Lieferdienst behindert Betriebsrat: Ganz Flink ausgeliefert
Beim Lieferdienst Flink rumort es: Die Fahrer*innen würden gerne einen Betriebsrat gründen. Doch sie sehen sich Repressionen ausgesetzt.
Gut also für die Rendite, zumindest theoretisch. Denn Marktexpert*innen gehen davon aus, dass Profit in der Branche überhaupt nicht möglich ist. Zumindest schreibt bislang keiner der Lebensmittel-Lieferdienste schwarze Zahlen. Dafür wird umso mehr Kapital verbrannt. Bei Flink, das Anfang des Monats bereits in Österreich Insolvenz anmelden musste, hofft man dennoch auf satte Gewinne: Das Geschäftsmodell sei grundsätzlich profitabel, aber stehe eben erst am Anfang, sagt Radke. Mittlerweile seien bei dem 2020 in Berlin gegründeten Unternehmen bundesweit 20 Prozent der Standorte profitabel – insgesamt bleibt es also ein Minusgeschäft.
Das reicht natürlich nicht, und frisches Risikokapital ist krisenbedingt schwer zu bekommen, also setzen die Unternehmen auf einen harten Sparkurs. Das trifft vor allem die Arbeiter*innen, die die Gewinne einfahren sollen. So wird bei Getir nach der Übernahme ein massiver Stellenabbau erwartet. Auch bei Flink rumort es in der Belegschaft, der Streit über die Gründung eines Betriebsrats beschäftigt seit Monaten die Berliner Gerichte.
Raúl, der seinen Nachnamen aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht in der Zeitung lesen will, arbeitet seit anderthalb Jahren für Flink. „Am Anfang waren die Arbeitsbedingungen noch ganz gut, aber in letzter Zeit hat sich alles total verändert“, sagt er der taz. So sei etwa die Qualität der Fahrräder merklich schlechter geworden, wodurch die Zahl der Unfälle steige. Teilweise hätten die E-Bikes kein Licht, die Haftung der Reifen sei so schlecht, dass er bei Nässe schon zweimal einen Unfall hatte. „Ich bin schon ohne Bremsen gefahren – entweder man fährt so oder gar nicht.“
Wer jedoch nicht fährt, wird bestraft. So ist laut Flink-Sprecher Radke bei einer No-Show, also dem Nichterscheinen bei einem Auftrag, eine Strafzahlung fällig, zusätzlich gibt es noch eine Abmahnung. Also fahren die Rider, wie sich die Kurier*innen nennen, trotz mangelhaften Equipments, um ihren Job nicht zu gefährden. Radke räumt gegenüber der taz ein, dass Mängel bei einigen Fabrikaten durchaus vorkommen könnten, diese würden jedoch in der Regel sofort ausgetauscht. „Dafür brauchen wir aber das Feedback der Fahrer.“
Um sich gegen mangelhafte Arbeitsausrüstung, aber auch die in ihren Augen schlechten Arbeitsbedingungen zu wehren, wollen einige der rund 1.500 Berliner Rider einen Betriebsrat gründen. Auch Raúl setzt sich für die Einsetzung einer Interessenvertretung ein. „Viele der Arbeiter*innen kommen etwa aus Indien und kennen das deutsche Arbeitsrecht nicht“, sagt er. So würden bei Flink immer mehr Menschen eingestellt als benötigt, um eine Reserve zu haben.
Dass Rider, die deshalb nicht auf ihre vertraglich vereinbarte Stundenanzahl kommen, trotzdem ein Recht auf den vollen Lohn haben, wissen jedoch nicht alle – was Flink systematisch ausnutze. „Wir wollen einen Betriebsrat gründen, damit die Arbeiter*innen über ihre Rechte aufgeklärt werden und sie von Flink respektiert werden“, sagt Raúl.
Für sein Engagement werde er indes massiv unter Druck gesetzt, erzählt der Rider: „Bevor ich mich für den Betriebsrat eingesetzt habe, hatte ich eine höhere Position, das Management hat mich geschätzt. Danach wurde ich degradiert und bin zum Ziel geworden.“
19 Abmahnungen habe er in den vergangenen Wochen erhalten, sein Supervisor werde regelmäßig nach ihm ausgefragt, und seine Kolleg*innen würden sich aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht mehr trauen, mit ihm zu reden. „Ich fühle mich sehr isoliert“, sagt Raúl. Nicht alle halten dem Druck stand. Einige haben sich einen neuen Job gesucht oder wurden gekündigt. Von ursprünglich sieben gewählten Mitgliedern des Wahlvorstands sind nur noch drei übrig – das gesetzliche Minimum.
Flink-Rider Raúl
Flink-Sprecher Radke bestätigt, dass es in jüngster Zeit „einiges an Abmahnungen und Kündigungen“ gegeben hat. Diese hätten jedoch alle „arbeitsrechtliche Gründe“.
„Flink hat ein Demokratieproblem“, sagt Martin Bechert der taz. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt die Initiator*innen des Betriebsrats und steht wegen seiner kritischen Äußerungen selbst im Fokus vom Flinks-Anwälteteam. Den Mund verbieten lässt er sich durch die Abmahnungen jedoch nicht: „Skrupellos“ nennt er das Vorgehen des Lieferdienstes gegen dessen Mitarbeiter*innen, es herrsche „ein System der Angst“. Das Unternehmen wolle eine Interessenvertretung mit allen Mitteln verhindern, ist sich der erfahrene Anwalt sicher.
Flink: kein „Spitzelsystem“
Flink selbst gibt an, nichts gegen die Gründung eines Betriebsrats zu haben, im Gegenteil. Bis es so weit ist, habe man ein „Ops Committee“ eingerichtet, das „Feedback“ der Angestellten an das Management weitergeben soll. Den Vorwurf Becherts, dass es sich dabei um ein „Spitzelsystem“ handle, weist Radke entschieden von sich.
Es gibt jedoch die Aussage eines Mitarbeiters des Ops Committees, die der taz vorliegt. Darin heißt es, es sei seine Aufgabe im Ops Committee, „Mitarbeiter zu suchen, die ihren Mund aufmachen, um diese dem Regionalleiter zu melden, der sie dann schnellstmöglich entfernt“. Konfrontiert mit dieser Aussage sagt der Flink-Sprecher: „Es kann passieren, dass Leute ihre Rolle so interpretieren.“ Vom Unternehmen sei dies allerdings nicht gewünscht.
Gegen den gewählten Wahlvorstand, der die Betriebsratswahlen organisieren soll, ging Flink gerichtlich vor, woraufhin sich dieser Mitte November auflöste. „Wir sind einfache Arbeiter*innen, die Mindestlohn bekommen, es ist unmöglich für uns, ein Wettrüsten gegen ein Unternehmen zu gewinnen, das 5 Milliarden Euro wert ist“, hieß es zur Begründung.
Raúl und seine beiden Kollegen haben nun beim Arbeitsgericht beantragt, dass es einen Wahlvorstand einsetzt. Sollte es dazu kommen, will Flink gerichtlich dagegen vorgehen. „Sie wollen, dass wir die Geduld verlieren und aufgeben“, sagt Raúl. „Aber wir geben nicht auf. Wir haben das Recht auf unserer Seite.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist