Liebe heute : Was hält schon ein Leben lang?
Ruth will nach einer Trennung gar kein Commitment mehr. Sich nicht mal mehr an ein neues Paar Schuhe binden. Übertrieben?
Von Ruth Fuentes
taz FUTURZWEI, 06.10.2022 | „Diese Schuhe“, sagt Arsen und hält mir begeistert ein Foto hin. Unbezahlbare italienische Lederschuhe. Schick, avantgardistisch, schwarz – wahrscheinlich das, was wir Linken alle tragen würden, hätte ein Italiener DocMartens designt. „Die sind so robust, dass sie ein Leben lang halten. Ein Leben lang.” Er wiederholt es so, als wäre das etwas Tolles.
Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Ein Leben lang also.
Ich kann die Begeisterung irgendwie nicht teilen. Ja, die Schuhe sind geil, aber wirklich ein Leben lang? „Maurizio Altieris Philosophie ist es, zeitlose, zweckmäßige, handgefertigte Schuhe aus den besten Materialien zu entwerfen.“ Lese ich in der Bildbeschreibung. Ja, das ist schön, Maurizio, denke ich mir. Aber hast du mal überlegt, wie viel Commitment das bedeutet? Festlegen auf DEN einen Schuh, nie mehr Abwechselung?!
Wir sitzen auf der Couch – Arsen und ich – und sind eigentlich sehr verliebt. Und ich grad' auch noch frisch getrennt. Dass er das mit den Schuhen fürs Leben so feiert, das schreckt mich jetzt doch etwas ab. Ich schaue ihn nur sehr entsetzt an. Ne, jetzt kann ich nicht knutschen.
Es könnte sich ja noch was Besseres ergeben
„Hey, es sind nur Schuhe! Man kann sie auch wieder weiterverkaufen. Und neue kaufen.“
„Ja, schon. Aber alleine, dass man mit der Idee reingeht, sie fürs Leben zu kaufen … Was ist, wenn man zufällig bessere, tollere irgendwo sieht und dann hat man sich schon für diese entschieden? Ist mir zu risky …“
Ich schaue auf meine eigenen Schuhe runter: seit Jahren getragene Vans, die Sohle durchgelaufen, der Stoff vorne schon durchlöchert. Ich bin noch nicht dazu gekommen, aber ich kann mir jederzeit neue kaufen. Das ist gut, denke ich. Das beruhigt mich. Auch, wenn ich mir dann, immer kurz bevor die Sohle abfällt, genau das gleiche Design in der gleichen Farbe hole …
„Außerdem bräuchte ich auch erst mal Zeit, um mir zu überlegen, ob das wirklich passt zwischen mir und dem Schuh … So eine Rückgabegarantie wäre da ganz praktisch …“, füge ich hinzu. Arsen schüttelt nur den Kopf, legt den Arm um mich und küsst mich dann doch. Und ich denke, es ist noch zu früh, um an Rückgabe zu denken.
Zum Wegwerfen verurteilt
Ausprobieren, benutzen, trennen, Neues finden. Das fühlt sich doch gut an. Warum sich so durch gewollte Beständigkeit und Nachhaltigkeit stressen lassen? Am nächsten Tag treffe ich meinen Kumpel Sigurd in einer Kreuzberger Kneipe. Ich erzähle ihm, wie sehr mich die Sache mit den Schuhen getriggert hat.
„Verständlich“, sagt er und nimmt einen großen Schluck Bier. „Kennst du dieses Gefühl, wenn du nach einer Party einen riesigen Müllbeutel nimmst und da alle Plastikbecher, Teller und so weiter einfach wegwirfst? Geil, oder?“ Seine Augen leuchten jetzt wirklich, und ich sehe, er versteht mich. „Benutzen, wegwerfen und neu anfangen“, sage ich. Ja, das ist geil. So bin ich aufgewachsen. So funktioniert unsere Welt doch. Unsere Beziehungen.
„Ja, natürlich“, meint Sigurd. „Wie willst du dich auch festlegen? Wir sind Wegwerfprodukte gewöhnt, To-Go-Becher, fossile Brennstoffe. Wie sollen wir da nachhaltige Beziehungen aufbauen? Jeder Soziologe würde dir bestätigen, dass das in unserer Gesellschaft nicht geht …“
„Und sowieso, was wäre das überhaupt – eine nachhaltige Beziehung? Sollen wir jetzt zurück zur christlichen Ehe?“ stimme ich mit ein. „Nach all dem, was die Generationen vor uns dagegen gekämpft haben.“ Während ich so rede, denke ich daran, dass ich Sigurd schon seit Beginn meines Studiums kenne und meine Freundschaft zu ihm nie einen Verbindlichkeitsdruck ausgelöst hat. Ich nippe an meinem Bier und schaue Sigurd an. Ehrlich gesagt könnte ich mir sogar vorstellen, ihm immer wieder mal in Kreuzberger Kneipen von meinen Triggern zu erzählen. Komisch.
„Das hat etwas mit unseren Energiequellen zu tun“, sagt Sigurd, und ich frage mich, ob er es jetzt doch zu weit führt. „Wir fahren Verbrenner, produzieren Abgase und denken nicht an morgen, sondern nur daran, möglichst mobil zu sein.“ Aber das ändere sich jetzt. Und mit der Transformation zu erneuerbaren Energien könne auch unser Miteinander nachhaltiger werden, wer wisse das schon … Er fängt an, sich in größeren Theorien zu verlaufen. Mit einem Ohr höre ich noch zu, während ich mit dem anderen mein Bier austrinke.
Erst mal die Gegenwart genießen
Etwas später und etwas angetrunken laufe ich dann durch die Straßen Berlins und rufe Arsen an.
„Ich glaube, ich kann das jetzt akzeptieren mit den Schuhen“, sage ich etwas zungenschwer. „Vielleicht geht es einfach erst mal nur darum, den Gedanken zulassen zu können, dass etwas nachhaltig im Leben bleiben darf, ja, könnte. Verstehst du?“
„Auch wenn es dann am Ende nicht so sein sollte. Das kann man sowieso nicht voraussehen“, krieg ich als Antwort. Ja, so gefällt mir der Mann doch gleich viel besser. Ich denke, ich gehe heute Abend noch bei ihm vorbei.
Vielleicht findet sich ja etwas zwischen Maurizio Altieris robustem Schuhwerk fürs Leben und meinen löchrigen Vans, die ich mir immer wieder aufs Neue kaufe. Vielleicht etwas Avantgardistisch-Schickes, das man eine Zeitlang gerne trägt, ohne den Druck, sich über das bedrohliche „Für immer“ Gedanken machen zu müssen. Vielleicht schiebe ich den Schuhkauf auch einfach erstmal auf.
In Arsens Wohnung werde ich sowieso barfuß sein.
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.