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Lieferkette und Lidl-RegalDer frühe Vogel findet noch ein Schokocroissant

Wie immer begann es im Internet. Und nun ist die Frage: Wer trägt alles dazu bei, dass es morgens (kein) „Schoko Crosong“ beim Discounter gibt?

Wir hängen am Croissant – und an der Lieferkette Foto: Johannes Eisele/dpa

W ie geht es eigentlich dem Lieferkettensorgfaltspflicht­gesetz? Diese Frage stellte sich in letzter Zeit wohl kaum jemand. Dabei spricht Tiktok gerade über nichts anderes als über Zulieferer, Lagerräume und Dienstleister eines ganz besonderen Guts: des „Schoko Crosongs“.

Wie immer begann alles im Internet mit Drama. Der Tatort: die Backtheke eines beliebigen Lidls. Das Opfer: der Kunde. Die gestohlene Ware: ein Schokocroissant. Anfang Juni regte sich ein User über fehlende Schokocroissants am Morgen im Supermarkt auf. „Der frühe Vogel frisst den Wurm, ihr gierigen verfressenen Nougat Schoko Crosong inhalierer….“, so stand es über der Aufnahme der krümeligen, sonst leeren Etage. Warum es viral ging? Vielleicht weil es voller Beleidigungen steckte, vielleicht weil es die geckige Bemerkung „Schoko Crosong inhalierer….“ beinhaltete?

Oder fehlt Deutschland wirklich das Schokocroissant am Morgen? Viele Leute antworteten, sprachen ihr Beileid aus, doch manche meldeten sich mit ihrem eigenen Tiktok zurück, denn ob morgens früh „Schoko Crosongs“ im Lidl waren oder eben nicht, das verantworten anscheinend viele Menschen.

„Der frühe Vogel backt die Schoko Crossongs“, antwortete wohl ein Lidl-Angestellter und filmte den Backofen. „Der frühe Vogel baut die Öfen für eure Schoko Croissants“, ein anderer. Und bis dahin ergab ja alles noch Sinn, doch wer sich mit Lieferketten beschäftigt, weiß, wie unübersichtlich das werden kann. Wer alles am Ende auf Tiktok Teil des Backwarenfalls sein wollte, das wurde immer absurder: „Wir bauen die Tiefbohrgeräte damit euer scheiß Lidl ein Fundament hat“ – „Der frühe Vogel stellt das Glas für die Vitrinen her..“

Am anderen Ende der Lieferkette

Die alte Bundesregierung wollte Schokocroissantverkäufer und alle anderen Unternehmen ab einer bestimmten Größe dazu verpflichten, nachweisen zu können, mit wem sie für ihre Produkte zusammenarbeiten und ob bestimmte Umwelt- und Menschenrechtsstrandards eingehalten werden. Es war der Versuch, Unternehmen dafür zur Verantwortung zu ziehen, was ihr Geschäftsmodell am anderen Ende der Lieferkette anrichtet. Das aktuelle Gesetz gilt eigentlich seit dem Januar 2024 für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten.

Aber nicht alles ist „made in Germany“, dachte sich die EU und wollte schlauerweise ein eigenes europäisches Lieferkettengesetz durchsetzen. Doch damit lässt sie sich nun Zeit, das Gesetz soll erst Mitte 2028 greifen, und bis dahin ist auch das deutsche ausgesetzt, denn ohne die Nachbarn geht nichts.

International ist mittlerweile auch das „Schoko Crosong“: „Der frühe Vogel checkt den Vegetationsindex über Ghana, damit die Kakaobohnen wächst und ihr euren hs Schoko Croissant in 3 sekunden inhalieren könnt.“ Bei gutem Gewissen? Das bleibt unklar. Denn die EU weicht ihre Regeln immer weiter auf. Die Firmen sollen nun doch nur noch für ihre direkten, also für weniger Lieferanten verantwortlich sein, und ihre Haftung ist stärker beschränkt. Auch soll es nur noch Läden mit mindestens 5.000 Beschäftigte und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro betreffen. Damit ist auch der Lidl ums Eck raus.

Bundeskanzler Friedrich Merz hält eh nichts von all den Richtlinien und Gesetzen. Und will nach dem deutschen auch das europäische Lieferkettengesetz kippen. Die Zukunft der Lieferkettenüberwachung ist damit mindestens so chaotisch wie der Beef auf Tiktok.

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Anastasia Zejneli
Redakteurin
Jahrgang 1999, studierte Wirtschaftspolitischen Journalismus in Dortmund und gründete ein Kulturmagazin für das Ruhrgebiet. War Taz-Volontärin und arbeitet aktuell im Europateam. Schreibt in der Kolumne "Economy, bitch" über Popkultur und Wirtschaft.
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1 Kommentar

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  • "Der Tagesmindestlohn in Ghana beträgt derzeit 18,15 Ghana-Cedi. Das entspricht etwa 1,10 Euro. Er reicht kaum, um den Lebensbedarf zu decken und ist seit 2020 real jedes Jahr gesunken."



    www.gtai.de/de/tra...-gehaelter-1799188



    Der Monatsmindestlohn in der Elfenbeinküste, aus der 70% unseres Kakos kommen, beträgt seit zwei Jahren 75.000 CFA, das sind 114,33 EUR, also 3,81 EUR am Tag.



    Trotzdem wäre kein westafrikanischen Kakaobauer froh, wenn Lidl in Zukunft auf künstlich aus Malz produzierten Ersatzkakao umstellt.



    www.ardmediathek.d...ItZWE1OTc2NmEzODcz



    Vielmehr wünschen Sie sich angesichts der Ernteeinbußen von 30% durch den Klimawandel günstige Kredite für Tröpfchenbewässerung.



    Das zeigt deutlich die Grenzen der Lieferkettenregulierung auf.