Liberale Moschee für Berlin: „Ich möchte Imamin werden“
Seyran Ateş wurde für ihre Bücher, in denen sie Reformen des Islam fordert, mit dem Tode bedroht. Jetzt gründet die Anwältin gemeinsam mit anderen in Berlin eine liberale Moschee.
taz: Frau Ateş, Sie haben vor einiger Zeit angekündigt, noch in diesem Sommer eine Moscheegemeinde zu gründen, in der eine liberale Auslegung des Islam praktiziert wird. Wann genau ist es soweit?
Seyran Ateş: Am 16. Juni wird das erste Freitagsgebet in der Gemeinde stattfinden, die Ibn Rushd-Goethe Moschee gGmbH heißen wird. Dazu konnten wir als Vorbeterin die Imamin Elham Manea, eine jemenitische Schweizerin, gewinnen, Mitgründerin der Offenen Moschee in der Schweiz und unsere Mitgesellschafterin. Wir haben mittlerweile auch einen Ort in Aussicht: Ende April erfahren wir, ob wir einen Raum in einer Kirche in Mitte bekommen, wo wir uns regelmäßig treffen können. Allerdings sammeln wir Spenden, um irgendwann in ein eigenes Gebäude ziehen zu können.
Wer ist wir?
Zusammen mit Mimoun Azizi, der als Neurologe in Oldenburg arbeitet, gründe ich gerade eine gemeinnützige GmbH. Die hat für uns Vorteile gegenüber einem Verein: Sie kann Gewinne erwirtschaften, die dann natürlich wieder gemeinnützig eingesetzt werden müssen. Und wir müssen keine feindliche Übernahme durch den Beitritt von Mitgliedern befürchten, die unsere Ziele nicht teilen. Zu unseren Gesellschaftern gehören auch Abdel-Hakim Ourghi, Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, und Saïda Keller-Messahli, die in der Schweiz das „Forum für einen fortschrittlichen Islam“ gegründet hat.
Sie selbst sind eher als Islamkritikerin bekannt. Warum gründen ausgerechnet Sie eine Moschee?
Erst einmal: Ich bin keine „Islamkritikerin“. Wenn schon, dann bin ich insgesamt ein kritischer Mensch. Dass ich mich kritisch über bestimmte Dinge in der Religion, auch dem Islam äußere, heißt nicht, dass ich nicht gläubig bin. Im Gegenteil. Trotzdem werde ich in der deutschen Öffentlichkeit oft anders wahrgenommen. Barbara John, die langjährige Berliner Ausländerbeauftragten, die heute unter anderem im Kuratorium der Muslimischen Akademie in Deutschland sitzt, sagte mir bei einem gemeinsamen Radiointerview, sie habe gehört, dass wir „Nichtmuslime“ eine Moschee gründen. Das ist absurd. Ich sage immer, dass ich gläubig bin, und irgendwann möchte ich auch Imamin, also Vorbeterin werden.
53, Juristin türkisch-kurdischer Herkunft, fordert seit Langem Reformen des Islam. Ihre Anwaltstätigkeit gab sie zweimal auf – zuletzt wegen Morddrohungen in Reaktion auf ihr Buch „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“, 2009.
Wie wird man das?
Man kann sich im Selbststudium vorbereiten oder studieren. Imamin oder Imam müssen unter anderem den Koran rezitieren und der Gemeinde erklären können.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der Moscheegründung?
Wir wollen einen religiösen Raum für Muslime schaffen, die sich aufgrund ihrer liberalen und modernen Lebensweise in den existierenden Moscheen nicht heimisch und angenommen fühlen. Es soll aber auch ein Ort des Austauschs werden, wo religiöse, kulturelle und politische Veranstaltungen stattfinden können, ein Dialog mit anderen Religionen und natürlich auch mit Atheisten. Wir haben kein Problem mit Menschen, die nicht an unseren Gott glauben. Wichtig ist uns, dass unsere Veranstaltungen offen sind.
Und worin würden sich die Predigten in einer solchen liberalen Gemeinde von den üblichen unterscheiden?
Wir wollen die Muslime an die Zeiten der Anfänge des Islam und dessen große Aufklärer erinnern und darüber hinaus an historisch-kritischen Interpretationen arbeiten.
Rund 300.000 MuslimInnen gibt es laut Senat in Berlin – eine Schätzung, denn darüber gibt es keine Erhebung.
In etwa 80 Moscheegemeinden versammeln sich Berliner MuslimInnen zum Gebet. Viele werden von kleinen Vereinen betrieben, es gibt aber auch große Dachverbände wie Ditib e. V., der eng mit der türkischen Religionsbehörde zusammenarbeitet. In Berlin gehören zwölf Moscheegemeinden zu Ditib, darunter die repräsentative Sehitlik-Moschee am Columbiadamm. Weitere auch erkennbare Moscheen sind die libanesisch-arabisch geprägte Umar-Ibn-Al-Khattab-Moschee am Görlitzer Bahnhof und die im Bau befindliche Mevlana-Moschee der islamistischen Milli-Görüş-Bewegung am Kottbusser Tor. Die Khadija-Moschee in Heinersdorf gehört ebenso wie die deutschlandweit älteste, bereits 1928 eröffnete Moschee in Wilmersdorf zur Ahmadiyya-Gemeinde, die von der Mehrheit der Muslime als Sekte betrachtet wird.
Eine explizit liberale Moschee gibt es bislang nicht. Der Liberal-Islamische Bund e. V. (LIB), der sich zu einer historisch-kritischen Koran-Auslegung und zu Geschlechtergerechtigkeit bekennt, unterhält in Berlin eine regionale Gruppe, die in größeren Abständen zu Treffen einlädt. (clp)
Wer ist für Sie Muslim?
Da schließen wir niemanden aus. Wir sind Sunniten, Schiiten und Aleviten, bei uns sind auch alle geschlechtlichen Identitäten willkommen. Es gibt ja viele Schwule und Lesben, die in die Moschee gehen und den Islam verstehen wollen. Die haben bis heute keinen Ort dafür. Wir modernen, liberalen Muslime müssen sichtbar werden, wir dürfen die Konservativen nicht einfach nur kritisieren, sondern müssen Verantwortung übernehmen.
Es gibt bis heute keine liberale Moschee in Deutschland?
Die gibt es noch nicht einmal in der Türkei, wo ich viele liberale Muslime kenne, sogar Kemalisten, die nichts auf ihren Glauben kommen lassen. Das Bedürfnis nach einem solchen Ort ist unglaublich groß, und ich habe so lange gewartet, dass etwas in dieser Art entsteht, dass ich mir irgendwann selber die Gründung vorgenommen habe. Seit 2009 habe ich mit vielen Leuten darüber gesprochen, und ich dachte immer: Irgendwer klaut mir die Idee. Das hätte ich mir ja gewünscht – aber es ist nicht passiert.
Aber warum denn, wenn es doch ein Bedürfnis danach gibt?
Da gibt es eine ganz einfache Erklärung: Angst. Das Erste, was ich immer als Kommentar zu meiner Initiative zu hören bekomme, ist: Bist du verrückt? Da musst du doch mit Anschlägen rechnen! Und die Islamverbände schüren solche Ängste mit. Gegen mich wird aus dieser Ecke schon lange gehetzt, man hat mich als Häretikerin bezeichnet.
Haben Sie keine Angst?
Selbstverständlich habe auch ich Angst, aber ich lasse mich nicht von ihr treiben. Meine Lebensphilosophie lautet: Habe den Mut, Angst zu haben.
Das muss aber auch für die BesucherInnen der Freitagsgebete gelten, sonst kommen die ja nicht.
Über die Absicherung des Raumes sprechen wir mit dem Landeskriminalamt. Da kann ich Gott sei Dank auf den Rechtsstaat hoffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour