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Lernlücken durch CoronapandemieNachhilfe in großem Stil

Ein Nachhilfeprogramm soll Lernlücken von besonders betroffenen Schülern ausgleichen. Hamburg hat schon eine Idee: Lehramtsstudierende sollen ran.

Die Studentin Elif Tahtabas gibt Online-Nachhilfe Foto: Roland Weihrauch/dpa

Dass die Lernlücken der Schüler groß sein werden, daran hat Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) keinen Zweifel. „Es gab jetzt ein halbes Jahr keinen Unterricht, da braucht man keinen komplizierten Dreisatz für, um zu wissen: das wird Spuren hinterlassen.“ Auf Anregung Hamburgs habe deshalb die Kultusministerkonferenz beschlossen, mit der Bundesregierung ein „Lernförderprogramm“ auf den Weg zu bringen.

„Anschluss“ heißt das Hamburger Programm, in dem bis zu 1.000 Hamburger Lehramtsstudierende ab August, wenn Corona hoffentlich vorbei ist und die Schulen wieder normal öffnen, Schülern in Kleingruppen als Mentoren zur Seite stehen sollen. Etwa 4.000 bis 5.000 Kindern soll an den „Schulübergängen“, also in Klasse vier der Grundschule oder sechs und sieben der weiterführenden Schule, geholfen werden.

Vorbild ist das Programm „Weichenstellung“, das seit 2013 mit studentischen Mentoren gezielt insgesamt 2.900 Mädchen und Jungen aus ärmeren Familien half, ihre Potenziale zu entfalten. Dabei ging es nicht nur um Stofflernen, sondern auch um die Motivation der Kinder.

Das Aufholen der Coronadefizite sei besonders für Schüler mit ohnehin schwieriger Lernausgangslage „eine nationale Herausforderung“, sagte der Erziehungswissenschaftler und „Weichensteller“-Projektleiter Reiner Lehberger. Hamburg plant nun konkret Kleingruppen mit je vier Mädchen und Jungen, die entweder ein Jahr lang zwei oder ein halbes Jahr lang vier Stunden pro Woche zusätzlichen Unterricht erteilt bekommen.

Man braucht keinen komplizierten Dreisatz, um zu wissen: Das wird Spuren hinterlassen

Ties Rabe, Bildungssenator

Dabei gehe es nicht nur darum, die Lernrückstände aufzuholen, so Lehberger. Den Kindern solle durch die persönlichere Beziehung zu ihren Mentoren auch die Angst vor Schule genommen und mehr Selbstvertrauen gegeben werden. Zudem würden so die Lehramtsstudenten deutlich besser auf ihren Berufsalltag vorbereitet.

Kommt die „Nachhilfe-Milliarde“ vom Bund, könnte Hamburg etwa 25 Millionen Euro abbekommen. Rabe, der auf Kultusministerebene die SPD-regierten Länder vertritt, äußerte sich gestern in Hamburg zuversichtlich, dass die Verhandlungen darüber vor der Sommerpause abgeschlossen sein werden und danach die Förderung beginnen kann.

Diskussion gebe es aber noch darum, welche Schüler die beanspruchen können. Es müssten coronabedingte Lernlücken sein, da für normale Lernrückstände nach Grundgesetz die Länder zuständig sind. Im Fokus sind die etwa 20 Prozent „Risikoschüler“, die es eh schon schwer haben. Bundesweit sind das etwa 2 Millionen Kinder.

Rabe rechnete vor, dass für ganz Deutschland zwischen 50.000 und 70.000 zusätzliche Kräfte benötigt werden. Das könnten Lehramtsstudierende übernehmen, die beim „Weichensteller“-Projekt nicht nur 15 Euro Honorar die Stunde bekamen, sondern auch Punkte im Studium anrechnen lassen konnten. Bundesweit studieren 250.000 dieses Fach.

Alternative zum Sitzenbleiben

Allerdings müsse auch eine Hochschule vor Ort sein, sagte Michael Göring, Vorsitzender der Zeit-Stiftung, die das Programm mitentwickelt hat. In ländlichen Gebieten müssten andere Kräfte die Aufgabe übernehmen, darüber habe er bereits mit Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gesprochen.

Einige Länder haben als Konsequenz der Coronakrise das freiwillige Sitzenbleiben der Kinder angeboten. Dies soll in Hamburg, wo das Sitzenbleiben seit acht Jahren abgeschafft und durch eine Lernförderung ersetzt ist, nur dann möglich sein, wenn auch die Schule es für sinnvoll hält.

Gefragt, warum Deutschland nicht wie die USA oder die Niederlande noch viel mehr Geld in die Nachhilfe investiert, sagte Bildungssenator Rabe, er sehe die Herausforderung eher darin, dass auch die Zeit der Schüler endlich ist und mehr als vier Stunden Nachhilfe die Woche nicht sinnvoll wären.

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