Lidokino 6 – Präzise Beobachtungen: Die Wut aufgreifen
Das Venedig-Filmfestival zeigt die Ferrante-Saga als Serie, einen Western mit Potenzial und eine Dokumentation über rassistische Morde in den USA.
Serien sind das neue Romanformat. War man früher von einem fesselnden Buch nicht mehr wegzubekommen, ist es heute der Bildschirm, an dem man Folge für Folge in sich hineinschauen kann. Was aber erfreulicherweise keine Einbahnstraße ist. Gelesen wird schließlich immer noch. Und Bücher werden schon mal als Vorlage für Serien genommen. Wie „L’amica geniale“ nach der Erfolgstetralogie von Elena Ferrante. In Venedig durfte man die ersten beiden Folgen der von HBO und Rai produzierten Serie schon mal anschauen.
Vorab gab es jedoch die Sorge, ob der kunstvoll beiläufige, zugleich präzise beobachtende Stil Ferrantes ohne substanzgefährdende Verluste in Bilder eines Serienformats übersetzt werden kann. Und selbstverständlich ist die Serie nicht das Buch – dann bräuchte man sie ja nicht.
Der Regisseur Saverio Costanzo hat mit den beiden Hauptdarstellerinnen für die Kindheit der beiden Protagonistinnen, Elisa Del Genio als die erzählende Elena und Ludovica Nasti als ihre Klassenkameradin Lila, zwei großartige Schauspielerinnen gefunden, die die Gegensätzlichkeit dieser zwei Freundinnen so einfach wie perfekt verkörpern. Hier die blasse, still-schüchterne Elena, da die dunkle, schlagfertige Lila mit einem kaum altersgemäßen abgebrühten Lächeln.
Auch die anderen Rollen wie die der Lehrerin von Elena und Lila oder des gefürchteten Nachbarn Don Achille können mit markig gewählten Typen überzeugen. Für die Dreharbeiten wurde fast ein komplettes Viertel aufgebaut, um das Neapel der fünfziger Jahre zu rekonstruieren. Die Musik von Max Richter gibt unaufdringlich effektiv gesetzte Stimmungen dazu. Am liebsten würde man gleich weitergucken.
Brutale Morde an Afroamerikanern
Dafür gibt es dann immerhin Alternativen. Wie den zwischen albern und hartgesotten tastenden Western „The Sisters Brothers“ des französischen Regisseurs Jacques Audiard. John C. Reilly und Joaquin Phoenix spielen die Brüder Eli und Charles Sisters, die als Killer im Westen der USA einen Goldsucher erledigen sollen. Audiard jongliert dabei auf komische Art mit dem Genre, erzählt gegen den Großteil der Erwartungen und bietet den Coen-Brüdern mit ihrer „Ballad of Buster Scruggs“ ernstzunehmende Konkurrenz, vor allem, weil er selbst die zynischen Ansätze der Handlung klug unterläuft.
Noch ein Film, der von einem Europäer in den USA gedreht wurde, ist der Dokumentarfilm „What You Gonna Do When the World’s On Fire?“ von Roberto Minervini. In Schwarz-Weiß-Bildern erzählt er von rassistischen Verbrechen in Louisiana, die dort im Juli 2017 begangen wurden, brutale Morde an Afroamerikanern. Sein Film setzt nach den Verbrechen ein, porträtiert Angehörige im Alltag und Aktivisten der New Black Panther Party bei ihren Versuchen, auf eigene Faust unter Anwohnern der Opfer zu ermitteln oder die Unterstützung der Regierung bei der Aufklärung der Verbrechen zu erhalten. Wobei die neuen Black Panther recht ambivalent in Erscheinung treten.
Minervini arrangiert seine Bilder wie in einem Spielfilm, kontrastreich ausgeleuchtet, behutsam arrangiert, sodass man den Eindruck hat, er wolle weniger selbst agitieren als die Würde seiner Protagonisten herausstellen. Das mag ein wenig von der Wut, die der Film aufgreift, abschwächen. Als Hinwendung zu den Opfern kann man den Ansatz allemal gutheißen. Und zu sehen, wie die bei der Premiere anwesende Laiendarstellerin Judy Hill von der Vorführung und dem Applaus zu Tränen gerührt war, war bewegend.
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