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Liebknecht-Luxemburg-Demo zu DDR-ZeitenHöhepunkte kindlicher Langeweile

Tausende werden am Sonntag in Berlin wieder zur Gedenkstätte der Sozialisten pilgern – freiwillig. In der DDR war das nur ein nerviger Pflichttermin.

Vorwärts, und nicht vergessen (bei den richtigen Leuten „Hallo“ zu sagen): LL-Demo im Januar 1988 in Ostberlin Foto: picture-alliance/dpa/ZB

Nein, ich war kein guter Nachwuchskommunist im Ostberlin der 80er Jahre. Ich mochte weder das blaue Halstuch der DDR-Jungpioniere noch später das rote der Thälmannpioniere. Vorschriftsmäßig binden konnte ich die Kunstfaserdinger ohnehin nicht. Aber vielleicht wollte ich es auch nicht können.

Soweit ich mich erinnere, ließ mich die ganze Arbeiter-und-Bauern-Staat-Folklore als Kind herzlich kalt. Russisch-AG, Mathe-AG: Ständig wurde ich von der Klassenleiterin im Rahmen der Pionierpädagogik zu langweiligen außerschulischen Arbeitsgemeinschaften ins nahe Pionierhaus „German Titow“ in Lichtenberg zwangsverpflichtet – um dann doch nicht mehr hinzugehen.

Einer der Höhepunkte kindlicher Langeweile waren die wiederkehrenden Festumzüge und sonstigen Zeitverschwendungen der Staats- und Parteiführung, zu der wir in Pioniergruppenstärke anzutanzen hatten oder von den Eltern mitgeschleppt wurden. Zur letzteren Nichtbespaßung gehörte Mitte der 80er einmal auch das Gedenken an die Anfang 1919 ermordeten „Arbeiterführer“ Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Über 100.000 Menschen nahmen jedes Jahr am zweiten Sonntag im Januar an der minutiös organisierten Demonstration vom Frankfurter Tor zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde teil, vorneweg SED-Chef Erich Honecker und die anderen realsozialistischen Parteigreise. Auch meine Mutter hatte sich regelmäßig im hintendrein trottenden Demonstrationszug blicken zu lassen. Ich musste dankbarerweise nur das eine Mal mit.

Möglichst schnell die Biege machen

Ob das neunjährige Kind an ihrer Seite gequengelt hat, weiß meine Mutter nicht mehr. Nur, dass es kalt war. Und dass das mit dem Blickenlassen wörtlich zu nehmen war. Wie bei der alljährlichen Tschingderassabum-Großdemonstration am 1. Mai zu Ehren von Erich Honecker ging es nach dem Bericht meiner Mutter auch beim drögen Massengelatsche zu Ehren von Karl und Rosa im Januar vor allem um das Blickenlassen.

„Wir mussten nur gesehen werden von den wichtigen Verantwortlichen aus meinem Betriebsteil. ‚Hallo, Herr Soundso!‘ Und dann haben wir einfach die Biege gemacht“, erinnert sich meine Mutter. Die Gedenkstätte wurde von uns so nie erreicht und ich durfte wieder auf meinen Lieblingsplatz: vor den Fernseher.

Später setzte ich auf Druck der Klassenleitung (und weil es sonst niemand machen wollte) zwar doch noch zaghaft zu einer Musterkarriere im sozialistischen Kollektiv an. Erst war ich Wandzeitungsredakteur meiner Pioniergruppe, dann Agitator. Allerdings war das genauso rasch wieder vorbei, weil die DDR zusammenbrach und der Laden dichtgemacht wurde. Ich habe es nicht bedauert.

Auch die diesjährige Luxemburg-Liebknecht-Demonstration startet am Sonntag, 12. Januar, um 10 Uhr am U-Bahnhof Frankfurter Tor.

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2 Kommentare

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  • Das habe ich ähnlich erlebt. Wir mußten uns bei unserer Lehrerin melden und dann hat jeder versucht sich so unauffällig wie möglich zu verdrücken. Und wehe jemand hat sein Halstuch bzw. später sein Blauhemd nicht angezogen, dann wurde einem vorgeworfen man wäre gegen den Frieden und mußte, wenn es schlecht lief., eine Wandzeitung gestalten.

  • Woran wird das eigentlich heute noch gedacht? An die verstorbenen LL oder die mehr oder weniger liebgewonnen und vermissten Traditionen eines untergegangenen Staates und deren Parteiüberbleibsel, welches jetzt wohl endgültig aus dem Bundestag fliegen wird.