Liebeserklärung an den Schnurrbart: Respekt für den Balken
Schnurrbart, Schnorres, Moustache – das Haar auf der Oberlippe hat viele Namen und ist weit mehr als Deko. Unser Autor trägt es aus Überzeugung.
Es war eine der ersten Stellen an meinem Körper, an der Haare wuchsen. Zuerst unscheinbar dünn, dann Woche für Woche, Monat für Monat, stärker, kräftiger werdend, und sich schließlich als zarter Flaum über meiner Oberlippe äußernd: ein Schnurrbart. Die Härchen, sie wurden dichter, wuchsen zusammen und irgendwann, ja, da glänzten sie im Sonnenlicht des Pausenhofes, wo ich genüsslich in meine Butterbrezel biss. „Du hast einen Schnauzer“, brüllte ein Mädchen plötzlich und alle um mich herum lachten sich schlapp.
Heute verfallen sie ihm. Sowohl Frauen als auch Männer, jeglichen Alters und jeglicher Couleur. Sie sehen ihn, unter meiner Nase, borstig stark, Wind, Schweiß und Küssen trotzend, beinahe unzerstörbar und schwarz wie die Nacht, die sich um meine kahlen Wangen schmiegt: mein Schnorres, meine Bürste, mein Moustache.
Mal ist er auf fünf Millimeter gestutzt, mal hängt er über der Oberlippe wie ein Vorhang, den es zu öffnen gilt. Mal steht er allein für sich wie ein einziger Hügel in einem sonst flachen Park, mal setzt er einen Akzent neben kleinen Stoppeln wie ein perfekter Rosenstrauch über Tulpen im Frühling.
Der Oberlippenbart hat eine lange Geschichte. Er wurde schon Jahrzehnte vor meiner Zeit von historischen Persönlichkeiten getragen, darunter finden sich Diktatoren, Kaiser und Künstler. Wie etwa Salvador Dalí, der zum Hauptvertreter des Surrealismus zählt und mit seinem spitz nach links und rechts gezwirbeltem Schnurrbart in den sechziger Jahren ein ikonisches Markenzeichen setzte.
Der Schnauzer ist politisch
Oder der Schauspieler Tom Selleck in den 80ern, bekannt als Privatdetektiv Magnum auf Hawaii, der dieser wunderbaren Gesichtsfrisur in Kombination mit offenem Hemd und wehendem Brusthaar Sexiness verlieh, und damit den Begriff des Pornobalkens mitprägte.
Unter Türken ist der Schnauzer Ausdruck von Stolz und Männlichkeit. Er kann sogar Auskunft über die politische Gesinnung geben: Bedeckt der haarige Balken die Oberlippe, gehört der Bartträger dem linken Lager an. Trägt er ihn sorgfältig gestutzt, so ist er Konservativen, Rechten zuzuordnen. Bei strenggläubigen Islamisten wuchert das Gesichtshaar in Form eines Vollbarts.
In der Türkei der achtziger Jahre, also zu den Zeiten, als Putschgeneräle das Sagen hatten, sind alle Schnurrbartträger, egal welcher Gesinnung, von den Universitäten geflogen. Der ersten und bisher einzigen Premierministerin der Türkei, Tansu Çiller, war die Gesichtsbehaarung in den Neunzigern so zuwider, dass sie von allen Abgeordneten ihrer Partei DYP eine Kahlrasur verlangt haben soll. Staatspräsident Erdoğan hingegen scheint seinen AKP-Anhängern einen Schnauz wie den eigenen geradezu aufzudrängen.
Was in der Türkei politisch aufgeladen ist, ist in Europa modisches Statement. Unter Hipstern dominierte im vergangenen Jahrzehnt der Bart. Darunter war der Moustache prominent vertreten. Auch Johannes, Andreas oder Lukas fanden in dieser Zeit ihre Liebe zum Haar zwischen Nase und Oberlippe, gerne in Kombination mit Dreitagebart.
Es war beinahe amüsant, wie sehr die ehemalige Abfälligkeit und der Ekel über meinen Gesichtsbewuchs nun zu Anerkennung und Bewunderung führte, ja, manchmal sogar in Verehrung umschlug. Ich wurde nach Tipps für einen volleren Bartwuchs gefragt. Wie man ihn zum Glänzen bringe, fragte mich ein Bartgenosse. Oder was getan werden müsse, um das Wachstum der Gesichtsbehaarung zu beschleunigen? Manch einer wünschte sich einen Schnorres wie den meinen so sehr, dass er sich Kopfhaar auf die kahlen Stellen in der Nähe des Mundes transplantieren ließ.
Kompetent und gebildet
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dabei bevorzugte ich in meiner Jugend noch den Kahlschlag. Mein Vater zeigte mir, was ich bei einer Rasur zu beachten und wie ich meine Gesichtshaut zu pflegen hatte. Er selbst hingegen trug das Haar auf seiner Oberlippe mit Stolz, unabhängig von Trend und politischer Gesinnung.
Ich erinnere mich noch gut an einen Abend, an dem mein Vater meine Brüder und mich ins Wohnzimmer zitierte, weil wir irgendwas angestellt hatten. Dort saß er am Esstisch und sein Bart zuckte im Rhythmus seiner Wutrede. Seither nennen meine Brüder und ich diese herrschaftlichen Borsten Respektbalken.
Seit vielen Jahren trage ich den Respektbalken nun selbst. Ich hege und pflege ihn, trage ihn mal kürzer, mal länger. Er verleiht mir Anziehung, wie sie mir kein Kleidungsstück der Welt geben kann; ich bekomme Komplimente für ihn, wie schön er doch sei, und dass er beim Küssen gar nicht so kratze wie der unmögliche Dreitagebart.
Laut einer Studie wirkt ein Bartträger unter Glattrasierten attraktiver als seine Konkurrenz. Eine andere Untersuchung anhand einer Analyse von Profilen auf LinkedIn zeigt, dass Männer mit Bart im Gegensatz zu Bartlosen besonders kompetent und gebildet wirken. Dabei ist für mich der Oberlippenbart die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.
Für viele Queers war das vermutlich schon lange klar. Nach den Stonewall Riots war der Schnurrbart ein Mustwear unter homosexuellen Männern. Dazu haben sicher auch die legendären Werke des Künstlers Tom of Finland beigetragen, die die Homoerotik mit Zeichnungen von Schnauzbart tragenden Muskelpaketen revolutionierten.
Das Hipstertum mag mittlerweile vorüber sein, doch der Schnauzer wird bleiben. Meiner auf jeden Fall. Erst neulich stand ich an der U-Bahn-Haltestelle, da lief ein Mann, der selbst einen Moustache trug, auf mich zu. „Schönen Schnauzbart hast du da“, rief er. „Danke sehr“, sagte ich und zwirbelte mit Freude an meinem Respektbalken, „ich weiß.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss