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Lessingpreis für Georg GenouxKulturpolitische Schizophrenie

Sachsen würdigt die Integrationsarbeit des sozialtheatralen Zentrums Thespis in Bautzen mit dem Lessingpreis. Und streicht zugleich die Förderung.

Warnt eindringlich vor dem Schaden, den eine Kürzung der Mittel verursachen würde: Intendant Lutz Hillmann Foto: Steffen Unger/imago

Mehr kulturpolitische Schizophrenie ist kaum vorstellbar. Am Mittwoch erhielt der Theatermann Georg Genoux einen der beiden Förderpreise zum Lessingpreis, laut Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) „der wichtigste Kulturpreis, den der Freistaat Sachsen selbst vergibt“.

Seit drei Jahren leitet Genoux das soziotheatrale Zentrum Thespis, das Bautzener Bürger und Geflüchtete aus verschiedensten Ländern zusammenbringt. Zugleich streicht derselbe Freistaat, konkret die Sächsische Aufbaubank – hier besser Abbaubank zu nennen –, mit Jahresbeginn sämtliche Förderung in Höhe von rund 200.000 Euro aus einem Integrationsprogramm.

Genoux wird also für seine leidenschaftliche Arbeit belohnt und bestraft. „Für eine große Gruppe von Menschen, die sonst kaum etwas im Leben haben, fällt die einzige Möglichkeit sozialer und kultureller Teilhabe weg“, fasst der 1976 in Hamburg geborene russlanderfahrene Verfechter des partizipativen und dokumentarischen Theaters die Folgen zusammen.

Im Jahr 2018 hatte Lutz Hillmann als Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen die Bürgerbühne quasi ausgegründet. Mit der Fluchtwelle nach Beginn der russischen Invasion suchen neben arabischen Asylsuchenden vor allem Ukrainer, aber auch Russen die beiden Hausetagen unweit des Theaters auf. Mit den Laien inszenieren Genoux und drei Projektleiterinnen regelmäßig Stücke. 2020 erhielt Thespis schon den sächsischen Integrationspreis. Jährlich im Herbst richtet es das Festival „Willkommen anderswo“ aus.

Noch korrigierbarer Fehler

Vermutlich ist Förderverweigerung eine Folge des Rechnungshofsberichts, der 2023 dem SPD-geführten Sächsischen Sozialministerium „korruptionsgefährdete Strukturen“ bei der Integration Geflüchteter vorgeworfen hatte. Der Förderantragszeitraum war schon 2024 von drei auf ein Jahr herabgesetzt worden. Auf Nachfrage begründeten die Bankbeamten im Dezember den Förderstopp mit einer neuen Richtlinie, die nur noch Einzelmaßnahmen zulasse.

Genoux und seine Mitarbeiterinnen und Freunde müssen nun bei kleineren Spendern betteln gehen. Bei etwa 60.000 Euro jährlich liegt das Existenzminimum. Der Vermieter hat die Miete zunächst gestundet. „Die Arbeit, diese Zuflucht für Leute, die sich nicht wohlfühlen, ist uns so wichtig, dass wir ehrenamtlich auf jeden Fall weitermachen“, berichtet Halimeh Ibrahim aus dem Libanon. Ein begonnenes Projekt über Mobbing an Bautzener Schulen soll auf jeden Fall vollendet werden.

„Das ist keine finanzpolitische, sondern eine kultur-, ja integrationspolitische Förderentscheidung“, schimpft Lutz Hillmann. Es sei ein Skandal, dass sie auf Beamtenebene abgeschoben wurde. Georg Genoux hat noch nicht alle Hoffnung verloren. „Ich nehme an, dass die Verantwortlichen wissen, dass ihnen ein Fehler unterlaufen ist – aber der ist korrigierbar!“ In seiner Dankesrede zum Lessingpreis spricht er von einer „grotesken Situation“.

Dem andächtigen Auditorium verdeutlichte er noch einmal, dass Thespis „nie ein Ort der politischen Hetze oder Ausgrenzung war“. Im Gegenteil. In der schwierigen, polarisierten und durch ausländerfeindliche Übergriffe auch überregional bekannt gewordenen Stadt hätten sogar Anhänger konträrer politischer Lager zu kommunizieren versucht, „die sonst wohl nie miteinander reden würden“.

Hillmann schreibt Briefe und bittet um Gesprächstermine. Wohl wissend, dass der zu 10 Prozent ungedeckte sächsische Katastrophenhaushalt absehbar erst Mitte des Jahres verabschiedet werden kann. Die Erfahrung zeige, dass es gar nicht möglich wäre, Thespis von einem Tag auf den anderen zu schließen. „Es gibt so viele Kinder und Jugendliche, die hier ihren Anlaufpunkt, ihren Anker haben“, schildert er eindringlich. „Der Verlust würde einen Schaden anrichten, der gar nicht mit Worten auszudrücken ist!“

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1 Kommentar

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  • In Sachsen fehlen für "wirkliche" Probleme das Geld.



    Woran das liegt, sollte bekannt sein!