümpfe - wenn man sie denn so nennen möchte - liegen auf dem Tisch: Rösler, Bahr, Brüderle, Lindner ...

     

    Brrrr, substanzlose Machtgier ohne Perspektive auf inhaltliche Gestaltung. Verrat an der Idee demokratischer Ordnung.

     

    Die Antwort geben Wählerin + Wähler.

  • A
    apo2011

    1,8 % sind echt bei der nächsten Wahl noch von der FDP zu schaffen, egal ob sie sich weiter der Atomenergie anbiedern oder sich den Wendehälsen der CDU fügen, es geht verdient in den Keller! Wer die Leben und Überleben im Falle Atomkraft lediglich wirtschaftlichen Interessen einiger Konzerne unterordnet wird nun nach Fukishima endlich vom Volk abgewählt!

  • MM
    Markus Müller

    Ja sicher die FDP sorgt für Aufklärung und Gerechtigkeit.Wow!!!

    Wenn sich hier nicht der Herr Lindner unter Pseudonym

    zu Wort gemeldet hat?

    Einem "Normalverbraucher" würde ich einen solchen Kommentar zur FDP wirklich nicht unterstellen wollen.

  • L
    liberal

    die fdp will neuwahlen? *unschuldig schau*

  • GS
    gut so

    Recht hat er !!! In Rekordzeit wurde der Atomausstieg durchgeprügelt damit endlich Ruhe ist mit diesem Thema. Dabei wäre eine eingehende Diskussion wichtig gewesen damit die Bürger einverstanden sind mit dem was auf sie zukommt. In der CDU rumort es gewaltig, und nicht nur dort. Die FDP kann der mit Kanzlerinnen- und Medienmacht verhinderten Diskussion eine Plattform geben. Da rücken die 18% schnell wieder in erreichbare Nähe.