Liberaler Hang zur Hoffnung: Pessimismus macht wachsam

Woher kommt dieser Fortschrittsglaube in den mehr oder weniger woken Milieus? Viel Grund für Kulturoptimismus gibt es jedenfalls nicht. Siehe: USA.

Eine schwarze Frau mit Gesichtsmaske auf der VOTE steht

Wahlhelferin in Georgia: Auch nach einer möglichen Niederlage von Trump wird es Rassismus in den USA geben Foto: Brynn Anderson/ap

Wenige Tage vor der US-Wahl im Jahr 2016 war ich Teilnehmer einer Konferenz für sogenannte Young Global Leaders. Diese Bezeichnung ist mir ein bisschen peinlich. Eine der Teilnehmer*innen ist jetzt aber die Außenministerin des Fürstentums Liechtenstein. Sagen wir mal so: Young Global Leaders and Some Other People (ich wäre dann other people) würde eher passen.

Auf jeden Fall liefen auf dieser Konferenz auch viele Leaders aus den USA herum. Die meisten von ihnen kann ich mit gutem Gewissen als woke, also als gut informiert und reflektiert bezeichnen. Und das obwohl sie mir damals unisono sagten: No way werde Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Sie machten sich einfach null Sorgen. Fortschritt könne man nämlich nicht aufhalten, die USA seien mehr als nur bereit für die erste Präsidentin in der US-Geschichte …

Seitdem frage ich mich: Wie gefährlich ist diese Fortschrittsüberzeugung in einigen progressiven Kreisen? Also jener Glaube, dass Errungenschaften der Gleichberechtigung nicht zurückgedreht werden können, dass irgendwie alle Menschen lernfähig sind (vor allem aus der Geschichte) oder dass man mit Menschenfeindlichkeit keine Wahlen gewinnen kann.

Falls Sie bisher meine Kolumne verfolgt haben, könnte es sein, dass ich an dieser Stelle den Eindruck eines in Deutschland lebenden Kulturpessimisten hinterlassen habe. Die gute Nachricht: Diesen Pessimismus fühle ich auch anderswo. Er ist mein Antrieb, wachsam zu bleiben und nie mit dem Denken aufzuhören: Ich verzweifle, also bin ich. Passt auch irgendwie zum gegenwärtigen Herbstwetter.

Lazy Tagträumen

Nun steht eine neue US-Wahl an. Diesmal mit zwei sehr alten, sehr weißen Männern. Grund für egal welche Spielart von Kulturoptimismus sehe ich da nicht, to be honest. Das Wahlergebnis aus 2016 hat drei Punkte deutlich gemacht: mit Menschenfeindlichkeit lassen sich in westlichen Demokratien Wahlen gewinnen, viele haben nix aus der Geschichte gelernt und keine Errungenschaft der Gleichberechtigung (egal ob es Frauen, Queers oder BPoCs betrifft) ist sicher.

Ich finde es gefährlich, wenn jene, die eigentlich wachsam sein sollten, sich lazy in fortschrittsgedanklichen Tagträumen verlieren. Während geträumt wird: ZACK! Friedrich Merz wird Bundeskanzler und alles ist verloren. Aber hier sollte es ja zur Abwechslung nicht um Deutschland gehen. Sorry. Zurück zur anstehenden US-Wahl: Das Problem 2016 waren nicht die verfehlten Prognosen, es war der Glaube, dass sich (vermeintlich) mündige Wähler*innen niemals für einen Orangensack als Präsidenten entscheiden würden.

Noch ein bisschen depri zum Abschluss: Wer glaubt, die Pussy-Grabbing-Culture, Gewalt gegen Geflüchtete oder antischwarzer Rassismus seien nach einer möglichen Niederlage von Trump passé, ist definitiv das Gegenteil von woke. Bitte wachsam bleiben!

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Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Bei Twitter schreibt er unter dem Handle @mamjahid, bei Instagram @m_amjahid. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen.

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