Libyens Gaddafi besucht Italien: Neubeginn mit Berlusconi
Schlussstrich unter die Kolonialvergangenheit, gemeinsame Flüchtlingsabwehr: Libyens Revolutionsführer besucht zum ersten Mal die Exkolonialmacht Italien.
ROM taz | 300 Delegationsmitglieder, das obligatorische Beduinenzelt, wechselnde farbenfrohe Kostüme, Begegnungen mit dem Staatspräsidenten, dem Ministerpräsidenten, dem halben Kabinett und 700 Frauen, Reden im Senat und in Roms Universität: Von Mittwoch bis Freitag ist Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi auf Staatsbesuch in Rom, um die Freundschaft mit Berlusconis Italien zu feiern.
In seinem Programm hat Gaddafi nichts ausgelassen. Schließlich ging es ihm darum, bei seinem ersten Italienbesuch überhaupt seit seiner Machtübernahme vor 40 Jahren den Schlussstrich unter die koloniale Vergangenheit zu ziehen und den Neubeginn zu zelebrieren.
Immer wieder stieß Gaddafi die Italiener auf den nobleren Teil seines Anliegens: auf die Wiedergutmachung für die vom faschistischen Italien bis 1942 begangenen Kolonialverbrechen. "Das Italien von heute" sei nicht mehr "das Italien von gestern", erklärte er zum Beispiel auf seiner Pressekonferenz mit Berlusconi, "ich bin bloß hier, weil ihr um Entschuldigung gebeten habt". Schon vorher, bei seiner Ankunft, hatte der Revolutionsführer Italien höchst medienwirksam auf die alten Verbrechen hingewiesen - hunderttausende Libyer wurden einst von den faschistischen Truppen massakriert. Aus dem Flugzeug war er nämlich nicht bloß in einer seiner Fantasieuniformen gestiegen, in der er eher wie ein alternder Rockstar denn wie ein Obrist wirkte. Er hatte sich ein großes Schwarzweißfoto an die Brust geheftet, und ganz Italien durfte erfahren, dass da Omar al-Mukthar abgebildet war, der von der italienischen Kolonialmacht hingerichtete Führer des libyschen Befreiungskampfs.
Doch Italien hat nicht bloß um Entschuldigung gebeten. Der im August 2008 von Berlusconi und Gaddafi unterzeichnete Freundschaftspakt legt auch umfangreiche Reparationsleistungen fest: 5 Milliarden Dollar wird Italien in den nächsten 20 Jahren zahlen und damit zum Beispiel den Bau einer Küstenautobahn von der tunesischen zur ägyptischen Grenze finanzieren.
Italiens Schlussstrich unter vergangenes Unrecht verdankt sich vor allem dem Wunsch Roms, Libyen zum verlässlichen Partner für neues Unrecht zu machen: für eine Flüchtlingsabwehr ohne Menschenrechte. Auch darauf hatten Berlusconi und Gaddafi sich letztes Jahr geeinigt. Die Kooperation funktioniert seit Anfang Mai reibungslos: Italiens Marine brachte in mehreren Fällen auf hoher See aufgegriffene Bootsflüchtlinge umgehend nach Tripolis zurück; und seit Mitte Mai sind drei von Italien gestellte Patrouillenschiffe unter libyscher Flagge mit gemischter Besatzung unterwegs, um vor der libyschen Küste die Flüchtlingsboote abzufangen.
Gaddafi lieferte jetzt in Rom die Rechtfertigung für den Einsatz. Er, der zugleich der diesjährige Präsident der Afrikanischen Union ist und auch in dieser Funktion in Rom auf Besuch war, erklärte politische oder humanitäre Fluchtgründe der über Libyen nach Italien aufbrechenden Schwarzafrikaner schlicht für inexistent. Da machten sich Menschen auf, "die in den Wäldern leben", angezogen allein vom höheren Wohlstand Europas.
Nur einige Dutzend Menschenrechtler am Mittwoch und einige hundert Studenten am gestrigen Donnerstag protestierten. Und auch im politischen Raum erfuhr Gaddafi keine Kritik. Zwar setzten die Oppositionsfraktionen durch, dass er gestern nicht im Plenarsaal des Senats reden durfte, sondern bloß in einem Nebensaal. Doch die Opposition motivierte ihren Vorstoß eher mit allgemeinen Hinweisen darauf, dass Gaddafi schließlich ein Diktator sei.
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