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Lieber nicht genau hinsehen

Die internationale Gemeinschaft erklärt den Kongo heute für befriedet. Doch dürfte die Freude nicht lange andauern: Keiner der Konflikte, die zum Krieg führten, ist gelöst

Im Kongo werden nur 3.000 Blauhelme stationiert, aber im viel kleineren Sierra Leone gleich 20.000

Heute ist für die UNO ein großer Tag. Sie wird bestätigen, dass in der Demokratischen Republik Kongo wieder Frieden herrscht – weil sich alle Armeen 15 Kilometer von der Frontlinie zurückgezogen haben, die sich 2.000 Kilometer quer durchs Land zieht. 376 UN-Offiziere, etwa einer auf fünf Kilometer, sollen an der Front darüber wachen, dass der blutigste Krieg der Welt nicht wieder ausbricht, der inzwischen 2,5 Millionen Opfer gefordert hat.

Wen kümmert es, dass dereinst im Kongo kümmerliche 3.000 Blauhelme reichen sollen, meist fernab der Front, während UN-Generalsekretär Kofi Annan jüngst für das 33-mal kleinere Sierra Leone 20.000 Soldaten für das notwendige Minimum hielt? Oder dass Annans jüngster Kongo-Bericht feststellt, mit Ausnahme einer Splittergruppe habe „keine der Parteien der UN-Mission detaillierte Informationen über ihre derzeitigen Standorte, Truppenstärken und Ausrüstungen geliefert“? Oder dass fast täglich tödliche Angriffe gemeldet werden, die allerdings nicht zwischen Regierungstruppen und Rebellen an der Front stattfinden, sondern von Milizen an Zivilisten verübt werden, meist im Osten des Landes nahe den Grenzen zu Ruanda und Burundi? Für den Schutz von Zivilisten ist die UN-Mission im Kongo laut Mandat nicht zuständig.

Seit fünf Jahren findet das Afrika der Großen Seen aus dem Krieg nicht heraus. In Zaire, dem heutigen Kongo, begann im Oktober 1996 eine bewaffnete Rebellion unter Laurent Kabila gegen Diktator Mobutu, der sein Land ausgeplündert und ruiniert hatte. Ruandas Tutsi-Führung nutzte dies, um in Zaire militärisch einzugreifen. Dort sammelten sich nämlich in Flüchtlingslagern die einstigen ruandischen Hutu-Machthaber, die 1994 im eigenen Land 800.000 Tutsi umgebracht hatten, nach Zaire verjagt worden waren und seither eine Rückeroberung ihrer Macht in Ruanda planten. Weiter südlich in Burundi putschte im Juli 1996 das Militär, was den dortigen Bürgerkrieg zwischen Tutsi-dominierter Armee und Hutu-Rebellen verschärfte. Alle diese drei Krisen spitzten sich im Herbst 1996 gleichzeitig zu und entluden sich in einem Krieg, der mit wechselnden Allianzen bis heute andauert.

Man kann diesen Krieg nicht beenden, ohne die Probleme zu lösen, die ihn herbeiführten. Das klingt banal, überfordert aber offenbar die internationale Diplomatie.

Die politische Neuordnung des ehemaligen Zaire kommt nicht voran. Der Amtsantritt des international gefälligen Joseph Kabila, Nachfolger seines ermordeten Vaters Laurent, hat die Chancen dafür nicht vergrößert. Der neue Präsident ist so selbstsicher und wird darin von ausländischen Claqueuren dermaßen befördert, dass er einen Dialog mit anderen politischen Kräften überhaupt nicht für nötig zu halten scheint – und anders als sein Vater dafür nicht kritisiert wird. Es geht ja nicht nur um einen Ausgleich zwischen Regierung und Rebellen, was schwierig genug wäre. Eingebunden werden müssen auch die politischen Parteien des Landes, die Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, ohne die es gar keine funktionierenden sozialen Strukturen geben würde. Aber die Kriegsparteien im Kongo ignorieren diese Kräfte nahezu vollständig.

Der internationale Kongo-Vermittler Ketumile Masire hat am Wochenende gesagt, Mitte Juni bis Anfang Juli könne „ein Termin festgelegt“ werden für den Start eines Dialogs. Nach Monaten der Warterei soll es also noch einmal sechs Wochen dauern, um überhaupt ein Datum für einen Verhandlungsbeginn zu finden. Wenn sich bis dahin jemand überlegen würde, wie Kongos Bevölkerung angemessen vertreten werden könnte, hätte diese Trödelei wenigstens einen Sinn. Aber gerade dazu äußert sich die internationale Seite überhaupt nicht – kein Wunder, würde dies ja auch detaillierte Basisarbeit in allen Landesteilen erfordern.

Was Versöhnung in Ruanda angeht, so hat sich die internationale Gemeinschaft davon schon lange verabschiedet. In einer Art Trotzreaktion kippen manche Geberländer, die vor fünf Jahren noch über jeden Schritt der ruandischen Regierung unkritisch begeistert waren, jetzt in eine gnadenlose Vorverurteilung um: Alles, was Kigali anpackt, wird als Evidenz imperialistischer Machenschaften gedeutet. Dass Ruandas Tutsi-Armee und Ruandas Hutu-Milizen fünf Jahre nach Beginn ihres Krieges auf kongolesischem Boden immer noch gegeneinander kämpfen, ist ein Skandal, aber die Lösung besteht nicht darin, diesen Krieg nach Ruanda zu verlegen. Man muss ihn beenden. Im Friedensplan für den Kongo ist vorgesehen, dass Ruandas Armee abzieht und die Milizen dann irgendwie verschwinden. Aber die Hutu-Milizen und ihre lokalen Verbündeten verschwinden nicht. Sie füllen das Vakuum, das die regulären Armeen beim Abzug hinterlassen.

Das sollte nicht überraschen. Wenn es auf ziviler Ebene keine Fortschritte gibt, gedeihen bewaffnete Banden. Das heißt aber auch, dass Ruandas Armee im Kongo stationiert bleibt, mit allen negativen Folgen für beide Länder. Für die Zukunft Kongos wie Ruandas wäre es also wichtig, Kongos Milizen in einen Friedensprozess einzubinden. Dies bedeutet, ihre Befehlshaber zu identifizieren und zu klären, ob sie legitime Interessen vertreten oder ob sie wegen Völkermordes vor Gericht gehören. Es bedeutet auch, den Bevölkerungen verwüsteter Landstriche, für die ein Überleben außerhalb einer Miliz nicht möglich ist, Perspektiven und Aufbauhilfe zu bieten.

Burundis Geberländer versprachen hunderte von Millionen Dollar – aber tun nichts für den Frieden

Die Krise in Burundi schließlich gibt am wenigsten Anlass zur Hoffnung. Im Sommer 2000 wurde unter Schirmherrschaft Nelson Mandelas ein Friedensabkommen für Burundi geschlossen, um einen siebenjährigen Krieg zu beenden, bei dem 250.000 Menschen starben. Das Abkommen wird weder respektiert noch umgesetzt, noch kümmert dies irgendeines der Länder, die die jahrelangen Friedensverhandlungen finanzierten.

Burundis Geberländer versprachen im Dezember hunderte von Millionen Dollar als Wiederaufbauhilfe, falls das Friedensabkommen Wirklichkeit wird – aber sie tun nichts, um diese Umsetzung zu befördern. Sie schicken keine Blauhelme, sie verhängen keine Sanktionen gegen Gruppen, die einen Waffenstillstand verhindern. Die burundischen Flüchtlingslager in Tansania und Kongo, Ausbildungslager für Milizen, werden ebenso wenig überwacht wie die Routen des Waffenschmuggels. Dabei könnte ein Frieden in Burundi als gesellschaftspolitisches Vorbild dienen – nicht nur für den Kongo, sondern auch für Ruanda, wo die Frage des Zusammenlebens zwischen Hutu und Tutsi noch diskutiert werden muss.

Das Ausland setzt andere Zeichen. Letzte Woche nahm die EU ihre Entwicklungshilfe für den Kongo wieder auf. In einem „historischen Schritt“, so die EU-Kommission, erhält die Regierung Kabila 120 Millionen Euro zur „Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“. Das sei „Konsequenz jüngster positiver Entwicklungen“. DOMINIC JOHNSON

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