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Kommentar EnergiewendeHektik und Herrschaft

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Eile kann eine Herrschaftsmethode sein. Wer seine Gegner neutralisieren will, nimmt ihnen die Zeit zur Reaktion. Das kann Merkel. Doch bei der Energiewende ist es falsch.

V or vier Monaten hätte niemand für möglich gehalten, dass Deutschland als erstes Land der Welt den kompletten Atomausstieg beschließt. Diese Jahrhundertentscheidung beinhaltet auch gigantische ökonomische Chancen.

Als Marktführer für erneuerbare Energien können wir künftig einen Teil unseres Wohlstandes sichern. Deshalb sollten nicht nur die Energiekonzerne, sondern auch die Grünen über ihren Schatten springen und dem Atomkonsens zustimmen.

Das muss aber nicht heißen, dass die Opposition im Bundestag jetzt innerhalb kürzester Zeit für alle acht Gesetze die Hände hebt, die die Regierung vorschlägt. In Planung ist unter anderem ein Beschleunigungsgesetz für den Bau neuer Stromnetze.

Bild: taz

HANNES KOCH ist Autor der taz.

Wenn den Bürgern aber die Windparks, Solarkraftwerke und Hochspannungsleitungen im Rekordtempo vor die Nase gesetzt werden, ist der Protest gegen die Energiewende programmiert. Statt Eile und Beschleunigung wäre nicht weniger, sondern mehr Bürgerbeteiligung notwendig.

Die Regierung muss Ländern, Gemeinden und Einwohnern einen Vorschlag vorlegen, wo und wie die neue Energieinfrastruktur entstehen soll. Erst nach mehreren Beratungsschleifen, bei denen die Einwände ernstgenommen werden, dürfen die Baumaßnahmen beginnen.

Das fordern nicht nur Bürgerinitiativ-Spinner, sondern auch Regierungsberater wie der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen. Die Professoren wissen: Eile kann eine Herrschaftsmethode sein. Wer seine Gegner neutralisieren will, nimmt ihnen die Zeit zur Reaktion. Bevor sie sich sortiert haben, hat die Regierung die Zukunft schon strukturiert.

Auf solche Methoden versteht Angela Merkel sich ziemlich gut. Die Abgeordneten des Bundestages und die Bürger aber sollten sagen: Halt! Auf ein halbes Jahr mehr oder weniger Beratungszeit kommt es jetzt nicht an.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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3 Kommentare

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  • E
    EE-Befürworter

    Herr Koch, woraus schliessen Sie, dass die Energiekonzerne bereits über Ihren Schatten gesprungen sind? Meiner Meinung nach ist das genaue Gegenteil der Fall! Als Kommentator energiepolitischer Themen sollte Ihnen doch eigentlich klar sein, das in der Energiepolitik zur Zeit ein fundamentaler Systemkonflikt ausgetragen wird:

    Erneuerbare Energien (EE) sind von Ihrem Charakter her dezentral und der "Brennstoff" steht kostenlos zur Verfügung. In EE können normale Bürger, Stadtwerke oder kleine Firmen investieren. Die Nutzung der EE lässt sich kaum monopolisieren. Beides widerspricht diametral dem Geschäftsmodell von RWE und Co. Daher haben diese Herren trotz anders lautender Lippenbekenntnis keinerlei Interesse am Ausbau der EE. Im Gegenteil - sie wollen diesen so lange wie möglich verzögern, um neue fossile Großkraftwerke bauen und nutzen zu können und damit die bestehenden Monopolstrukturen weiter aufrecht zu erhalten. Da sie sich das aber nach Fukushima in der Öffentlichkeit nicht mehr laut zu sagen trauen, versuchen sie es auf einem anderen Weg:

    Sie wollen die Verfügungsgewalt über den weiteren Ausbau der EE mit Hilfe Ihrer Lakaien von der schwarz-gelben Regierungsbank erlangen. Dank Ihres Erfüllungsgehilfen Röttgen sind sie auf dem besten Weg dahin. Nach der vorliegenden Novelle des Energie-Einspeise-Gesetzes (EEG 2012) - das nebenbei gerade durch das Parlament gepeitscht wird - werden fast alle Onshore-Investitionen - nicht nur in Windenergie - unrentabel gemacht und massiv behindert. Die frei werdenden Gelder werden den Energiekonzernen für Investitionen in deutlich teuerere Offshore Windparks zugeschanzt. Das gleichzeitig eine massive Medienkampagne für den "dringend notwendigen" Ausbau der Stromnetze gefahren wird, passt ins Bild. Bei einem weiteren dezentralen Ausbau der EE wäre dieser Ausbau nicht notwendig. Die Konzerne werden die EEG-Mittel dankend mitnehmen und gleichzeitig Ihre Offshore-Wind-Projekte verzögern. Man macht sich ja nicht selber Konkurrenz!

    Ein weiterer dezentraler Ausbau der EE würde Schritt für Schritt die Monopole der großen Energieerzeuger und Anbieter auflösen und die Energieerzeugung damit in den Besitz der Bürger überführen. Das werden die Energiemonopolisten bis auf's Blut bekämpfen, da sie die einzigen Verlierer einer solchen echten Energiewende wären.

     

    Genau hier verläuft die neue Frontlinie, die bisher - auch von der Anti-Atom-Bewegung - kaum wahr genommen wurde. Das Nachgeplänkel, ob die Grünen nun den Ausstiegsgesetzen zustimmen oder ob die letzten Atomkraftwerke ein Jahr früher oder später vom Netz gehen dienen nur dazu, den eigentlichen System-Konflikt zu verdecken und davon abzulenken, dass mit der EEG Novelle klammheimlich vollendete Tatsachen geschaffen werden. Sollte dies den Energie-Monopolisten gelingen, so ist der hart erkämpfte Atomausstieg nur ein Phyrrussieg, da damit keine echte Energiewende verbunden wäre!

  • K
    Kaffeefilter

    Nun, jetzt stehen wir wieder vor der Chance, aus der Brückentechnologie eine Abschalttechnologie zu machen, sofern nicht nach den nächsten Wahlen wieder die Amnesie einiger Politiker einsetzen wird.

     

    Trotzdem müssen die Politiker aufpassen. Die vier Stromkonzerne werden nicht leicht ihre Melkkühe ohne Gegenleistung hergeben. Sie werden sich den Netzausbau durch den Staat teuer bezahlen lassen und sicherlich ihre Tentakel in Richtung der erneuerbaren Energien ausstrecken, um ja keinen Zentimeter ihres Quasi-Monopols abzutreten. Die Regierung wäre daher gut bedient, bei Subventionsvorhaben zu schauen, dass endlich Wettbewerb in den Markt kommt, sonst haben wir zwar irgendwann ausschließlich sauberen Strom, aber weiterhin die gleichen Player mit den altbekannten Auswirkungen auf die Verbraucher.

     

    Jetzt haben wir die Chance, von den alten Technologien, die RWE & Co. die aktuellen Marktpositionen verschafften, Abschied zu nehmen, und auf neue Technologien mit *neuen* Anbietern und einem innovationsfördernden Wettbewerb zu setzen. Hier sollte sich Deutschland platzieren und es über die nächsten Legislaturperioden als partei- und nicht lobby-übergreifende Herausforderung anerkennen.

  • JV
    Jenseits von Böse

    Erst war Merkels Eierei beim angeblichen Atomausstieg "historisch", nun ist es gar eine "Jahrhundertentscheidung". Leute, was raucht ihr da neuerdings in der Rudi-Dutschke-Straße?

     

    Das Zeugs muss euch schwer benebelt haben; anders kann ich mir die Empfehlung an die Grünen nicht erklären, "über ihren Schatten springen" zu sollen. Hallo? Dieser Schatten sind wir!

     

    Die Grünen dürfen eben nicht mitmachen, wenn uns von den Regierungsstümpern die Energiewende geklaut wird. Der geplante Umbau schadet der dezentralen Energieerzeugung, den Konzernen wird die Kohle rüber geschoben.

     

    Die Empfehlung, halt bei einigen der insgesamt acht Gesetze die Finger unten zu lassen, ist dumme Taktiererei. Die Grünen haben unseren Ausstieg vor elf Jahren gemacht, einen klugen Plan zur Förderung der Erneuerbaren inklusive. Das ist unser Verdienst, auf dem die Schwarz-Gelben munter herumgetrampelt sind: Schon vergessen?

     

    Wenn die Dilettanten der jetzigen Regierungstruppe erst jetzt vom Baum der Erkenntnis genascht haben, sollten wir ihnen höchstens beibringen, dass wir den Apfel bereits einmal gegessen haben, an dessen Strunk sie jetzt knabbern.

     

    Mich schüttelt es bei dieser wenig appetitlichen Vorstellung. Aber bitte, wenn's ihnen schmeckt, was wir bereits verdaut haben...